Landtagswahl im Landkreis Erding:Paritätische Auswahl

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(Foto: Stephan Görlich)

Die sechs im Maximilianeum vertretenen Parteien schicken im Landkreis Erding drei Frauen und drei Männer als Direktkandidatinnen und -kandidaten ins Rennen. Auch die Mischung nach Alter und Beruf ist ganz gut gelungen.

Von Regina Bluhme, Felix Krauser und Florian Tempel, Erding

Es gibt noch einige Kandidatinnen und Kandidaten mehr, die bei der Landtagswahl an diesem Sonntag im Landkreis Erding antreten. Doch die drei Frauen und drei Männer, die die Erdinger SZ hier noch einmal in kompakter Form vorstellt, eint bei allen Unterschieden eines und hebt sie hervor: Sie treten für Parteien an, die aktuell im Bayerischen Landtag vertreten sind und die es - bis auf die FDP, die zittern muss - wohl auch wieder sein werden.

Sozialministerin und MdL Ulrike Scharf, CSU. (Foto: Renate Schmidt)

Ministerpräsident Markus Söder sagt über Ulrike Scharf, CSU, dass ihm ihr Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen imponiere. In der Tat zeichnet sich ihre politische Laufbahn auch dadurch aus, dass sie nach Rückschlägen nie aufgegeben hat. Die heute 55-Jährige stammt aus der Gemeinde Fraunberg. Ihr Großvater hat das Omnibusunternehmen Scharf vor 93 Jahren gegründet, das heute ihre Brüder leiten. Sie selbst hat nach einem Betriebswirtschaftsstudium ein Reisebüro in Erding aufgebaut. Sie lebt in Maria Thalheim, hat einen erwachsenen Sohn und ist vor kurzem Großmutter geworden.

Sie wollte schon immer in die Landespolitik. Von 2006 bis 2008 war sie erstmals Landtagsabgeordnete. Sie war als Listenkandidatin für den ehemaligen Wirtschaftsminister und Freisinger Abgeordneten Otto Wiesheu nachgerückt. Trotz eines hervorragenden Listenplatzes schaffte sie jedoch 2008 den Wiedereinzug ins Maximilianeum nicht. Ein Jahr darauf wurde sie Vorsitzende der oberbayerischen Frauen-Union und der bayerischen Wasserwacht, zwei Ämter, die sie über ihre politische Durststrecke brachten. Im Oktober 2011 stieg sie - obwohl sie kein anderes Mandat außer einen Sitz im Erdinger Kreistag hatte - als Landesschatzmeisterin der CSU in den innersten Führungszirkel der Partei auf.

2013 setzte sich Scharf in einer Kampfabstimmung um die Direktkandidatur gegen den damaligen Abgeordneten Jakob Schwimmer durch. Bei der Landtagswahl erhielt sie dann 49,8 Prozent. Ein Jahr später ernannte sie Horst Seehofer zur Umweltministerin. Als Markus Söder im März 2018 Ministerpräsident wurde, war sie ihren ersten Kabinettsjob wieder los und nur noch Ministerin a. D. Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren holte Ulrike Scharf mit 37,9 Prozent erneut das Direktmandat. 2019 wurde sie Landesvorsitzende der Frauen-Union. Im Februar 2022 berief sie Söder als Sozialministerin zurück in die Staatsregierung.

Sven Krage, Freie Wähler. (Foto: Renate Schmidt)

Sven Krage, Freie Wähler, kommt aus Berlin - das ist unüberhörbar und das ist gut so. Die Berliner lieben ja Bayern, auch wenn diese Zuneigung in anderer Richtung nicht so ausgeprägt ist. Der 55-jährige Krage ist freilich auch ein Musterbeispiel für Integration. Als junger Mann kam er 1989 nach Bayern, seit 2003 wohnt er in Dorfen. Dass er seit 25 Jahren Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr ist - Atemschutzgeräteträger und Maschinist -, ist bezeichnend für seine persönliche Einstellung, sich aktiv dort einzubringen, wo er lebt. Das ländlich-dörfliche Eibach ist genau nach seinem Geschmack. Die Großstadt, aus der er einst kam, scheint er nicht zu vermissen. Beruflich ist er Vertriebsleiter für ein Medizintechnikunternehmen. Politisch ist er seit der Kommunalwahl 2020 Dritter Bürgermeister von Dorfen.

