SZ-Serie: Tatort Region, Folge 30:Tod an der Copacabana

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Monatelang war der Rio-Mord in Erding Gesprächsthema. Von dem langwierigen Indizienprozess findet sich heute nur noch ein Foto, das den Angeklagten und seinen Verteidiger zeigt. (Foto: Manfred Braun/oh (Bearbeitung: SZ))

Ein Wirt schließt auf seinen Kellner eine Lebensversicherung ab und spendiert ihm eine verhängnisvolle Brasilienreise

Von Sara Maria Behbehani

Am 19. Februar 1991 ertrinkt Ludwig A. im Meer vor Rio de Janeiro. Konrad R. ist zu diesem Zeitpunkt in Erding. Er ist der Wirt der Gaststätte "Zum Auerhahn" in der Freisinger Siedlung, viele tausend Kilometer weit von der Copacabana entfernt. Und doch fällt schnell ein dunkler Verdacht auf ihn. Denn der Auerhahn-Wirt hat auf seinen Schankkellner Ludwig A., den alle nur Wiggerl nennen, eine teure Lebensversicherung über 270 000 Mark abgeschlossen - und ihm die verhängnisvolle Urlaubsreise nach Brasilien aus seiner Tasche spendiert. Wer glaubt da an einen Unfall.

Eineinhalb Jahre später beginnt am Landgericht Landshut der Prozess um den sogenannten Rio-Mord, der monatelang Gesprächsthema in Erding war und nun noch einmal für große mediale Öffentlichkeit sorgt. Das Verfahren ist spannend, aber auch mit Schwierigkeiten behaftet. Geladene Zeugen aus Brasilien erscheinen nicht in Niederbayern. Klare Beweise gibt es sowieso nicht. Und so wird es ein reiner Indizienprozess mit vielen, nicht immer vertrauenswürdigen Zeugen. Staatsanwalt Helmut Stapf zieht am Ende ein ernüchtertes Resümee: "Ich habe noch in keiner Hauptverhandlung so viele Alkoholiker, so viele gescheiterte Existenzen gesehen."

Doch so angreifbar die Aussagen mancher Zeugen sein mögen, in der Gesamtschau zeichnen sie ein klares Bild des Angeklagten: Es gibt noch mehr Fälle, die dem von Ludwig A. gleichen. Konrad R. hatte fünf Jahre zuvor schon einmal eine Lebensversicherung über 200 000 Mark auf einen Bekannten abgeschlossen. Danach soll er andere Bekannte und Angestellte angefragt haben, ob sie bereit wären, den Mann gegen eine Beteiligung an der Versicherungssumme zu töten. Ein anderes Mal schlug der Auerhahn-Wirt einem Stammgast vor, eine Lebensversicherung auf ihn abzuschließen, dann solle er in Paraguay einen Bootsunfall fingieren und sich einige Jahre verstecken. Das Geld von der Versicherung werde man sich teilen.

Monatelang war der Rio-Mord in Erding Gesprächsthema. Von dem langwierigen Indizienprozess findet sich heute nur noch ein Foto, das den Angeklagten und seinen Verteidiger zeigt. (Foto: Manfred Braun/oh (Bearbeitung: SZ))

Erstaunlich ist nicht nur, dass viele von diesen Plänen wussten. Auch der Wiggerl A. muss die verbrecherischen Pläne seines Chefs gekannt haben. So berichtete ein Zeuge im Prozess in Landshut: "Einmal war ich zu Besuch im 'Auerhahn' in Erding. Es war gerade Ruhetag, nur der Conny, der Wiggerl und ich waren da. Conny sitzt bei mir am Tisch und sagt mir, er werde den Kellner versichern und nach Rio schicken, wo er dann sterben solle. Und der Wiggerl stand hinter der Theke, polierte Gläser und war die ganze Zeit ständig in Hörweite!"Der Angeklagte wiegelte seelenruhig ab: "Das war alles nur Gaudi - am Biertisch macht man schon mal so derbe Scherze."

Auf alle Fälle bleibt da aber die Frage, warum der teuer versicherte Schankkellner dennoch nach Brasilien flog? Weil er völlig naiv war? Oder weil er in einen Plan eingeweiht war, nach dem er nur verschwinden und gar nicht sterben sollte, um an das Geld zu kommen?

