Klingendes Vaterstetten:Geschichte auf die Ohren

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Rudi Eppinger und Ursel Franz (vorne) haben die Mehrzahl der Vaterstettener Hörpfadbeiträge gestaltet. (Foto: Christian Endt)

Auf den "Hörpfad" begeben sich die Teilnehmer einer gemeinsamen Initiative der Stiftung Zuhören des Bayerischen Rundfunks und der Volkshochschulen. Es geht darum, Heimat neu zu erkunden, auch in Vaterstetten.

Von Alexandra Leuthner, Vaterstetten

Einfach mal " www.klingende-landkarte.de" in den Browser eingeben und auf einen der schwarzen Punkte tippen, die dort zu sehen sind, zurücklehnen und zuhören. Das entspannt ungemein - und lehrreich ist es obendrein. Über ganz Bayern sind die Punkte auf der Karte verteilt, ein paar sind sogar jenseits der Landesgrenzen zu finden. Da kann man etwa bei einem Wiesbadener Trommelkurs karibische Rhythmen erleben, oder in Erfurt einen Waldspaziergang mit einer Kräuterfrau machen, das Knistern des Waldbodens inklusive.

Wer nicht so weit in die Ferne schweifen will, kann sich auch den ein oder anderen Punkt im Ebersberger Landkreis aussuchen. Ein Fanfarenstoß und das Grunzen eines Ebers begrüßen den Zuhörer, wenn er auf den Punkt 15 "Schwarzmarkt" klickt. Mehrere Sprecher erzählen Geschichten von den Nachkriegserfahrungen der Ebersberger Landbevölkerung. Unter dem Punkt "Seestadtkinder" lässt Elke Schütze Zeitzeugen wie Walter Brilmayer von explosiven Überbleibseln aus dem Zweiten Weltkrieg im Schlamm des Klostersees berichten. Da knallt es ordentlich, und es heulen lautstark die Sirenen - schließlich geht es ja ums Hören.

An 45 Orten sind in den vergangenen zehn Jahren Hörpfade entstanden

Die Klingende Landkarte ist eine Kooperation des Bayerischen Volkshochschulverbands und der Stiftung "Zuhören" des Bayerischen Rundfunks. An 45 Orten sind in den vergangenen zehn Jahren Hörpfade entstanden, aktuell sind es etwa 370 - und in Kürze wird auch die Gemeinde Vaterstetten auf der Karte vertreten sein: Die Beiträge sind fertig und sollen demnächst verlinkt werden, wie Helmut Ertel, Leiter der VHS Vaterstetten, jetzt angekündigt hat. Die Teilnehmenden eines Workshops haben sich mehr als zwei Jahre lang mit Beiträgen zur Geschichte und Gegenwart der Gemeinde beschäftigt. Mit Mikrofon und Aufnahmegerät sind sie unter Anleitung von Alexandra Hessler losgezogen, um diese Geschichte in Hörbeiträgen festzuhalten.

Alexandra Hessler, Kulturwissenschaftlerin und Journalistin, ist als Beauftragte für die Klingende Landkarte schon ein alter Hase. Nach Ebersberg und Grafing hat sie nun auch die Vaterstettener betreut. Dass ein Kurs sich allerdings so lange gezogen hat, das habe sie noch nicht erlebt, erzählt sie: Die pandemiebedingten Einschränkungen hätten den Fortgang immer wieder verzögert. Für sie selbst sei es ein Glück gewesen, denn sie habe die Landkreisgemeinde dabei richtig schätzen gelernt. "Das glaubt man ja gar nicht von so einer Gemeinde im Speckgürtel, dass es dort so viel zu erzählen gibt", sagt sie. Zum Beispiel über das Thorakgebäude.

VHS-Leiter Helmut Ertel (v.r.) hofft nun auf Beiträge aus den anderen VHS-Gemeinden, Alexandra Hessler (hinten, Mitte) hat den Kurs in Vaterstetten geleitet. (Foto: Christian Endt)

Schritte im Kies, wie von Spaziergängern, dann hört man die Stimmen einer Frau und eines Mannes - Ursel Franz und Rudolf Eppinger -, die sich über den Nazi-Architekten Albert Speer unterhalten, der den Bau in den 30er Jahren als Atelier für den Bildhauer Josef Thorak entworfen hat. In dem Zwiegespräch erfährt der Zuhörer einiges über das Aussehen, die großen Tore auf der Rückseite des ehemaligen Ateliers, die wegen der Bäume auf dem Grundstück kaum zu sehen sind, über den heutigen Eigentümer, die Archäologische Staatssammlung, über die Kapitulationsgespräche zwischen Amerikanern und Einheiten der Deutschen Wehrmacht, die nach dem Krieg dort stattgefunden haben.