Dass Krage zu den Freien Wählern gegangen ist, liegt in erster Linie an deren kommunalpolitischem Konzept, vor allem an pragmatischen Lösungen interessiert zu sein und diese frei von Ideologie suchen zu wollen. Das gefällt ihm. Als FW-Chef Hubert Aiwanger mit dem Neonazi-Flugblatt konfrontiert wurde, das er als Oberschüler in seiner Schultasche bei sich trug, stellte sich Krage aber fast schon bedingungslos hinter ihn. Er nannte die Recherchen der SZ eine "Hetzkampagne", in der es erkennbar darum gehe, einem "erfolgreichen Politiker" kurz vor der Wahl zu schaden. Dass Aiwanger nur zögerlich zu der Sache Stellung bezogen hat, könne er nachvollziehen, sagte Krage. "Er reagiert aus meiner Sicht richtig, ich würde ohne meinen Anwalt auch nichts sagen." Grundsätzlich ist Sven Krage gleichwohl dafür, möglichst unvoreingenommen mit allen zu reden. Nur so lasse sich die Spaltung der Gesellschaft aufhalten.

Laetitia Wegmann, Bündnis 90/Die Grünen. (Foto: Renate Schmidt)

Die Grünen-Kandidatin Laetitia Wegmann bezeichnet die Gesundheitspolitik als ihre persönliche Priorität. Die 20-jährige Taufkirchenerin weiß, wovon sie spricht: Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr bei den Barmherzigen Brüdern hat sie selbst in der Pflege gearbeitet. "In unserem Gesundheitssystem sehe ich ein Missverhältnis zwischen dem, was langfristig den größten Gesundheitserhalt bringen würde und was kurzfristig wirtschaftlich ist." Aber sie will nicht nur kritisieren: "Wenn ich nicht zufrieden bin, will ich zeigen, wie es besser funktionieren könnte." Das sei der Grund für ihre Kandidatur. Für die 20-Jährige, die Pflegewissenschaften studiert, ist der ÖPNV zudem "einer der Gründe, warum ich politisch aktiv geworden bin". Die Taufkirchenerin hat in Landshut die Fachoberschule besucht und ist dorthin mit dem Bus 313 hin- und hergependelt. Die Linie wurde inzwischen eingestellt.

Zur aktuellen Energiewende sagt sie, es werde Zeit, dass Bayern seinen Beitrag leiste. Sie selbst ist kürzlich bei einem gemeinsamen Pressetermin mit MdL Johannes Becher mit einer E-Rikscha durch Dorfen getourt. Bei der Windkraft setzt Wegmann auf möglichst breite Bürgerbeteiligung, "damit die Leute, die in der Nähe wohnen, davon profitieren". Ganz wichtig sei auch die Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft, die schon seit Jahren die Energiewende mit viel Pragmatismus voranbringe. Laetitia Wegmann findet es zudem wichtig, "die Geflüchteten so schnell wie möglich in Arbeit zu bringen". Das entzerre mittel- und langfristig die Unterbringungs- und Wohnungssituation. Außerdem müsse man auf den Leerstand reagieren und gemeinsam als Land und Bund die Kommunen unterstützen. Ein weiterer Fokus der jungen Grünen-Kandidatin liegt auf der Jugend- und Bildungspolitik. Es sei wichtig, dass sich junge Leute einbringen könnten. "Denn wir jungen Leute sind nicht politikverdrossen - außer man macht uns dazu."

Benedikt Klingbeil, SPD. (Foto: Renate Schmidt)

Mit seinen 19 Jahren ist Benedikt Klingbeil (SPD) der Jüngste unter den Erdinger Kandidaten und Kandidatinnen. Er hat in diesem Jahr das Fachabitur gemacht und absolviert nun ein Dualen Studium bei der Stadt München und der Hochschule für Angewandtes Management (HAM) in Ismaning im Verwaltungsmanagement.

Schon mit zwölf Jahren habe er sich für Politik interessiert, sagt der SPD-Kandidat, an seinem 14. Geburtstag ist er in die SPD eingetreten. Als ehrenamtlicher Schiedsrichter achtet der begeisterte Fußballer genau darauf, dass die Spielregeln eingehalten werden. Dass es gerecht zugeht, das ist ihm auch in der Politik wichtig: Soziale Gerechtigkeit ist sein Thema. So sei es auch bei der Energiewende in jedem Fall notwendig, diese mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden, betont er.

Jüngst stand er in Eitting neben Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) und den beiden Landtagsabgeordneten Benno Zierer (FW) und Johannes Becher (Grüne) beim Thema Flughafen auf dem Podium und ließ sich von den langjährigen Politprofis nicht den Schneid abkaufen. "Wenn die SPD am 8. Oktober die Mehrheit gewinnt, und das möchte ich nicht ausschließen", so Klingbeil, werde sich die Partei für ein Nachtflugverbot am Flughafen München einsetzen.

Ein großes Thema ist für den 19-Jährigen die Schul- und Bildungspolitik. Diese weise zum Beispiel bei der Digitalisierung "gravierende Mängel auf". Im politischen Diskurs ist es seiner Ansicht nicht in erster Linie notwendig, andere zu überzeugen, sondern man sollte erst einmal selbst versuchen, die andere Seite und deren Argumentation zu verstehen. Die Frage nach dem richtigen Umgang in der Asylpolitik sieht er als "komplexes Problem, das an runden Tischen gelöst werden muss". Wichtig sei es vor allem, mit dem Ohr nah an den Kommunen zu sein und vorausschauend zu planen. Auf den Tag der Wahl freut er sich im Übrigen nicht, wie er einmal verraten hat. Nicht, weil er ein schlechtes Wahlergebnis fürchtet, sondern weil dann der Wahlkampf vorbei sei und ein Abschnitt zu Ende geht, "in dem ich sehr viel lernen durfte".

