Vaterstetten:In Nullkommanix zur Notunterkunft

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Helfer von THW und BRK brauchen nur wenige Stunden, um die Turnhalle des Humboldt-Gymnasiums für die Aufnahme von 200 Flüchtlingen vorzubereiten.

Von Karin Kampwerth, Vaterstetten

"Wir sind jetzt quasi eine Außenstelle der Bayernkaserne", sagt Stefanie Geisler vom Ebersberger Landratsamt um kurz nach halb neun am Montagabend. Gerade hat sich Landrat Robert Niedergesäß (CSU) in Richtung Bürgerversammlung im Pfarrsaal verabschiedet, weil er vermutet, dass das Treiben vor der Turnhalle des Vaterstettener Humboldt-Gymnasiums dort Thema werden könnte. Denn seit 12.04 Uhr war bekannt, dass die Halle noch am gleichen Tag zur Notunterkunft für 200 Flüchtlinge umgebaut werden muss. Zu diesem Zeitpunkt ploppte die E-Mail der Regierung von Oberbayern auf Niedergesäß' Computer auf - mit einer "klaren Anweisung", wie er später im Pfarrsaal berichten wird.

Was in den Stunden danach bis gegen 22 Uhr geschieht, ist eine besondere Geschichte, die von Hilfsbereitschaft und Teamwork erzählt, die vielleicht irgendwann einmal von einem Landrat als besonnenem Krisenmanager berichten wird, die aber vor allem damit zu tun hat, dass es viele Menschen im Landkreis gibt, die sofort zur Stelle sind, wenn Not am Mann ist. Dazu gehören die 73 Helfer vom Technischen Hilfswerk (THW) in Markt Schwaben und von den Ortsgruppen und der Bereitschaft des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), die an einem Sommerabend nach Arbeit und Schule selbstverständlich nach Vaterstetten eilen, um die Halle professionell für die Aufnahme der Flüchtlinge herzurichten, die - so eine erste Ankündigung der Regierung - noch in der selben Nacht hätten eintreffen sollen.

"Hier ist Parken verboten, da kemma die Asylanten", unterbindet der Hausmeister der Schule von 18 Uhr an jeden Versuch, vor der Turnhalle zu parken. Ein Lehrer flitzt noch schnell zu seinem Minicooper, um wegzufahren, bevor das rot-weiße Flatterband die Einfahrt versperrt. Wenig später fahren drei schwere Lastwagen des THW vor, unmittelbar darauf folgen Einsatzwagen des BRK. Im Nu wimmelt es auf dem Parkplatz von Menschen - die eine Gruppe in weißen T-Shirts mit BRK-Schriftzug, die anderen in der blauen THW-Montur mit Taschen für Werkzeug und Arbeitshandschuhen, die an Karabinern am Hosenbund baumeln.

Tobias Egner ist einer der Helfer und Gruppenführer beim THW. Dass er und seine Kameraden erst gegen 16 Uhr von dem Einsatz erfahren haben, bezeichnet er als "einige Stunden Vorlaufzeit". Offenbar ausreichend Muße für Menschen, die es im schlimmsten Fall gewohnt sind, dass es auf Minuten ankommt. Seine Kameraden und Kameradinnen, die nach und nach eintreffen, informiert er, wie die Stockbetten, die der Landkreis voriges Jahr genau für diesen Zweck gekauft hatte, später in der Halle aufgestellt werden müssen. "Immer mit zwei Metern Abstand dazwischen", erklärt Egner. Wegen der Fluchtwege, falls was passiert. Auf dem Boden festgeklebte Seile markieren die Standorte. BRK-Kreisgeschäftsführer Wolfgang Strehhuber lobt unterdessen die Zusammenarbeit mit den THW-Kollegen. "Wir haben ja keinen Akutfall. Das hier war alles planbar", sagt auch Max Pöhlmann, der die BRK-Teams koordiniert.

Die Bettgestelle sind noch originalverpackt und werden vor der Halle aus dem THW-Lastwagen ausgeladen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Damit die Betten in weniger als zwei Stunden aufgebaut sind, dafür haben 13 Asylbewerber aus Grafing, Poing und Ebersberg die Vorarbeit geleistet und Filzmatten auf dem Hallenboden verlegt. "Ich bin glücklich, helfen zu können", sagt ein junger Mann aus Senegal auf Englisch. Er sei im Februar in Poing angekommen und erinnere sich nur zu gut daran, was es für ein Gefühl war, endlich in Sicherheit zu sein.

An diesem Abend gibt es nur großartige Teams

Stefanie Geisler, Leiterin der Abteilung Soziales im Landratsamt und damit zuständig für die Flüchtlingsunterbringung, schiebt angesichts der fleißigen wie fröhlichen Helfer entspannt die Sonnenbrille ins Haar. Für sie gibt es an diesem Abend nur großartige Teams, im Landratsamt und in der Halle, wo Frauen, Männer, Jugendliche wie Ameisen kontrolliert durcheinander wuseln - die einen stecken die Betten zusammen, andere räumen die Plastikverpackungen auf, die nächsten bestücken die Schlafstätten mit Matratzen, Kopfkissen, Decken, Waschzeug. Ihre Gelassenheit erklärt Geisler auch damit, dass man alles oft durchgespielt habe, die Aufforderung der Regierung nicht überraschend kam und der Krisenstab im Landratsamt umgehend zusammentreffen konnte - auch um sicherzustellen, dass nicht nur die Schule, sondern auch die Vereine von der Hallenbelegung erfahren. Sogar Ersatzhallen für Punktspiele konnten organisiert werden.

Kissen und Decken werden vorbereitet. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Am Gymnasium geht es auf 22 Uhr zu. Ein Mädchen, BRK-Helferin und Schülerin am Humboldt-Gymnasium, erzählt, dass sie am nächsten Tag ein Englisch-Referat halten muss: "Aber das ist egal, ist hier ja für eine guten Zweck."

"Ich bin tief beeindruckt", sagt Landrat Niedergesäß zuvor bei seiner Stippvisite, bei der er auch darüber informiert er, dass die Flüchtlinge doch nicht mehr in derselben Nacht ankommen werden. Die ersten 50 treffen erst am Dienstagnachmittag ein, bis zum Abend folgen 100 weitere, die letzten 50 dann an diesem Mittwochmorgen. Zuvor wurden die Menschen in München registriert und ärztlich untersucht. Das verschafft auch der Logistik nach hinten raus Luft. In der Kreisklinik, die die Flüchtlinge mit Essen versorgen wird, muss man am Dienstag noch keine Frühstückspakete packen, sondern kann in aller Ruhe eine Gemüsesuppe als Willkommensmahlzeit kochen.

© SZ vom 20.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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