Zum Jubiläum:Von der Basis an die Spitze

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Früh übt sich: Beim "Tag der offenen Ohren" an der Musikschule Vaterstetten können Kinder verschiedene Instrumente ausprobieren. Das Klavier steht auf der Beliebtheitsskala regelmäßig auf Platz Eins. (Foto: Christian Endt)

Einst aus dem Engagement einer Familie entstanden, ist die Musikschule Vaterstetten heute aus dem kulturellen Leben in der Gemeinde nicht mehr wegzudenken. Heuer feiert sie 50. Geburtstag.

Von Anja Blum, Vaterstetten

Ein halbes Jahrhundert flöten, fiedeln, zupfen: Die Musikschule Vaterstetten feiert heuer schon ihren 50. Geburtstag und ist längst nicht mehr wegzudenken aus dem kulturellen Leben der Gemeinde. Doch wie ist sie einst eigentlich entstanden? War das eine politische Initiative? Nein, sondern eine private, quasi nachbarschaftliche. Die Familie Graf aus der Franz-Liszt-Straße nämlich war sehr musikalisch, alle fünf Kinder spielten Instrumente, vier davon wurden sogar Profis. Mutter Karoline gab im Keller Blockflötenunterricht, Vater Max sang leidenschaftlich, spielte leidlich Orgel, Klavier sowie Geige und leitete das Familienensemble. "Außerdem wollten meine Eltern schon immer andere mit einbeziehen, seien es Freunde oder Nachbarn", erinnert sich Tochter Regina Graf heute. Deshalb war das Haus irgendwann quasi belagert von Kindern, die gerne ein Instrument lernen wollten.

Max und Karoline Graf waren so musikalisch wie sozial - und legten damit den Grundstein für die Musikschule Vaterstetten. Das Foto entstand etwa zu dieser Zeit. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Wie gut also, dass Vater Max Graf Anfang der 1970er-Jahre Rektor der Grundschule an der Wendesteinstraße war - und alsbald auf die Idee kam, deren Räume nachmittags für Instrumentalunterricht zu nutzen. "Das war eine visionäre Entscheidung, an der die ganze Familie mitgewirkt hat", sagt Bernd Kölmel, der die Musikschule heute leitet. "Für so eine Initialzündung, zumal in einem Dorf wie es Vaterstetten damals noch war, braucht es die richtigen Menschen und sehr viel Herzblut."

Maria und Stephan Graf, die zu der Zeit beide am Konservatorium in München studieren, rekrutieren dort Lehrerinnen und Lehrer für die neue Schule in Vaterstetten und unterrichten auch selbst. Er wurde später Kontrabassist bei den Münchner Philharmonikern, sie Professorin für Harfe in Berlin. Schwester Elisabeth gründet eine private Musikschule in Pliening und Regina Graf, die Jüngste, wirkt als Violinistin. Kein Wunder also, dass das Grafsche Familienorchester der neuen Musikschule diverse Türen öffnet. Und die Früchte werden bis heute geerntet: Gerade führt eine ehemalige Schülerin Maria Grafs junge Harfenistinnen von Erfolg zu Erfolg.

1972: Max Graf (Zentrum) spielt bei der Einweihung des Rathauses. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Musik in die Breite zu tragen, das war damals das Bestreben. "Um Geld ist es dabei nicht gegangen", sagt Regina Graf. "Meine Mutter unterrichtete Horden von Blockflötenschülern, mein Vater war quasi ehrenamtlich für das Administrative zuständig." Außerdem habe Max Graf das Schulwerk von Carl Orff für sich entdeckt, also den kreativen Umgang mit einfachen Instrumenten wie Xylophon oder Trommeln, Sprache sowie Bewegung - und mit Leidenschaft in diversen Gruppen weitervermittelt. "Das war sozusagen eine erste niederschwellige Form der Früherziehung", erinnert sich die Tochter, der auch der private Kontakt der Familie zu Orff sehr lebendig in Erinnerung geblieben ist. "In seinem Garten gab es Obst wie aus dem Paradies!"

Eine öffentliche Musikschule zu gründen, das ist damals Pionierarbeit: Erst in den 60ern beginnt der bayerische Verband, die Verbreitung voranzutreiben - mit Erfolg, heute listet er 220 Musikschulen auf. Zwei Drittel davon sind unmittelbar kommunal getragen, etwa die Musikschule in Ebersberg. In Vaterstetten allerdings ist die Politik Anfang der 70er Jahre von einer kommunalen Trägerschaft nicht zu überzeugen, also klopft Graf bei der Volkshochschule an - und wird in deren Verein aufgenommen.