Anne Connelly, FDP. (Foto: Renate Schmidt)

Anne Connelly tritt für die FDP an. Die Stadträtin ist gebürtige Hessin, aber schon seit "über 20 Jahren in Erding dahoam", wie sie sagt. Connelly ist in der Finanzbranche tätig, hat sich mit "Her Money" in Erding selbständig gemacht und bietet Anlageberatung speziell für Frauen an. Auch online gibt sie als "Finfluencerin" ihre Tipps weiter, Digitalisierung ist ihr also besonders wichtig. Ihr Konferenzraum in ihrem Büro am Erdinger Bahnhof ist bestens ausgestattet. Seit 2021 ist sie Vorstandsmitglied des FDP-Kreisverbands, auch hier engagiert sie sich vorrangig für Frauen- und Finanzthemen.

Ihre Kernthemen zur Wahl sind Bildung, Energie und die Wirtschaft. Connelly setzt sich für den Ausbau erneuerbarer Energien "mit Augenmaß" ein, vor allem aber auch für moderne Technologien, wie Geothermie und Wasserkraft. Typisch FDP, will man sich hier betont "technologieoffen" zeigen. Ähnlich will es die Gründerin auch bei der Verkehrswende angehen. Sie plädiert dafür, den Ausbau des ÖPNV maximal pragmatisch anzugehen. In der Stadt sei das uneingeschränkt positiv zu sehen, auf dem Land eher schwierig. Dort sehe sie vor allem Freiheit für das Auto, "weil es für viele die effizienteste Art ist".

Connelly will eine Start-up-Kultur fördern. Zudem setzt sich die Finanzberaterin für die Ansiedlung eines Hochschulstandorts in Erding ein. So soll der Bildungsstandort Erding ausgebaut und optimiert werden. Beim Thema Migration fordert Connelly die Nutzung des Erdinger Fliegerhorsts zur Unterbringung von Geflüchteten. Außerdem ist sie für die Einwanderung von Fachkräften mittels eines Punkte-Systems nach kanadischem Vorbild. Im Wahlkampf setzte sie auf Unterstützung aus Berlin. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki sprach im Erdinger Weißbräu bei einer Wahlkampfveranstaltung und auch Focus-Gründer Helmut Markwort, der in Freising für die FDP selbst um ein Direktmandat kämpft, war zur Unterstützung geladen.

Martin Huber, AfD. (Foto: Renate Schmidt)

AfD-Kandidat Martin Huber ist ein politisches Phänomen. Die meisten Vertreter der anderen Parteien wollen nicht mit ihm reden, ignorieren ihn und lassen ihn rechts liegen. Das kennt der 63-Jährige aus 33 Jahren im Taufkirchener Gemeinderat und ebenso vielen Jahren im Erdinger Kreistag. Dabei ist er im persönlichen Umgang ein freundlicher und leutseliger Mann. Sein langjähriges politisches Engagement, seit 1990 zuerst als Republikaner und seit fünf Jahren als AfD-Mitglied, erklärt er so: "Weil mir meine Heimat und die Menschen, die hier leben, wichtig sind." In diesem Satz kommt allerdings auch zum Ausdruck, dass seine Empathie sich nur auf einen beschränkten Kreis von Mitmenschen erstreckt. In seinen politischen Reden kommt er seit eh und je zu dem immer gleichen Ergebnis: Schuld an jeder Art von Misere ist die Migration.

Das Holzland und die Gemeinde Taufkirchen sind seine Region, wo viele ihn mögen. Er ist gelernter Maurer und war 25 Jahre auf dem Bau tätig, bevor er in einen Job als kaufmännischer Angestellter wechselte. Als Bürgermeisterkandidat schaffte er es 1996 in die Stichwahl gegen Franz Hofstetter (CSU). Er scheiterte zwar, aber mit einem satten 40-Prozent-Ergebnis. Er kandidierte bei Europa- und Landtagswahlen, aber überregional fehlte ihm stets der heimische Stammtisch-Bonus. Bei den Republikanern brachte er es zum Oberbayern-Vorsitzenden und in den Landesvorstand. Ein Anruf von Alice Weidel vor fünf Jahren soll ihn, eigenen Angaben nach, zum Wechsel zur AfD bewogen haben. 2018 kandidierte Huber gleich mal bei der Landtagswahl - und hätte über die Liste beinahe sogar den Einzug ins Maximilianeum geschafft.

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