Unterhaltung:Geschichtenzeit im Zirkuswagen

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Geschichtenerzählerin Birgit Hackl bei ihrer Premiere im Zirkuswagen auf dem Reitsberger Hof. (Foto: Christian Endt)

Jeden Donnerstag bringt Birgit Hackl auf dem Reitsberger Hof in Vaterstetten mit ihren Erzählungen die Augen des Publikums zum Leuchten. Ihre Auftritte wirken mühelos - und doch steckt ganz schön viel Arbeit dahinter.

Von Michaela Pelz, Vaterstetten

"Und er losst den Luftballon los und der fliagt und fliagt und fliagt ..." Mucksmäuschenstill ist es in dem Zirkuswagen, als Birgit Hackl in warmem Bairisch mit ihrer wunderbar wandlungsfähigen Erzählstimme einen der Höhepunkte der Geschichte rund um den kleinen Amin schildert, der seine Adresse unbedingt an den Weihnachtsmann schicken will. Denn der hat den Buben noch nie besucht, dort oben, in seinem Dorf in den Bergen.

Auch die 38-jährige Baldhamerin hat an diesem Spätnachmittag einen "noch nie"-Moment. Denn es ist ihre Premiere als Geschichtenerzählerin, zu der sie Mütter, Großmütter, Kindergarten- und Schulkinder in dem liebevoll restaurierten Zirkuswagen auf dem Reitsberger Hof begrüßt.

Solche Menüabende wird es im Januar und Februar 2023 wieder geben. (Foto: privat)

Die Idee für die Veranstaltungsreihe stammt von Anna Link, der Chefin des Gasthofs Landlust. Ihr Ehemann hatte das Gefährt 2021 im Internet entdeckt. Es stand in Hannover - Interessenten gab es viele.

Dass der Zuschlag nach Vaterstetten ging, ist Links spürbarer Begeisterung zu verdanken sowie dem Konzept für die Nutzung als Ort für Vorträge, Kinofilme, Gin-Tasting oder Menüabende. Möglich machen es die aus einer Straßenbahn stammenden Sitzbänke: Die Richtung der Lehnen ist verstellbar.

Heute zeigen sie alle in eine Richtung, nach vorn, wo Hackl mittlerweile bei Erzählung Nummer drei angelangt ist. Eine Verkleidung trägt sie nicht, das ist auch keineswegs nötig, schlägt sie doch die rund 20 Personen allein mit ihren packenden Worten, ausladenden Gesten, der ausdrucksstarken Mimik sowie der Modulation ihrer Stimme in den Bann. Und natürlich mit den Inhalten der zehn bis 15, maximal 20 Minuten langen Geschichten.

"Als Erzählerin hast du große Verantwortung"

Da geht es zum Beispiel um Marie und den wundervoll glitzernden Weihnachtsvogel, dem leider ein Unglück widerfährt. Um Amin, der ganz in der Tradition von Charles Dickens zu Weihnachten ein Herz berührt. Und um Theresa, eine Prinzessin der ganz anderen Art, die Jeans und Gummistiefel dem bodenlangen Glitzerkleid vorzieht. Diese Geschichte ist der absolute Renner - wiewohl einer der Jungs zur allgemeinen Erheiterung am Ende empört ruft: "Eigentlich soll der Mann die Prinzessin retten!"

Bekannte und beliebte Lieder wie "Alle Jahre wieder" klingen mit Gitarrenbegleitung gleich viel schöner. (Foto: M. Pelz)

Mit Klischees zu spielen, zu zeigen, dass "nicht alle Geschichten immer so sein müssen, wie sie immer schon waren", hat Hackl sich zur Aufgabe gemacht. "Als Erzählerin, die ihr Publikum tief emotional berührt, hast du die große Verantwortung, nur Geschichten weiterzuerzählen, deren Botschaft für dich passt", betont sie. Deswegen schreibe sie auch ganz oft bestehende Märchen und Geschichten um, sorgt durch das Einbauen von Klängen oder ,Comic Relief' dafür, dass die Spannung nie unerträglich wird. Auch die Erwachsenen sind begeistert und verzaubert.

Sie zeichnet und schreibt für das Mitgliederheft des Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte. (Foto: privat)

Die Souveränität ihres Auftretens verdankt die gebürtige Forstseeonerin ihrer Ausbildung - davon gleich mehr. Doch sicher spielt auch die Tatsache eine Rolle, dass die dreifache Mutter und gelernte Erzieherin bis heute regelmäßig in verschiedenen Kindergärten vorbeischaut, um den Mädchen und Buben Geschichten zu erzählen.

Das ist auch der Grund, warum die Frau mit dem ansteckenden Lächeln einige Kinder direkt mit Namen anspricht, als sie sie aktiv ins Geschehen einbindet. Auf die Frage: "Was hat Prinzessin Theresa wohl alles in ihrem Handwerkergürtel?" kommt, wie aus der Pistole geschossen: "Hammer, Säge, Akkuschrauber." Und dank Hackls Improvisationstalent kommt später genau diesem eine entscheidende Rolle zu, als die gar nicht so holde Maid ihren Freund Max aus den Fängen einer bösen Hexe befreien muss.

Doch warum hat Hackl, die nach ihrer Ausbildung zu Erzieherin Soziale Arbeit studierte und in einen Bauernhof eingeheiratet hat, sich überhaupt für den anderthalbjährigen Kurs zur zertifizierten Erzählerin entschieden? Immerhin ist diese nicht nur zeitintensiv, sondern auch "nicht ganz billig"?

Sie hat nicht nur Requisiten dabei, sondern auch Schaffelle als Sitzunterlage für ihr Publikum. (Foto: M. Pelz)

Erstens sei sie ein "Bühnenmensch", habe immer schon Theater gespielt, erläutert die Frau mit den vielen Talenten - sie macht nicht nur Musik, sondern schreibt und zeichnet auch sehr gern.

"Vor allem aber suchte ich etwas, mit dem ich zum Familieneinkommen beitragen kann. Ein fester Job kommt dafür nicht in Frage, der Alltag mit drei Kindern und pflegebedürftigen Senioren lässt das nicht zu." Darum arbeitet sie nun zusammen mit einem guten Dutzend anderer Interessierter an ihrer Bühnenpräsenz und paukt Aufbau, Auswahl und das Umschreiben von Geschichten, damit sie zur Zielgruppe passen und stimmig sind.

Obwohl die Abschlussprüfung erst im Juni 2023 ist, beherrscht sie das schon jetzt, wie in den anderthalb Stunden gut zu beobachten ist. Ob der rote Herzluftballon, der perfekt zu den Samt-Vorhängen und -Sitzen passt, wieder zum Einsatz kommt, weiß man nicht. Denn Birgit Hackl hat sich vorgenommen, immer andere Geschichten zu erzählen. Was allerdings gleich bleibt: Der Auftakt an der Feuerschale mit köstlichem hofeigenen Apfelsaft - heiß natürlich - und Glühwein.

Bis 15. Dezember immer donnerstags, 16 Uhr. Auch am 11./12.Dezember. Reitsberger Hof, Vaterstetten. Information und Anmeldung: info@zurlandlust.de

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