Schreibwettbewerb der VHS Vaterstetten:Machtvolle Worte

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Online-Aktivitäten nehmen auch nach dem Ende der Corona-Beschränkungen breiten Raum im Leben der Jugendlichen ein. Aber auch gebastelt wird mehr. (Foto: Ute Grabowsky/imago images/photothek)

Engagierte Nachwuchsautoren beim Schreibwettbewerb der VHS Vaterstetten: In allen Gewinnergeschichten geht es um existenzielle, gesellschaftskritische Fragen. Meist spielen sie im Hier und Jetzt, manchmal aber auch in historischem Kontext.

Von Anja Blum, Vaterstetten

"Ich wünsche mir ein Gesetz, in dem steht, dass alle Entscheidungsträger des Staates regelmäßig Geschichten lesen müssen, die von Kindern und Jugendlichen geschrieben wurden", sagt Juliane Breinl. "Das würde die Welt verändern - da bin ich mir sicher!" Denn diesen Geschichten wohne eine Kraft inne, die sich zwar nicht messen und auswerten lasse, der sich aber niemand entziehen könne, weil hier die Sprache des Herzens spreche. "Wer davon berührt wird, der trifft danach seine Entscheidungen nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen."

Das mag zwar etwas schnulzig klingen, ja, doch es trifft den Nagel ziemlich auf den Kopf. Zumindest, wenn man jene Geschichten liest, die junge Autoren beim Nachwuchs-Schreibwettbewerb der VHS Vaterstetten eingereicht haben, dessen Jury eben Juliane Breinl leitet, selbst erfolgreiche Jugendbuchautorin. Sie schreibt: "Wenn es nur nach meinem Herzen ginge, würde ich jedem von euch einen Preis geben wollen. Denn jede der Geschichten, die ich lesen durfte, war für mich ein besonderes Geschenk."

Juliane Breinl setzt sich oft mit ernsten Themen auseinander. Dennoch ist immer zu spüren, dass sie gerne lacht und ihren Lesern gerne ein wenig Leichtigkeit mit auf den Weg gibt. (Foto: privat)

Nun hat der Wettbewerb bereits zum vierten Mal stattgefunden, das Thema lautete diesmal "Macht", ein kurzes Wort, aber so brisant wie vielschichtig. Dementsprechend unterschiedlich sind die Aspekte, die die Jugendlichen aufgreifen - doch immer geht es um existenzielle Fragen. 74 Geschichten wurden eingereicht, nicht ganz so viele wie im Rekordjahr 2021, aber doch eine beachtliche Resonanz. Wie immer hat die Vaterstettener Jury sechs Siegertexte in zwei Alterskategorien gekürt. Fünf Mädchen und ein Junge erhalten diesmal Geldpreise, gestiftet von der Kreissparkasse. Bei dem Wettbewerb mitmachen können Jugendliche aus dem ganzen Münchner Umland, die beiden Kategorien lauten 13 bis 15 Jahre und 16 bis 18 Jahre.

Das Thema "Macht" hat die jungen Autoren zu sehr gesellschaftskritischen Geschichten inspiriert

Allen Gewinnergeschichten gemein ist diesmal, dass sie sehr realistisch daherkommen. Von Elfen, Zauberern oder anderen magischen Wesen keine Spur, nicht einmal irgendwelche Unerklärlichkeiten brechen in das Geschehen ein. Die meisten Erzählungen sind sogar direkt in der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen angesiedelt, es gibt Prüfungen, getrennte Eltern, Handys. Nur zwei Texte weichen etwas davon ab, weil sie in einem historischen Kontext spielen.

Was aber noch viel entscheidender ist: Das Motto "Macht" hat die nun ausgezeichneten Autorinnen und Autoren allesamt zu sehr gesellschaftskritischen Geschichten inspiriert. Es geht um Themen wie Organspende, Mobbing oder Zivilcourage. Durch den Krieg in der Ukraine hatte die Ausschreibung zudem eine unerwartete Aktualität bekommen - und manche der Jugendlichen verarbeiteten die Schreckensnachrichten aus dem Osten direkt in ihren Texten. Ihnen hat die Vaterstettener VHS eine Sonderrubrik gewidmet, zwei der Ukraine-Geschichten sind als Beispiele auf der Homepage hinterlegt: Sonja Matuska, Jahrgang 2004 aus München, erzählt in "Machtlos" von einer kleinen Familie, die aus einer U-Bahn-Station in Kiew an die Grenze flüchtet, und Angelina Greiner, ebenfalls Jahrgang 2004 aus Neufahrn bei Freising, gibt in "Crescendo" Einblick in die Gefühlswelt eines jungen Ukrainers, der erst seine Verlobte sucht und dann in den Krieg zieht... Zwei sehr nahegehende Texte.

