"Back to school"-Initiative in Vaterstetten:Doppelstunde Europäische Union

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Im Gespräch mit Albert Raedler darf sich ein Teil der elften Jahrgangsstufe des Humboldt-Gymnasiums Vaterstetten mit der EU beschäftigen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein EU-Beamter kehrt an seine alte Schule zurück, um mit jungen Wählerinnen und Wählern über Politik zu sprechen. Dabei wird klar: Mit manchen Themen kennen sich die Jugendlichen gut aus, mit anderen eher weniger.

Von Antonia Aţurcăniţei, Vaterstetten

Man würde meinen, eine von der Europäischen Kommission organisierte Veranstaltung würde in größerem Rahmen stattfinden - im Saal der Schule zum Beispiel. Und doch passt der kleine Raum, in dem etwa 36 Schülerinnen und Schüler Platz finden, perfekt. Die Stimmung ist dadurch vertrauter, persönlicher - und der Mut, die Hand anzuheben, größer. Es geht um die Europäische Union, ein Thema, das den Elftklässlerinnen und -klässlern des Vaterstettener Gymnasiums zwar bekannt ist, aber dann doch nicht so ganz. Auf dem Lehrplan steht die EU nämlich erst in der zwölften Jahrgangsstufe.

Doch insgesamt 72 Schülerinnen und Schülern dürfen schon an diesem Vormittag mehr über die EU erfahren - im Gespräch mit Albert Raedler. Der bei der EU-Kommission angestellte Verwaltungsrat hat vor 40 Jahren an genau diesem Gymnasium sein Abitur absolviert und ist nun zurückgekehrt, um den jungen Wählerinnen und Wählern die EU näherzubringen. Die Schülerschaft wird dazu in zwei Gruppen aufgeteilt - Raedler hält den Vortrag zweimal nacheinander. Die Veranstaltung gehört zu dem Programm "Back to school" der Europäischen Kommission, das es deren Beamtinnen und Beamten ermöglicht, an ihren früheren Schulen über ihre Arbeit und die EU als Ganzes zu sprechen.

Teilweise kennen sich die Schüler sehr gut aus und stellen kritische Fragen

Künstliche Intelligenz, Ukraine, Brexit - zahlreiche Themen werden von Raedler, aber auch von den Schülern angeschnitten. Die Bedeutung des EU-Binnenmarkts etwa lasse sich mit dem Kauf eines Rennrads erklären, so der Beamte: "Der Verkäufer meinte, erst seit dem Wegfall der Zollschranken im Jahr 1993 lohnt es sich für ihn, das Rad ins Schaufenster zu stellen." Stichwort: Warenverkehrsfreiheit. Aber auch allgemeinere Begriffe wie das Prinzip der Einstimmigkeit werden anhand von Beispielen beschrieben: "Das ist so, als würden die 36 Menschen in diesem Raum einstimmig entscheiden müssen, in welches Restaurant sie heute Abend essen gehen wollen. Sie müssen dabei aber alle mit 'Ja' antworten, nicht mit 'vielleicht'", sagt Raedler.

Manchmal geht ein leises Flüstern durch die Reihen, den Jugendlichen ist die fehlende Konzentration anzumerken. Etwa bei theorielastigen Erklärungen zum Aufbau der EU. Als "etwas träge" empfindet Schülerin Luzia Schaarschmidt den Anfang der Veranstaltung, das Ende gefällt ihr jedoch gut - vor allem, weil die Schüler dann Fragen stellen dürfen. Linus Richert sagt, der Vortrag habe "ein bisschen mehr Licht ins Dunkle gebracht", für Valentina Scherb sind die Diskussionen über den Brexit und die Schweiz am interessantesten. Außerdem zeigt sie sich überrascht, dass es in der EU drei Arbeitssprachen gibt - nämlich Englisch, Französisch und Deutsch. Für sie persönlich bedeutet die EU, "dass mehrere Länder zueinander halten, wenn es mal nicht gut läuft".

