Elektro-Musiker Florian Senfter:Stadionhymne mit Nebenwirkungen

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Hat eine Stadionhymne geschrieben, war aber noch nie im Stadion: Florian Senfter. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Lied wird so oft gegrölt wie "Seven Nation Army": "Kernkraft 400" ist einer der meistgespielten Songs bei Sportveranstaltungen weltweit. Geschrieben hat ihn der Münchner Florian Senfter alias Zombie Nation. Der 38-Jährige tritt auf der ganzen Welt auf, doch der Erfolg bedeutet für ihn auch Ärger.

Von Lisa Sonnabend

Es ist sein Lied. Und irgendwie auch sein Fluch. "Dadadada, Dadadadüdeldadeldü, dü, dada." Nach jedem Tor grölen sie es in den amerikanischen Eishockey-, Baseball- oder Footballstadien. Ob bei den Detroit Red Wings, den Boston Bruins oder den New Jersey Devils. Und mittlerweile auch im europäischen Fußball, bei Austria Wien oder beim SC Freiburg, wenn die Spieler aufs Feld laufen. "Kernkraft 400" ist einer der meistgespielten Songs bei Sportveranstaltungen weltweit, in einer Liga mit "Seven Nation Army" von The White Stripes oder "We Will Rock You" von Queen.

Der Mann, der die Stadionhymne mit der eingängigen Melodie produziert hat, sitzt in seinem kleinen, langgezogenen Büro im Münchner Gärtnerplatzviertel und wird nicht so gerne auf seinen großen Erfolgssong angesprochen. Florian Senfter sagt: "Das ist alles ziemlich außer Kontrolle geraten."

Senfter, der unter dem Namen Zombie Nation Musik macht, ist einer der meist gebuchten Live-Acts in der elektronischen Musik. Der 38-Jährige trägt Bart, dunkle Jeans, einen schlichten, dunklen Pulli mit V-Ausschnitt, eine schwarze Mütze und an der linken Hand einen Ehering. An diesem Montag ist sein neues Album "RGB" erschienen, das mittlerweile sechste. Darauf befinden sich 14 House-, Techno- und Electrotracks. Ziemlich eingängig, tanzbar, experimentell. Mal sanft, mal wuchtig. Ob wieder so ein Hit drauf ist? "Es war nie meine Absicht, eine Stadionhymne zu schreiben", sagt Senfter. "Ich war in meinem Leben noch nie in einem Stadion."

Doch auch ohne neuen Hit ist Senfter ein gefragter DJ. Er wirkt erschöpft. Das viele Reisen, Auflegen in Clubs, kaum ein Wochenende ist er daheim in München. Eine Erkältung, die er aus dem Flugzeug mitgebracht hat, plagt ihn. Mal wieder.

Die Melodie ist der Text

Senfter wuchs in München auf, lernte klassisch Gitarre spielen, später wechselte er zur E-Gitarre, besuchte das Dante-Gymnasium in Sendling, wurstelte sich durch bis zum Abitur. Während seine Freunde genau wussten, was sie später einmal werden wollen und ein Studium begannen, fand Senfter kein Fach, das ihn interessiert hätte. Stattdessen begann er Mitte der 90er Jahre, illegale Partys zu organisieren. Unter Brücken, auf Wiesen, in verlassenen Häusern. Dort legte er auch zum ersten Mal auf. "Es war praktisch, dass wir unsere eigenen Feiern hatten", sagt Senfter. "So musste ich mich nicht bei Clubs wie dem Ultraschall in eine lange DJ-Liste eintragen und hoffen, eines Tages einmal dranzukommen." Um sich zu finanzieren, nahm er Gelegenheitsjobs an, räumte Lastwagen vor dem Deutschen Theater aus und ein.

Senfters erste Platte "Leichenschmaus" erschien 1999 bei DJ Hells Plattenfirma Gigolo Records. Der erste Track darauf: "Kernkraft 400", den er gemeinsam mit DJ Mooner produzierte. Das Besondere an dem Lied: Die Melodie tritt derart in den Vordergrund, dass eine Singstimme nicht mehr nötig ist. Die Melodie ist der Text. Und die lässt sich sogar mitgrölen.