Seit 50 Jahren gibt es die Vaterstettener Musikschule bereits, das Bild zeigt eines der ersten Konzerte in der Turnhalle der Wendelsteinschule und Karoline Graf beim Dirigieren. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Los geht es 1973 mit 511 Schülern und 16 Lehrern in Teilzeit. Trotzdem kann sich das Angebot sehen lassen: Es gibt Früherziehung und Flötenspielkreise sowie Einzelunterricht an diversen Flöten, Klavier, Gitarre, Klarinette, Trompete, Harfe, Violine, Akkordeon und Hackbrett. Und schon bald kommen neue Instrumente hinzu, von Zither bis Schlagzeug. Rainer Wohlfahrt, der damals direkt nach seinem Klavierstudium in Vaterstetten Lehrer wird, erinnert sich später sehr positiv an sein erstes Gespräch mit Graf: von "Aufbau, Förderung, Freude an der Musik, Idealismus und den menschenverbindenden Kräften der Musik" sei da die Rede gewesen.

Und tatsächlich entwickelt sich die neue Musikschule explosionsartig: Bereits nach drei Jahren hat sich die Schülerzahl verdoppelt, Außenstellen in Poing, Zorneding und Neukeferloh werden eingerichtet. "Früher war die Musikschule ein Selbstläufer", sagt Regina Graf. Dieses Wachstum aber wird Max Graf dann bald zu viel, "diese ganze Organisation hat er neben seinem Job als Grundschulrektor nicht mehr gepackt", erzählt die Tochter. Zudem gab es wohl immer wieder Streit zwischen Graf und dem VHS-Vorstand, angeblich nahm der Musikschulchef vor dessen Sitzungen des Öfteren Beruhigungspillen. Jedenfalls wird Akkordeonlehrer Kurt Schneeweis zunächst zum unterstützenden Stellvertreter ernannt und kurz darauf zum Leiter. "Manchmal ergibt sich das Leben einfach so - aber es war ja nicht verkehrt", resümiert er heute. Bis 2013 wird Schneeweis die Geschicke der Einrichtung lenken.

Bei der Profession kein Wunder: 1978 gründet Kurt Schneeweis (Mitte) ein Akkordeonorchester. (Foto: Musikschule/oh)

Bereits Ende der 70er kann die Musikschule diverse Erfolge bei "Jugend musiziert" vorweisen, außerdem startet Schneeweis seine Vaterstettener Rathauskonzerte, die er eng mit der Musikschule verzahnt: So mancher hochkarätige Gast gibt vor seinem Auftritt "Anschauungsunterricht", diverse Komponistenporträts bereichern das Angebot. Engagierte Bürger gründen einen Förderverein, und so geht es immer weiter, es folgen neue Ensembles, Chöre, Streichorchester und Bigband, Seminare und Vorträge. Schüler wie Lehrer geben Konzerte, führen ganze Musicals auf. 1980 initiiert Schneeweis einen Landkreis-Wettbewerb, den die beiden großen Musikschulen bis heute im Wechsel organisieren.

Überhaupt: Für Schneeweis scheint die Spitze mehr zu zählen als die Breite. Wettbewerbe seien sehr wichtig, sagt er, und dass das gemeinsame Musizieren nur für fortgeschrittene Schüler Sinn mache. Die Basis müsse guter Unterricht sein, am besten einzeln, denn nur das garantiere die bestmögliche Förderung. "Damals war es auch noch viel einfacher, Einzelstunden zu finanzieren", so der ehemalige Leiter.

Nicht Kinder, sondern zwei ausgezeichnete Pianistinnen werden diesmal beim Konzert der Musikschule Vaterstetten zu hören sein. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch die Zahl der Unterrichtsorte wächst beständig, wenn auch nicht zu aller Zufriedenheit. "Es herrschte eigentlich immer Raumnot", sagt Schneeweis - bis Musikschule und VHS 2015 eine neue Heimat in der Baldhamer Straße finden. Auf diesen Umzug allerdings folgen bewegte Zeiten: Es gibt Streit zwischen diversen Akteuren aus Bildung und Politik, die Gemeinde kündigt ihre Zuschussvereinbarung mit dem Verein, VHS und Musikschule gehen fortan getrennter Wege. Auch einen geeigneten Nachfolger für Schneeweis zu finden, erweist sich als ausgesprochen schwierig, zwei Versuche schlagen fehl. Max Graf allerdings muss das alles nicht mehr erleben, er starb bereits 2004.

2016 beginnt die Vorbereitung eines Musikschulvereins mit den Mitgliedsgemeinden Vaterstetten, Poing, Zorneding und Grasbrunn. 2017 wird eine Zuschussvereinbarung unterzeichnet, im Jahr darauf endlich ein neuer Chef gefunden: Bernd Kölmel ist nun Geschäftsführer und Leiter der Musikschule.

