Unfälle bei Umzügen, Festen und Festivals:"Das Leben zeigt uns immer wieder Grenzen auf"

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Nach dem Tod eines jungen Mannes auf der Echinger Brass Wiesn wird viel über Sicherheit diskutiert. Beim feucht-fröhlichen Umzug der Hemadlenzen in Dorfen hat man da vor Jahren deutlich nachgebessert - einen ähnlichen Unfall aber nicht verhindern können. Der Polizeichef sagt: "Ein Faktor X bleibt."

Von Thomas Daller, Dorfen

Die Bestürzung war groß, als vor mehr als einer Woche der 25-jährige Tobias D. aus dem Landkreis Erding nach der Brass Wiesn in Eching im Landkreis Freising zunächst spurlos verschwand und dann nach fünf Tagen intensiver Suche von Badegästen aus dem Echinger See geborgen wurde. Ein Notarzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Zuvor hatten nicht nur 70 Beamte Tobias gesucht, sondern auch Freunde, Bekannte und freiwillige Helfer. Möglicherweise ist er Kopf voraus ins Wasser gestürzt und ertrunken. Zumindest ein Fremdverschulden wird ausgeschlossen - ein tragischer Unfall also.

Trotzdem wird seither diskutiert, machen sich Veranstalter, Polizei, andere Festivalbesucher und Hinterbliebene Gedanken, ob die Brass Wiesn vielleicht aus dem Ruder läuft, ob zu viel getrunken wird, man mit besseren Sicherheitskonzepten so ein Unglück hätte verhindern können. Ein Fall aus Dorfen aber zeigt, dass man eine absolute Sicherheit nicht gewährleisten kann.

Wie die Brass Wiesn ist auch der Hemadlenzenumzug im Fasching in Dorfen eine Großveranstaltung, bei der gefeiert, getanzt und getrunken wird. Dorfen lief allerdings Anfang des Jahrtausends tatsächlich ein paar Jahre lang aus dem Ruder: Bereits am frühen Morgen waren dort alkoholisierte Jugendliche unterwegs, die sich selbst und andere gefährdeten. Glasscherben lagen am Boden, manche torkelten abseits der gesperrten Bereiche über befahrene Straßen, schon nachmittags mussten einige ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Da ging es bei der Brass Wiesn dem Vernehmen nach um einiges zivilisierter zu.

Polizei-Präsenz und striktere Regeln haben geholfen

In Dorfen haben Polizei, die Karnevalsgesellschaft als Veranstalter und die Stadt Dorfen dann auf ein strikteres Sicherheitskonzept gesetzt, das sich auch sehr schnell bewährte: Das Diskozelt, in dem auch Schnaps ausgeschenkt wurde, musste weichen und die Polizei führte Taschenkontrollen durch, damit die jugendlichen Teilnehmer nichts Hochprozentiges zum Umzug einschmuggelten. Es gab allgemein eine höhere Polizeipräsenz mit mehr Zivilbeamten und mehr Fahrzeugkontrollen. Das war sehr erfolgreich, Polizei und Rettungsdienste waren nicht mehr im Dauereinsatz. Das Konzept wurde immer ausgereifter und schließlich war der Hemadlenzenumzug wieder eine fröhliche traditionelle Faschingsveranstaltung für die ganze Familie. Man hatte wieder alles im Griff, dachte man.

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Bis zum Hemadlenz Ende Februar 2019. Abseits von der Umzugsstrecke am Ufer der Isen wollte ein junger Mann am Nachmittag wohl ins Wasser bisln, verlor auf den Steg das Gleichgewicht, fiel in die Isen, das rasch vollgesogene warme Wintergewand zog ihn auf den Grund und er war sofort verschwunden. Ein Großaufgebot von Rettungskräften suchte zwei Stunden nach ihm, konnte ihn jedoch nur tot bergen.

Wäre dieser tödliche Unfall zu verhindern gewesen? Wohl kaum. Sicherheitskonzepte, sagt Dorfens Polizeiinspektionsleiter Harald Kratzel, versuchen immer, alle Aspekte abzurastern. Aber sie beruhen auch auf Erfahrungswerten. Und die Isen war, wenn sie nicht mal bei einem Hochwasser ihre gefährliche Fratze zeigte, immer freundlich zu den Dorfenern. Kinder schwimmen im Sommer in ihr, springen am Alten Bad von den Bäumen ins Wasser. Passiert ist nie etwas, weiß auch Petra Tafelmaier. Sie ist seit 45 Jahren Mitglied der Dorfener Wasserwacht und hat die meiste Erfahrung. Vor und nach dem tödlichen Unfall beim Hemadlenzen musste die Wasserwacht noch nie jemanden aus der Isen retten, geschweige denn, dass in dem Fluss jemand ertrunken wäre.

Das ist es auch, was Polizeichef Kratzel meint, wenn er von einem "Faktor X" spricht, der bleibe, auch wenn man alle möglichen Szenarien berücksichtigen wolle. "Es ist gut und notwendig, wenn man sich auf alle möglichen Vorfälle vorbereitet. Aber das Leben zeigt uns immer wieder Grenzen auf, mit Vorfällen, die davor als undenkbar galten." Kratzel: "Ich sage mal ein ganz unschönes Beispiel: Bis 9/11 war im Denken der Sicherheitsbehörden das Szenario nicht enthalten, dass ein Passagierflugzeug in ein Hochhaus reinfliegt."

Ein polizeiliches Absperrband beeindruckt nicht jeden

Und dann stelle sich noch die Frage, wie verschärfte Sicherheitsvorkehrungen nach so einem Unglücksfall überhaupt aussehen könnten, sagt Kratzel. Von einem polizeilichen Absperrband lasse sich bei solchen Veranstaltungen nicht jeder beeindrucken "und ich kann nicht den kompletten Flusslauf überwachen lassen". Die Fälle in Eching und Dorfen seien tragisch. Doch es gebe kein hundertprozentiges Sicherheitskonzept. "Und wenn ich mir die vielen Feste und Veranstaltungen in Bayern ansehe und wie wenig passiert, denke ich, dass wir ganz gute Sicherheitskonzepte haben."

Die Rettung eines Ertrinkenden müsse auch in einem enormen Tempo erfolgen, gibt Felix Huber zu bedenken. Er ist bei der Wasserwacht für die Schwimmkurse der Kinder und die Ausbildung der Rettungsschwimmer zuständig. Bei einem Ertrinkenden sterben nach etwa drei Minuten die ersten Gehirnzellen ab, jede Sekunde zählt. Deshalb wirbt die Wasserwacht Dorfen aktuell wieder mit einem unübersehbaren Banner im Eingangsbereich des Freibads dafür, dass man sich zum ehrenamtlichen Rettungsschwimmer ausbilden lässt. Es sind noch Plätze frei.

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