Diese Melodie stammt allerdings nicht allein aus der Feder von Senfter, sondern sie ist ein Bestandteil des Commodore-64-Spiels "Lazy Jones" aus den 80er Jahren. Zombie Nation musste deswegen später den Musikprogrammierer an den Gewinnen beteiligen. Wie hoch die Summe war? Darüber spricht er nicht. Nach der Veröffentlichung des Albums war der Erfolg da, der Ärger aber auch. Denn es war niemand darauf vorbereitet, auch nicht die Plattenfirma.

Ein italienischer DJ brachte einen Remix des Liedes heraus, der noch ein wenig eingängiger war und auch ein großer Hit wurde. Senfters Song wurde zudem von Gigolo Records mehrfach weiterlizenziert. In New York gab sich einmal eine Band einfach als Zombie Nation aus und gab vor großem Publikum ein Konzert. "Kernkraft 400" wurde immer bekannter, doch Senfter profitierte nicht allzu sehr davon.

"Als ich mit dem Musikmachen anfing, hätte ich mir nie träumen lassen, dass das über ein Jahrzehnt lang gutgeht": Florian Senfter im Fenster seines Büros. (Foto: Stephan Rumpf)

Millionär ist er mit "Kernkraft 400" nicht geworden, bei weitem nicht. Doch es kommt dadurch immer noch Geld rein und damit ist Senfter zufrieden, sagt er. "Als ich mit dem Musikmachen anfing, hätte ich mir nie träumen lassen, dass das über ein Jahrzehnt lang gutgeht." Und zu viel Geld sei sowieso nicht gut, findet Senfter. Ähnlich wie zu wenig Geld. "Das ist wie beim Wetter. Da ist es auch nicht angenehm, wenn es zu kalt oder zu heiß ist."

Senfter wohnt mit seiner Ehefrau und seinem eineinhalb Jahre alten Kind im Schlachthofviertel, sein Studio liegt am Kurfürstenplatz in Schwabing, sein Büro in der Baaderstraße. Dort sitzt er an diesem Nachmittag am Computer. Auf dem Schreibtisch liegen Rechnungen und Zettel mit Kritzeleien. In einer Ecke steht ein alter Plattenspieler, darauf liegt ein Megafon. An der Wand hängen ein Geweih und Bandposter. Die Glühbirne einer kleinen Tischlampe ist durchgebrannt. Im Regal stapeln sich die frisch eingetroffenen neuen Alben, als CDs und LPs. Nach den Erfahrungen mit "Kernkraft 400" hat Senfter sein eigenes Label gegründet. Der einzige Künstler, den er bei UKW Records unter Vertrag genommen hat, ist er selbst. "Falls mal wieder so ein Erfolg eintritt", sagt er. Und muss lachen. Der 38-Jährige gibt sich unaufgeregt und bescheiden.

Jet-Set-Leben - ein Traum?

Eine Rampensau ist er nicht. Müsste er wählen zwischen einem Auftritt auf der Bühne oder einem Arbeitstag im Studio, würde er den Tag im Studio nehmen, sagt er. Meist zwei Tage pro Woche verbringt Senfter im Büro und organisiert seine DJ-Auftritte, seine Kollegin Agnes Lazar hilft ihm. Flugrouten müssen geplant werden: Soll es demnächst am Wochenende nach Singapur oder nur bis Paris gehen? In München hat Senfter schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr aufgelegt, mehrmals pro Jahr tritt er dafür in Asien und den USA auf, auch in Australien war er schon. Der nächste Gig ist in ein paar Tagen in Wien, Silvester ist Madrid dran.

Für Senfter ist das Jet-Set-Leben allerdings nicht die Erfüllung eines großen Traumes. Eher eine Last. "Es ist nicht mehr so toll, nach Barcelona zu fahren wie noch beim ersten Mal", sagt der 38-Jährige. "Und es ist ja auch nicht so, dass man ein bisschen Musik macht, die Welt bereist und Sehenswürdigkeiten anschaut." Aber der Ansporn sei noch da: "Ich will bei jedem Auftritt beweisen, dass ich es besser machen kann", sagt er.

Solange will er weiter Musik machen. Ob es für seine Karriere von Vorteil gewesen wäre, München zu verlassen? Senfter findet: nein. "In Berlin kannst du nur zum Drogenopfer werden", sagt er. "Hier habe ich dagegen die nötige Ruhe, hier werde ich nicht abgelenkt." Wenn Florian Senfter in München ist, geht er fast jeden Tag auf dem Alten Südfriedhof spazieren. Weil es dort so still ist. Ausnahmsweise mal keine Musik.

© SZ vom 11.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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