Sophienhospiz Freising-Erding:Der erste Gast ist angekommen

Lesezeit: 4 Min.

Eine ganz besondere Atmosphäre herrscht im Raum der Stille im Sophienhospiz Freising-Erding. (Foto: Stephan Görlich)

Das Sophienhospiz Freising-Erding hat vor wenigen Tagen eröffnet. Karl Weiß verbringt hier seine letzte Lebenszeit. Er ist beeindruckt von der Leistung des Pflegeteams.

Von Regina Bluhme, Erding/Freising

Das Sophienhospiz Freising-Erding hat den ersten Gast aufgenommen. Karl Weiß, 62, aus Walpertskirchen, ist gerne bereit, mit der Zeitung zu sprechen. Er wartet schon im Wohnzimmer. So heißt der Aufenthaltsraum, der mit den Sesseln, den drei, vier Tischen und den Bücherregalen glatt als Caféraum durchgehen könnte. Karl Weiß sitzt im Rollstuhl an einem kleinen Tisch, weißes Hemd, blaue Jacke, neugieriger Blick. Noch kommt an der Glasfront zum Flur der eine und andere Handwerker vorbei, die Brandmeldeanlage wird gerade getestet. Es ist ja alles noch ganz neu. "Hier ist es wunderbar", sagt Weiß und lächelt.

1 / 3
(Foto: Stephan Goerlich)

Im Raum der Stille sollen Patienten, Angehörige und auch das Pflegepersonal Ruhe finden und Kraft tanken.

2 / 3
(Foto: Stephan Görlich)

Die in Bernstein- und Blautönen changierenden Fenster stammen aus der Werkstatt der Mayerschen Hofkunstanstalt und sorgen für eine außergewöhnliche Atmosphäre.

3 / 3
(Foto: Stephan Goerlich)

Das Foto zeigt eins der insgesamt zwölf Gästezimmer des Sophienhospizes.

Zwölf Zimmer hat das im Halbrund angelegte Hospiz, das auf Initiative der MWS-Hospiz-Stiftung des Freisinger Ehepaars Marianne und Werner Folger und ihrer Tochter Sofia errichtet wurde. Zu Beginn werden vier todkranke Menschen im Sophienhospiz versorgt, erklärt Heimleiterin Rita Gabler. Dann sollen im Laufe des Jahres alle zwölf Räume am Sternweg in Erding belegt werden. Die Nachfrage ist groß. Rita Gabler zählt 23 Menschen auf der Warteliste, Menschen, deren Krankheit keine Aussicht auf Heilung hat. Menschen wie Karl Weiß.

Im November 2019 war eine Operation an der Nase geplant, ein Routineeingriff, dann brachte die Computertomographie den Befund: Verdacht auf einen Hirntumor. Weitere Untersuchungen und eine Operation im Klinikum Rechts der Isar bestätigten den Verdacht: Glioblastom, ein sehr aggressiver Hirntumor, der schnell und auch nach erfolgreicher Entfernung immer wieder wächst. Nach der ersten Operation sollten noch zwei weitere im Abstand von je sechs Monaten folgen, aber immer meldete sich der Tumor zurück.

Im Sommer 2020 hat Karl Weiß mit seiner Frau Monika eine Reise an den Bodensee gemacht. Zusammen haben sie das Pro und Contra einer erneuten Operation beraten. "Dort haben wir beschlossen: Nein, wir lassen es nicht noch mal machen. Und ich sage bewusst: Wir", erklärt Karl Weiß und blickt zu seiner Frau. Ein weiterer Eingriff würde keine Heilung bringen, und das Risiko, das eine neue Operation mit sich bringe, sei auch nicht überschaubar. "Wir wollten noch einen schönen Sommer verbringen", sagt Monika Weiß. Gemeinsam haben sie dann im Elsass mit den beiden Kindern Urlaub gemacht. Dort erlitt Weiß einen epileptischen Anfall und eine Hirnblutung, wurde mit einer kompletten Halbseitenlähmung ins Krankenhaus eingeliefert. Nach dem Rücktransport wurde er ins Klinikum Wartenberg auf die Palliativstation eingeliefert. Dort habe er Pflege erlebt, "von solcher Menschlichkeit, das hat mich beeindruckt und berührt".

Im Februar wurde der erste Gast begrüßt: Marianne Folger von der MWS-Hospiz-Stiftung mit Gast Karl Weiß, dessen Frau Monika Weiß und Heimleitung Rita Gabler. (Foto: Stephan Görlich)

Nachdem sich sein Gesundheitszustand stabilisiert hatte, holte ihn seine Frau nach Hause nach Walpertskirchen. Sie trat beruflich kürzer, stellte sich ganz auf ihren Mann ein. 24 Stunden war sie mit seiner Schwester damit beschäftigt, sich um ihren Mann zu kümmern und die Pflege zu organisieren. "Ein eigenes Leben hatte ich nicht mehr." Sie geriet an den Rand der körperlichen und psychischen Erschöpfung. Bis es einfach nicht mehr ging. Doch wohin? Diese Frage stellten sich viele verzweifelte Angehörige von Todkranken, weiß Marianne Folger, Vorsitzende der Hospizgruppe Freising und seit Jahren in der Hospizarbeit aktiv. Palliativbetten in Kliniken sind zeitlich limitiert, Seniorenheime nicht der richtige Ort und Hospize sind in der Region rar gesät. Die nächsten Hospize sind in München, Ingolstadt oder Vilsbiburg, Plätze sind selten frei.