Ursel Franz, Rudolf Eppinger, Carmen Ick-Dietl und Herma Bianka Schlömer sind die vier Teilnehmer, die den Widrigkeiten der vergangenen zwei Jahre bis zum Schluss getrotzt und jetzt mit ihren Interviews und Erzählungen den Grundstein für den Vaterstettener Hörpfad gelegt haben. Den Grundstein deshalb, weil VHS-Leiter Helmut Ertel darauf hofft, dass auch aus den anderen Gemeinden im VHS-Verbund wie Zorneding, Pliening, Anzing, Poing und Grasbrunn Interesse an der Gestaltung eigener Beiträge entstehen könnte.

Pony Seppi - oder einer seiner Kumpels - ist ebenfalls zu hören. (Foto: Christian Endt)

"Ich fand das ausgesprochen spannend", erklärt Ursel Franz, die in ihrer Funktion als Vorsitzende des Partnerschaftsvereins auch in einem Beitrag über die deutsch-französische Partnerschaft mit Allauch erzählen darf. Von ihrem ersten Besuch in dem Städtchen nahe Marseille vor Jahrzehnten und den beiderseitigen Bedenken, ob das denn wirklich gut gehen könne zwischen Deutschen und Franzosen, berichtet sie, auch davon, dass sich "Allauch" früher mit einem "d" schrieb statt mit "ch", und dass man den Namen deshalb "Alloh" ausspricht.

Um den Beitrag zu hören, wandert die kleine Gruppe aus Kursteilnehmern, Vertretern der Presse und der Gemeinde ein paar Meter zum Stadtwappen von Allauch. Es prangt neben dem Vaterstettener Wappen auf jener Wiese, wo auch eine weiße Mühle steht, wie es sie in Südfrankreich so viele gibt. Ein QR-Code, der hier und an allen Hörpfad-Stellen noch angebracht wird, soll es zufälligen Passanten ebenso ermöglichen, die Geschichten abzurufen, wie die klingende Online-Landkarte.

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Weiter geht's zum nahen Reitsberger Hof, der den Machern gleich zwei Beiträge wert war - und womöglich einem zweiten Kurs noch viele weitere liefern könnte, schon allein wegen der Geschichten, die der Chef und ehemalige Bürgermeister von Vaterstetten, Georg Reitsberger, von seinem Hof, aber auch aus der Gemeindehistorie erzählen kann.

Diesmal ist er als Zuhörer dabei, als Kinderstimmen erklingen. Auch gackernde Hühner, ein wieherndes Pferd, typische Bauernhofgeräusche eben, und dann Reitsbergers eigene Stimme, die davon erzählt, wie er es geschafft hat, ein gesundes Nebeneinander von Betrieb und den vielen Besuchern zu finden. Schließlich ist der Hof längst weit über die Grenzen der Gemeinde und des Landkreises hinaus bekannt.

Im zweiten Beitrag erzählt Reitsberger von früher, von den Traktoren, die in den Nachkriegsjahren der ganze Stolz ihrer Besitzer waren, von dem Brummen, anhand dessen er sie als Bub beim bloßen Hören unterscheiden konnte, und von dem echten Porsche-Traktor, der heute noch hoch geehrt in einer seiner Scheunen steht.

Georg Reitsberger hat als Kind gelernt, Traktoren am Klang zu unterscheiden, mit dem Eicher Bulldog fährt er gerne mal Kinder über seinen Hof. (Foto: Christian Endt)

Wie viele Menschen tatsächlich auf die Punkte der Klingenden Landkarte klicken, sei schwer zu sagen, sagt Hessler. In erster Linie seien die Hörpfade ein pädagogisches Projekt, mit dem die Teilnehmer dazu angeregt werden sollen, einen neuen Blick auf ihre Heimat zu werfen - aber auch jene Geschichten zu bewahren, die allzu oft mit jenen aussterben, die davon noch zu erzählen wissen.

Etwa tausend Menschen seien derzeit am Entstehen der Klingenden Landkarte beteilig, Interviewpartner ebenso wie Teilnehmer an den VHS-Kursen. Das dabei gesammelte Material reiche weit über das hinaus, was in den Beiträgen verwendet werden könne, so Hessler. Ein unschätzbarer Fundus an lokaler Geschichte also, der somit - in den Archiven von VHS und Gemeinden - für die nachfolgenden Generationen bestehen bleibe.

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