Albert Raedler hat 1984 am Humboldt-Gymnasium Vaterstetten sein Abitur gemacht. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In Bezug auf die Geschichte der EU werden Wissenslücken deutlich, an anderer Stelle aber kennen sich die Jugendlichen sehr gut aus. Da werden dann zum Teil auch kritische Fragen gestellt: "Hat das Vereinigte Königreich was vom Brexit?", oder "Würden Sie sagen, dass die EU die Entsorgung von gescheiterten Politikern ist?" Bei dieser Antwort zögert Raedler. "Manchmal gibt es unglaublich tolle Leute wie die letzten deutschen Kommissare Günther Oettinger und Ursula von der Leyen. Manchmal solche, die den Erwartungen nicht gerecht werden. Es ist aber unglaublich schade, wenn wir Menschen nach Brüssel schicken, die nicht mehr dafür brennen", sagt er.

Die EU ist Teil des Lehrplans der zwölften Klasse - die meisten Schüler dürfen aber schon in der elften wählen

Raedler ist Verwaltungsrat bei der General-Direktion Taxud an der EU-Kommission. Er hat in Stuttgart und Paris studiert und war anschließend als Steuerberater tätig. Seit 2003 arbeitet er für die "Hüterin der Verträge". Sein Fachbereich sind Steuern. Es ist bereits das dritte Mal, dass er Schülern aus der Oberstufe von seinem Beruf und der EU erzählt, seine Premiere hatte er vor 15 Jahren. "Es ist natürlich spannend, aber auch schwierig herauszufinden, was die Erwartungen sind. Ich arbeite normalerweise ja nicht mit Jugendlichen", gesteht er.

Die Schüler würden jedoch anders auf dieses Thema blicken, wenn die Informationen von jemandem aus der Branche kämen, sagt Sonja Bergler, Lehrerin für Politik und Gesellschaft sowie Geschichte und Deutsch. "Es gibt natürlich immer politisch interessierte Kinder, aber die meisten fragen sich: 'Was geht mich die EU an?'", erzählt die Lehrerin. "Dabei sind sie schon so weit, dass sie wählen dürfen." Schließlich seien die meisten Schüler der elften Jahrgangsstufe bereits 16 Jahre alt.

Sonja Bergler ist Lehrerin für Politik und Gesellschaft am Vaterstettener Gymnasium und hat den Vortrag organisiert. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vor allem in den jüngeren Klassen fehle das Interesse an EU-Themen. "Die wachsen halt in ihrem Dunstkreis auf", so die Politik-Lehrerin. "Jeder hat eine Meinung zu irgendwas - aber oft sind das nur Schlaglichter oder gar Desinformationen." Trotzdem seien viele Schülerinnen und Schüler in der Lage, Quellen zu differenzieren. "Sie sind teilweise sehr reflektiert und wissen durchaus, dass Tiktok und Insta nicht ihre Medien sein sollten, wenn sie Themen auf den Grund gehen wollen", sagt Bergler.

Zu mehr Vorsicht in Bezug auf Falschinformationen ruft auch Raedler auf: "Lest nach, schaut nach, glaubt nicht alles. Hört Leuten zu, die was von der Sache verstehen", sagt er. Auch rät er den Jugendlichen, erst einmal herauszufinden, welche Themen ihnen überhaupt am Herzen lägen. "Es gibt Politik-Checker, wo ihr schauen könnt: Was ist euch wichtig? Ihr könnt ja jetzt mitentscheiden."

"Die EU, das sind wir alle", sagt die Lehrerin

Es bleibt nicht viel Zeit, um wirklich ins Detail zu gehen. Am Ende klickt Raedler durch seine Präsentation, man sieht eine Folie zum Austauschprogramm Erasmus, eine andere zum Europäischen Jugendportal. Doch um über diese Themen auch noch zu sprechen, ist die Doppelstunde zu kurz. Also fasst Raedler die Signifikanz der Union passend zusammen: "Bei der EU geht es darum, dass man sich austauschen kann. Man muss sich nicht lieben, man muss sich verstehen", sagt er. So ähnlich sieht das auch Lehrerin Bergler: "Es geht darum, den Kindern die EU wirklich bewusst zu machen. Die EU, das sind wir alle."

Kurz vor Ende fragt ein Schüler, ob Raedler schon mal "Merkel oder so getroffen" habe. Der Gast antwortet nicht gleich, erklärt, dass man die wichtigen Akteure zwar manchmal zu Gesicht bekomme, er die Alt-Kanzlerin jedoch nie persönlich getroffen habe. "Aber Juncker", sagt er. Mit ihm sei er schon mal im selben Raum gesessen. "Wer ist das?", fragt der Schüler zurück.

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