Engagierte Literatur :"Eine bedeutende Stimme der Gegenwartsliteratur"

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(Foto: Ulrike Castor/oh)

Der in Isen aufgewachsene Schriftsteller Leonhard F. Seidl wird mit dem Kulturpreis 2022 der Stadt Fürth ausgezeichnet.

Von Florian Tempel, Erding

2022 ist für den in Isen aufgewachsenen Schriftsteller Leonhard F. Seidl ein ausgezeichnetes Jahr. Im Mai wurde dem 46-Jährigen der zweite Preis beim Literaturpreis Isen zuerkannt, im September erhielt er in München in der Akademie der Schönen Künste feierlich ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern und an diesem Sonntag folgt ein weiterer Höhepunkt. Leonhard F. Seidl bekommt einen mit 4000 Euro dotierten Kulturpreis der Stadt Fürth, wo er seit mehreren Jahren lebt. Die Begründung für diese Auszeichnung liest sich grandios: "Seine Romane stellen sich bei der Lektüre als sprachlich und formal ambitionierte Sprachkunstwerke heraus (...) zugleich engagiert er sich als Organisator und Gast in literaturwissenschaftlichen Kontexten, jüngst vor allem als Dichter und Essayist im Nature Writing. Damit ist er eine bedeutende Stimme der Gegenwartsliteratur."

2011 gelang Leonhard F. Seidl, der gelernter Krankenpfleger und diplomierter Sozialarbeiter ist, mit seinem Debüt-Roman "Mutterkorn" der Durchbruch als Autor. Das Buch war ein Volltreffer. Als es damals erschien, war eben erst die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) öffentlich bekannt geworden. Seidl hatte die Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit Neonazi-V-Leute schon thematisiert, als das noch nicht allgemeines Gesprächsthema war.

Die Orte an denen Leonhard F. Seidl lebt, sind ihm wichtig und Inspiration

Von einem Bestseller blieben die Verkaufszahlen seines Erstlings zwar weit entfernt. Dennoch ermöglichte ihm sein erster Roman, als Autor zu leben. Es war der Beginn seines Schriftstellerlebens. Leonhard F. Seidl machte damals zum Beispiel seine erste Lesetour. Es ging auf Einladung der Verdi-Jugend durch Nordrhein-Westfalen, 17 Lesungen in 15 Tagen. In diesem Jahr wurde "Mutterkorn" (Verlag Kulturmaschinen) zum zweiten Mal aufgelegt. Weil das Buch immer noch gut und aktuell ist, aber auch, weil es deutsche Geschichte beschreibt. Die rassistischen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen und der mörderische Brandanschlag von Mölln sind zwar schon 30 Jahre her, wirken aber immer noch. Der Rechtsextremismus ist ja keineswegs abgeebbt seitdem. Leonhard F. Seidl hat deshalb auch erst vor wenigen Wochen wieder aus "Mutterkorn" gelesen, diesmal auf der Frankfurter Buchmesse.

Die Orte, an denen Leonhard F. Seidl lebt, sind ihm wichtig und Inspiration für seine Bücher. Das gilt für seine Krimis "Genagelt" (Emons Verlag, 2014) und "Viecher" (Emons Verlag, 2015) genauso wie für sein viel beachtetes Buch "Fronten" (Edition Nautilus, 2017), das den Amoklauf in Dorfen 1988 und das Reichsbürger-Phänomen thematisiert, und "Der falsche Schah" (Volk Verlag, 2020), einen Schelmenroman über den Besuch des persischen Herrschers im Jahr 1968 in Rothenburg ob der Tauber, den er dort während eines Literaturstipendiums geschrieben hat.

"Ich will nicht Antworten geben, sondern Fragen zum Nachdenken stellen."

In diesem Jahr hat er zwei neue Bücher herausgebracht. "Vom Untergang" (Edition Nautilus) ist sein sechster Roman, ein starker historischer Krimi über einen politischen Mord an einem jungen Sozialdemokraten in Fürth im Jahr 1922, die Ermordung von Außenminister Walter Rathenau und die rechtsextremen Umsturzpläne, die der rechtsextreme Philosoph Oswald Spengler mit dem Isener Forstrat Georg Escherich plante. Außerdem hat Seidl die autobiografischen Schriften des Fürther Anarchisten Fritz Oerter unter dem Titel "Lebenslinien" (Verbrecher Verlag) herausgebracht, der ebenfalls eine wichtige Rolle in seinem neuen Roman spielt.

Seine Bücher sind, auch wenn sie meist unter dem Label Kriminalroman erscheinen, nicht nur unterhaltsames Lesevergnügen, sondern "engagierte Literatur", dass heißt zeitgeschichtlich interessante und gesellschaftlich relevante Beiträge. "Literatur kann verschiedene Schichten in der Geschichte greifbar machen", sagt Leonhard F. Seidl. Ein gutes Buch wirkt bei der Leserin und dem Leser so ganz anders als eine wissenschaftliche Aufbereitung - ob es darüber hinaus etwas bewirkt, ist eine andere Frage. Position gegen Rechtsextremismus, Rassismus und antidemokratische Tendenzen zu beziehen, ist Seidl wichtig. Doch er tut es stets von einem freien Standpunkt aus. "Ich will nicht Antworten geben, sondern Fragen zum Nachdenken stellen." Das gelingt ihm seit Jahren zunehmend besser. Man darf gespannt sein, was noch kommt.

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