Musikschule früher und heute: Leiter Bernd Kölmel und Regina Graf, Tochter des Gründers Max Graf, im Gespräch. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Heute zählen die Vaterstettener 1700 Schülerinnen und Schüler, plus 350 Teilnehmende in diversen Kooperationsmodellen mit anderen Einrichtungen wie Kitas oder Schulen. Das nämlich ist laut Kölmel das Gebot der Stunde: auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen zu reagieren, Antworten darauf zu finden. "Mittlerweile ist eine Musikschule nämlich kein Selbstläufer mehr", sagt er. "Wir können nicht ruhig dasitzen und abwarten."

Die Schnelllebigkeit, die vollen Kalender der Kinder, die finanzielle Situation der Familien - all das müsse man berücksichtigen, so Kölmel. "Wenn zum Beispiel 2026 der Ganztagsanspruch auch an den Grundschulen kommt, bedeutet das, dass unser Zeitfenster noch kleiner wird." Doch je früher am Tag musiziert werde, desto besser, schließlich nehme die Aufmerksamkeit gegen Abend deutlich ab. Auch deswegen sei es wichtig, mit anderen Institutionen zu kooperieren. Und um möglichst viele Kinder erreichen zu können, ganz unabhängig von Herkunft, Vorlieben oder Vorkenntnissen. "Diese Basis ist die Voraussetzung für die Spitze", so sieht das Kölmel.

Eine Bläserklasse an der Realschule Vaterstetten präsentiert ihr Können. (Foto: Christian Endt)

Er will also ein Netzwerk aufbauen, Vorbild sind die Ebersberger Kollegen, die schon länger mit vielen Partnern zusammenarbeiten. Als erstes entsteht ein integratives Musikprojekt mit der Grundschule Parsdorf und der Förderschule Steinhöring, es folgen eine Streicherklasse am Gymnasium Vaterstetten, diverse Bläserklassen an Real- und Grundschulen, eine Grundschul-Singklasse und ein integratives Projekt mit der Seerosenschule Poing.

Und auch an der Musikschule selbst nimmt die Form des Gruppenunterrichts zu. Erstens, weil das gemeinsame Musizieren auf allen Niveaustufen aus pädagogischen Gründen groß geschrieben wird. Und zweitens, weil die Finanzen dies nahelegen. "Einzelstunden sind einfach defizitär", sagt Kölmel. Außerdem wollten auch die Gemeinden mit jeder bezuschussten Unterrichtseinheit gerne möglichst viele Kinder erreichen.

Die Big-Band der Musikschule untermalt den Neujahrsempfang der Gemeinde, 2019 noch unter Bürgermeister Georg Reitsberger. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sehr am Herzen liegt es Kölmel auch, die Vielfalt und Qualität der Musikschule bei möglichst vielen Veranstaltungen nach außen zu tragen. So nämlich könne man den Eltern und Gemeinden zeigen, was sie bekommen für ihr Geld, und bei potenziellen Partnern Vertrauen wecken. "Außerdem ist es generell wichtig, der Gesellschaft immer wieder den Wert musikalischer Bildung zu vermitteln." Gerade das breitgefächerte Ensemblespiel sei Aushängeschild und Motivation zugleich. Kein Wunder also, dass der runde Geburtstag heuer so gebührend wie ambitioniert gefeiert werden soll: "Wir haben uns für das Jubiläumsjahr zum Ziel gesetzt, beinahe in jedem Monat ein größeres, publikumswirksames Event zu setzen", sagt Kölmel.

Den Auftakt machte im Januar ein Gitarrenfestival, dessen fulminantem Schlusskonzert fast 200 Gäste lauschten. Weiter geht es am 18./19. März mit einem "Jazz-Meeting", das sowohl Workshops als auch ein hochkarätiges Line-Up bietet. Mit dabei sind Joo Kraus und Band, Chris Gall und Till Martin als Duo, das Two Generations of Trumpet-Projekt mit Matthias Schriefl und Andy Haderer sowie eine neu zusammengestellte Big Band Vaterstetten. Außerdem schon mal freuen darf man sich auf "Classic Highlights" eines Sinfonieorchesters, ein großes Musikschulfest, Vivaldis "Vier Jahreszeiten" als Lehrerkonzert, ein "Beatles-Tribute", ein Familienmusical von Rolf Zuckowski sowie den "Karneval der Tiere". Zu Ende gehen wird das Jubeljahr schließlich mit der Weihnachtsgeschichte, musiziert und gespielt von Kindern. Es wird also weiterhin fröhlich geflötet, gefiedelt und gezupft. Wie schön!

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