Literatur:Langsames Verschwinden

Lesezeit: 1 min

Robert Wolfgang Segel hat selber auch schon im Tierpark Nürnberg gearbeitet. (Foto: Benno Wagner)

Robert Wolfgang Segel liest aus seinem Debüt-Roman "Ein Schaben", die Geschichte von zwei Brüdern.

Von Christian Jooß-Bernau

"Denen", hat der Bruder geflüstert, "mag ich nicht ohne Glasscheibe begegnen." Aber wie es manchmal so ist, mit Dingen vor denen man sich fürchtet, sind die beiden ihnen noch oft begegnet. Angezogen von diesen Lebewesen im Terrarium. Seit 300 Millionen Jahren unverwüstlich: die Fauchschaben. Der Ich-Erzähler Tommi erinnert sich. An die Kindheit, die Jahreskarte für den Tierpark Nürnberg. "Ich wäre gerne noch einmal mit dir hierher gekommen, mein Bruder."

Ja, einer fehlt. Der Bruder, der große. "Ein Schaben" heißt der Debüt-Roman von Robert Wolfgang Segel - erschienen beim unabhängigen Münchner Schillo Verlag. Ein Roman wie ein langer Brief, an einen, der nicht mehr ist. Ein Nachdenken über das langsame Verschwinden eines geliebten Menschen.

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Geboren 1984 in Fürth, hat Segel die Kindheit seiner Brüder in einem Fürther Vorort angesiedelt. Die Mutter ist evangelische Pastorin, der Vater eine Leerstelle, dessen Arbeitszimmer auch nach seinem Weggang noch in Schuss gehalten wird, um sich nicht mit der Endgültigkeit abfinden zu müssen. In dieser Kindheit, in diesem Leben, dem die Mutter durch Bibelzitate einen Halt gibt, ist kein Platz für das Ergründen von Gefühlen.

Tommi wird Koch, Bruder Micha bekommt mit seiner Jugendliebe zwei Kinder, heiratet sogar, aber nach und nach wird seine Existenz fragiler. So konkret sich der Ich-Erzähler an kleine Details zu erinnern vermag, so schwer wird es, die aufziehende Depression zu greifen. Segel gelingt es, in diesem Kontrast die Fassungslosigkeit der Familie real werden zu lassen. Nach und nach kapselt sich Bruder Micha ab von der Wirklichkeit. Klar zu sehen, in der Erinnerung ist das immer stärker werdende Ungleichgewicht zwischen den Brüdern. Während der jüngere sich ein eigenes Leben baut, zerrinnt es dem anderen, machtlos gelähmt.

Als alles zu Ende ist, besucht der Ich-Erzähler noch einmal den Tierpark Nürnberg, steht vor dem Terrarium, staunt über die Fauch-Schaben, die aus der Einfachheit einen Vorteil machten: "Doch deine Schaben, die waren alles andere als einfach, die fraßen alles, mein Bruder. Alles. Weil man sie unterschätzte."

Robert Wolfgang Segel: Ein Schaben, Schillo Verlag, Lesung am 6. November, 19.30 Uhr, Buch & Café Lentner

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