Konrad H. hat Bekannte in Brasilien. Auf einer Hacienda in der Kleinstadt Tres Rios lebt eine Gruppe deutscher Auswanderern. Einer von ihnen ist der frühere Fremdenlegionär Gaston C. Kennengelernt haben sich der Erdinger Wirt und der ehemalige Fremdenlegionär über einen gemeinsamen Bekannten, der 1989 Brasilien bereiste, dabei auf die Auswanderer in Tres Rios traf und sie zur Jahreswende 1990/91 nach Erding und in seine Stammkneipe "Zum Auerhahn" einlud.

1991 tritt Kellner Wiggerl A. einen Gegenbesuch an. Und stirbt.

Wiggerl A. war höchst wahrscheinlich bei vollem Bewusstsein, als er von einer Kaimauer ins Meer stürzte. "Im Magen befand sich eine beträchtliche Menge Flüssigkeit", berichtet der Rechtsmediziner Professor Wolfgang Eisenmenger als Gutachter im Prozess: "Das würde auf einen Ertrinkungstod hindeuten." Zudem seien die Verletzungen durch den Sturz über die Klippen nicht tödlich gewesen. Unbeweisbar steht hingegen der Verdacht im Raum, der Tote könnte zuvor mit Chloroform betäubt worden sein.

Die ersten Fälle der Serie sind bereits als Dossier im digitalen Kiosk der SZ oder unter sz.de/krimidossier verfügbar. (Foto: N/A)

In der Version von Gaston C., der in Brasilien verhaftet, jedoch nicht ausgeliefert wird, klingt das freilich anders: In seiner ersten Aussage erzählte er der Polizei in Rio, er habe nach einer durchzechten Nacht mit seinem Besucher aus Erding auf einer Kaimauer "um die Wette uriniert". Dann sei er zu seinem Auto gegangen - und als er sich umgedreht habe, sei Wiggerl A. plötzlich weg gewesen, von der Mauer gefallen und über die Klippen ins Meer gestürzt. Er sei ihm sofort gefolgt, um ihn aus dem Meer zu fischen. Seine Wiederbelebungsversuche seien aber gescheitert.

Gegen diese Darstellung spricht allein schon, dass die Blase des Toten voll und der Hosenschlitz geschlossen war. Von der Stelle, an der die beiden Männer gestanden haben sollen, kann man zudem gar nicht so leicht ins Meer stürzen. Doch sicher ist das alles auch nicht: Vielleicht ist Wiggerl A. gestolpert, auf der Klippe gestrauchelt und von dort dann final abgestürzt. Und auch wenn das Meer zur Tatzeit nur 80 Zentimeter tief war. Bei bewegtem Seegang, kann man trotzdem ertrinken.

Für die Version eines Mordes auf Bestellung gibt es nach Ansicht des Gerichts viele Indizien. Aber es reicht den Landshuter Richtern nicht. Und so wird Konrad H. in diesem Punkt aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Als erwiesen erachtet das Gericht hingegen die anderen, ähnlichen Fälle: dass er zwei Menschen eine Unfall-Risiko-Versicherung aufschwatzte, die Konrad H. im Falle ihres Ablebens zu einem reichen Mann gemacht hätte, und dass er drei andere Personen aus Habgier dazu bewegen wollte, bei seinen Plänen mitzuwirken und somit einen als Unfall getarnten Mord zu begehen. Das brachte ihm schließlich eine Verurteilung zu neun Jahren Haft wegen Anstiftung zum Mord.

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch im Fall des Wiggerl A. blieb erfolglos. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil des Landgerichts. Dass nicht geklärt werden konnte, ob A. ermordet wurde und ob der Angeklagte daran mitgewirkt habe, müsse hingenommen werden.

Vom Versuch des Versicherungsbetrugs kann sich Konrad H. auch nach seiner Haftstrafe nicht lösen: 2005 verurteilt das Amtsgericht Erding den inzwischen 66-Jährigen zu sieben Monaten Gefängnis wegen versuchter Erpressung. In einem Schreiben an eine Versicherung hatte er die Auszahlung einer Lebensversicherung in Höhe von etwa 140 000 Euro gefordert. Andernfalls würden die Flughäfen in München, Köln und Düsseldorf mit "Killer-Bakterien" verseucht - in dem Erpresserschreiben ging es um die Auszahlung der Versicherung auf seinen toten Schankkellner.

© SZ vom 02.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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