Karl Weiß hatte zunächst einen Platz im Hospiz in Vilsbiburg erhalten. Jeden Tag insgesamt 90 Kilometer war Monika Weiß für den täglichen Besuch unterwegs. Nach Erding hat sie jetzt nur noch 15 Kilometer, "das ist eine enorme Erleichterung". Auch ihre Beziehung zu ihrem Mann habe sich verändert. "Wir haben mehr Zeit füreinander, wir reden viel mehr, jetzt bin ich Ehefrau und nicht Pflegerin."

Dass es mit dem Hospiz für die Region Freising und Erding endlich geklappt hat, ist der Privatinitiative der Freisinger Familie Folger zu verdanken. Anders als staatliche Bauherren konnte die Stiftung schneller agieren. Das Haus sollte allen Gesichtspunkten der Pflege gerecht werden, "aber es sollte auch was Schönes werden, und natürlich sollte es zeitnah fertig sein", so Marianne Folger. Wer das Haus besucht, weiß: Das ist in allen Punkten geglückt.

1 / 2
(Foto: Stephan Goerlich)

Das Badezimmer ist geschmackvoll eingerichtet.

2 / 2
(Foto: Stephan Goerlich)

Die Leitung der Küche hat Karin Leidenberger inne.

Die Gästezimmer sind hell und hochwertig ausgestattet. Nichts erinnert an Krankheit oder Tod, wäre da nicht die Leiste mit Anschlüssen für Sauerstoff, Strom oder die Patientenglocke. Vom Foyer führt der Weg in den Raum der Stille. Hier können Patienten, Besucher und Personal zur Ruhe kommen. Vor kurzem wurden die farbigen Fenster angebracht, die den Raum in ein warmes Licht tauchen. Auch an der Technik wurde nicht gespart. Das Haus verfügt über eine beeindruckende High-Tech-Badewanne, in die die Gäste gehievt werden können. Und dann ist da die modern ausgestattete Küche, "das Herz das Hauses", wie Marianne Folger sagt. Küchenleitung Karin Leidenberger kocht bio und regional. An diesem Tag riecht es wunderbar nach Brathendl. "Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Die Gäste sollen in ihren letzten Lebenstagen essen, was ihnen auch schmeckt", erklärt Marianne Folger.

Die MWS-Hospiz-Stiftung investiert mehrere Millionen in das Projekt. Sie hat eine Gesellschaft gegründet, die das Hospiz betreibt, die Sophienhospiz gGmbH. Ein Großteil der notwendigen Kosten des Hospizbetriebes decken die Krankenkassen, den Rest muss die Stiftung selbst aufbringen. Die Einrichtung ist daher auf Spenden angewiesen. Die Süddeutsche Zeitung unterstützt mithilfe des Adventskalenders für gute Werkte das Projekt mit einem hohen sechsstelligen Betrag.

Karl Weiß, von Beruf Bauprojektsteuerer, ist begeistert von den Räumlichkeiten. Und von den Pflegekräften, "sowohl von der menschlichen als auch von pflegerischer Seite." Er will sich für sie stark machen, sie dürften nicht mit so viel Verwaltungsarbeit belastet werden, das hat er auch an Gesundheitsminister Karl Lauterbach geschrieben. Er habe durch die Erfahrung mit den Pflegenden zum Glauben gefunden. Woher sollten diese die tägliche Kraft hernehmen - "das muss von Gott kommen". Überhaupt hat er noch viel vor. Ein Symposium könnte er sich im Sophienhospiz vorstellen, mit Bewohnern, Filmen und Infos über das Hospiz. Der Tod werde ja von den Menschen verdrängt, gesellschaftlich ausgeklammert. Er selbst habe keine Angst vorm Sterben. Was schmerze, sagt er, und jetzt kommen ihm die Tränen, sei der Abschied von seiner Frau, den Kindern, den Freunden.

Vom Wohnzimmer aus sind durch die Terrassentür die Landschaftsgärtner beim Arbeiten zu sehen. Alle Gästezimmer haben Blick auf den Garten und die Abendsonne, erklärt Marianne Folger. Wie auf Bestellung bricht an diesem späten Nachmittag die Sonne durch den grauen Winterhimmel. "Die Abendsonne ist mir ohnehin am liebsten", sagt Karl Weiß.

© SZ vom 05.02.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWie wir sterben
:Am Ende

Der Tod gehört eigentlich zum Leben. Aber wir haben verlernt, über ihn zu sprechen - und zu trauern, wenn jemand geht. Wie lässt sich das ändern? Eine Reise im Diesseits.

Von Christoph Koopmann (Text) und Friedrich Bungert (Fotos)

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: