Arbeitsmarkt:Corona beeinflusst Lehrstellenmarkt nur kurz

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Eine Lehre zur Friseurin? Viele Azubis hätten sich in der Schule mehr Berufsbildung gewünscht, um eine informierte Entscheidung zu treffen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Zahl der Ausbildungsplätze in der Region übersteigt die der Bewerber seit Jahren. Befürchtet wird eine Verschärfung des Fachkräftemangels.

Von Gerhard Wilhelm, Erding/Freising

Die Corona-Pandemie hatte auch Auswirkungen auf den regionalen Ausbildungsmarkt, wie die Agentur für Arbeit mitteilt. Aber nicht lange. Gerade in den stark von der Pandemie betroffenen Branchen seien kurzfristig weniger Ausbildungsstellen gemeldet worden. Aber in diesem April seien es wieder mehr gewesen und der Landkreis Erding habe bereits fast wieder das Vorkrisen-Niveau erreicht. Für Erding und Freising gelte weiter, dass die Zahl der Ausbildungsstellen die Zahl der Bewerber übersteigt.

Für das Handwerk ist das keine gute Situation: Die Betriebe finden immer weniger Lehrlinge. Das Problem seien nicht zu wenige Ausbildungsplätze, sondern zu wenige Bewerberinnen und Bewerber, da viele Schulabgänger in Abitur und Studium den Königsweg für einen beruflichen Erfolg sehen, was eine falsche Annahme sei, sagt Florian Reil, Pressereferent der IHK München und Oberbayern.

Komfortable Situation für viele Jugendliche

2022 sind laut Arbeitsagentur die selben Themen wie vor der Pandemie relevant: Das Angebot übersteigt in den unterschiedlichen Branchen und Berufsfeldern die Nachfrage auf Seiten der Jugendlichen. Das sei für viele junge Leute auf Ausbildungssuche eine komfortable Situation: Sie können zwischen verschiedenen Berufen und Arbeitgebern wählen. Dies führe aber auch dazu, dass einige Unternehmen ihre Ausbildungsstellen nicht besetzen können. Die Arbeitsagentur weist aber darauf hin, dass Unternehmen nicht verpflichtet seien, den Arbeitsagenturen ihre offenen Ausbildungsplätze zu melden, auch die Angebote der Berufsberatung für die Jugendlichen seien freiwillig. "Die Zahlen der Ausbildungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit bilden also stets nur einen Teil des Ganzen ab", schreibt Christine Schöps von der Presseabteilung der Arbeitsagentur Freising, zu der auch der Landkreis Erding gehört.

Seit Beginn des Berufsberatungsjahres am 1. Oktober 2021 meldeten die Betriebe im Landkreis Freising 995 Ausbildungsstellen (Stand April). Das waren 124 mehr als im Vorjahreszeitraum. 616 Plätze seien jetzt im April noch vakant, 109 mehr als im April 2021. 339 junge Leute sind noch auf der Suche nach einer beruflichen oder schulischen Perspektive, das sind 52 weniger als im Jahr zuvor.

In Erding waren 682 Ausbildungsstellen zu besetzen, das sind nur acht Stellen mehr als im Jahr zuvor. 473 waren im April noch vakant, 73 Stellen mehr als im Frühjahr 2021. 195 Jugendliche sind noch auf der Suche, 31 weniger als im April des Vorjahres. "Aktuell ist aber noch viel Bewegung auf dem Ausbildungsmarkt", teilt die Agentur mit.

"Die Lage spitzt sich zu"

Bei den beliebtesten Ausbildungsstellen gibt es durchaus Unterschiede in den beiden Landkreisen. Bei den Top drei in Erding steht "Kaufmann/-frau im Einzelhandel" an erster Stelle, gefolgt von "Kfz-Mechatroniker/in - Pkw-Technik" und "Zahnmedizinische/r Fachangestellte/r". In Freising ist an dritter Stelle bei den "Lieblingsberufen" der "Fachinformatiker - Systemintegration". In Erding ist zudem der Tischlerberuf durchaus gefragt (Platz acht), während in Freising sich viele Jugendliche auch vorstellen können, "Bankkaufmann/-frau" (Platz zehn) zu werden. Und auch in einem anderen Punkt unterscheiden sich die Landkreise: In Erding haben sich von Oktober 2021 bis April 2022 wieder mehr Jugendliche zur Berufsberatung angemeldet (plus 27), in Freising sank die Zahl der leicht (minus 23).

"Was ich schon seit 20 Jahren als Vertreter der Bauinnung und seit 13 Jahren als Kreishandwerksmeister bemängele und auch beklage, spitzt sich immer mehr zu", sagt Rudolf Waxenberger aus Erding. Bei der Berufswahl spielten Studium und akademische Ausbildung eine übergewichtige Rolle und die duale Handwerksausbildung gerate mehr und mehr ins Hintertreffen. Die Folge sei ein zunehmender Facharbeitermangel - nicht nur im Handwerk, sondern auch bei allen anderen Lehrberufen gerade im Mittelstand. Auszubildende, speziell für Bauberufe (Maurer, Betonbauer, Maler, Trockenbauer) sowie im Bäckerei- und Metzgereifach sind kaum noch zu bekommen, Friseurbetriebe tun sich schwer, lediglich Zimmerer und Schreiner, weil die mit Holzverarbeitung zu tun haben, bekommen noch so einigermaßen Lehrlinge." Auch im Kfz - und Metallhandwerk sei die Ausbildungsnachfrage als sehr unzureichend zu bezeichnen.

Viel Werbung gemacht

"Einige Berufe sind ein Problem, aber die haben wir schon seit Jahren. Bei den Nahrungsmitteln zum Beispiel", sagt Waxenbergers Freisinger Kollege Martin Reiter. Besser sehe es in Freising beim Bau aus. Dort habe man einen Zuwachs zu verzeichnen. "Da haben wir sehr viel Werbung gemacht", sagt Reiter. Es gebe aber ein Land-Stadt-Gefälle. Baufirmen auf dem Land hätten es leichter, den Nachwuchs von dem Berufsbild zu überzeugen. "Unser größtes Problem sind oft die Eltern, die ihre Kinder drängen zu studieren." Dabei stünden mit einer abgeschlossenen Ausbildung viele Wege offen.

Indirekt habe man auch von der Pandemie profitiert, sagt Reiter. Die meisten Betriebe hätten weiter arbeiten können, was die Jugendlichen schon bemerkt hätten. Nur bei der Gastronomie und den Friseuren habe es nicht geklappt und deshalb sei dort auch weniger ausgebildet worden. Insgesamt sei die Situation aber für die Lehrlinge besser: "Vor 15 Jahren hat es einen Überhang gegeben, wo wir jeden Betrieb gebeten haben, noch ein paar mehr auszubilden." Aber man dürfe die Situation nicht so schwarz sehen. Ein paar Sparten hätten immer Probleme.

Derzeit gibt es im Landkreis Erding fast 200 Ausbildungsbetriebe, im Landkreis Freising sind es mehr als 360, wie die IHK mitteilt. "Wir und die Betriebe sind der Überzeugung, dass eine duale Ausbildung die beste Investition in die Zukunft ist - sowohl für die Jugendlichen als auch für die ausbildenden Unternehmen." Mit großer Sorge sehe man, dass bereits seit mehreren Jahren nicht alle angebotenen Lehrstellen auch besetzt werden können. Für den Neustart nach der Krise seien die Unternehmen aber auf Fachkräfte angewiesen. "Der Fachkräftemangel ist langfristig für die Wirtschaft auch in den Landkreisen Erding und Freising das größte Risiko für die weitere wirtschaftliche Entwicklung", sagt Florian Reil.

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