Organspende, Zivilcourage: Viele Protagonisten fechten spannende innere Konflikte aus

Auf Platz eins der Älteren aber hat es Fiona Höland, Jahrgang 2003 aus München, geschafft. Sie fragt "Wie entscheidest du dich?" - und verleiht ihrer Ich-Erzählerin eine nie gewollte Macht: Die gerade 18-Jährige hat gerade ihre Mutter verloren und muss nun entscheiden, ob dem hirntoten Körper Organe entnommen werden dürfen - oder eben nicht. Die Geschichte überzeugt aber nicht nur wegen dieser spannenden Ausgangsfrage, sondern auch mit einer erstaunlichen sprachlichen Reife, einer bemerkenswert einfühlsamen, authentischen Schilderung des Innenlebens der Protagonistin und mit sorgsam gestalteten, höchst lebendigen Charakteren. Chapeau!

Eine bemerkenswerte Innenschau samt großem Spannungsbogen liefert aber auch Liselotte Heim, Jahrgang 2005 aus München. "Die Macht der Masse" erzählt von einem rassistischen Übergriff im Bus - und der Unfähigkeit der Menschen, einzugreifen. Die Geschichte, zwischen Telegramm-Stil und Bewusstseinsstrom changierend, geht hart ins Gericht mit dem Schweigen. Nur die Du-Perspektive scheint etwas fehl am Platz, gerade weil der Text die Gefühle der Protagonistin so schonungslos offenlegt. Auf dem dritten Platz der Älteren schließlich findet sich Paul Lindner, Jahrgang 2004 aus München. Seine Geschichte heißt "Die Gedanken sind frei" und vereint gleich mehrere Themen: Mobbing in der Schule, Alzheimer und ein Gedankenspiel: Wie wäre es, wenn man wüsste, was in den Köpfen der anderen vorgeht? Verlockend? Oder doch ein Albtraum?

Zur besten Autorin unter den Jüngeren hat die Jury Lea Höndgen, Jahrgang 2006 aus Tutzing, gekürt. In "Schatten" erzählt sie von jenem amerikanischen Piloten, der einst, von seinen Vorgesetzten falsch informiert, die Atombombe auf Hiroshima abwarf - und von seinem anschließenden Gewissenskonflikt: Sollte er die Menschheit warnen vor einer Wiederholung in Nagasaki? Obwohl er damit sein Leben und womöglich auch das seiner Familie aufs Spiel setzen würde? Ein innerer Konflikt größter Tragweite also.

Im Herbstsemester gibt es erneut eine Ausschreibung, das Thema ist aber noch geheim

Noch deutlicher aus der Täterperspektive erzählt ist "Die Macht der Worte". Die zweitplatzierte Autorin unter den Jüngeren, Alina Schiele, Jahrgang 2006 aus Ismaning, präsentiert ein starkes Stück über die katastrophalen Folgen von Mobbing, über Schuld und Bekehrung. Wieder historisch wird es dann bei Selma Özsahan, Jahrgang 2008 aus Geretsried. Ihre mit dem dritten Preis ausgezeichnete Geschichte bietet "Auszüge aus Napoleon Bonapartes Tagebuch" - und macht nachvollziehbar, wie sich in dem jungen Korsen Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit verwandeln in Ehrgeiz und einen unbedingten Willen. Die Genese eines der mächtigsten Männer der Welt.

Wer nun neugierig geworden ist: Alle Gewinnergeschichten sowie zwei Texte der Sonderrubrik "Ukraine" sind auf der VHS-Homepage zu finden. Bei der öffentlichen Preisverleihung am Donnerstag, 15. September, im VHS-Zentrum Vaterstetten wird Chef-Jurorin Breinl die sechs ausgezeichneten Erzählungen präsentieren.

Im Herbst nun gibt es erneut eine Ausschreibung, das Motto orientiert sich am aktuellen Semesterthema und lautet: "Märchen, Fabeln und Held(innen)geschichten". Es ist also zu erwarten, dass die meisten der nächsten Einreichungen die Wirklichkeit verlassen und ins Fantastische abdriften werden. "Zaubert mit Ideen, zaubert mit Worten und nehmt eure Leser mit in eure erfundene Welt!", so der Aufruf der zuständigen VHS-Fachbereichsleiterin Anja Rahimpour. Einsendeschluss ist am 28. Februar, alle weiteren Infos gibt's online.

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