Schockanrufe:Auflegen. Sofort!

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Die Trickbetrügerin (Pascale Ruppel) ist dabei, Magda Huber (Kathrin Gerlsbeck) am Telefon um ihr hartverdientes Geld zu bringen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schockanrufer terrorisieren Ebersberger Bürger. Ein Präventiv-Theater in Baldham will für die Gefahr sensibilisieren - und Ängste nehmen. Eine Veranstaltung mit Galgenhumor, harten Wahrheiten und hilfreichen Tipps.

Von Ulli Kuhn, Vaterstetten

Es ist früher Morgen, als Ingeborg und Rudolf A. aus Baldham einen Anruf bekommen. Ein Mann ist dran, er sei Polizist, sagt er. Im Hintergrund weint eine junge Frau. Der Polizist erklärt, die Tochter des Ehepaars habe einen Unfall gebaut und eine schwangere Frau getötet. Wenn die Eltern keine Kaution zahlten, müsse die Tochter längere Zeit in Untersuchungshaft. "Unsere Tochter war einen Abend vorher noch bei uns zu Besuch - und wir merkten, es ging ihr nicht gut", sagt Rudolf A.. Am Abend hätten sie daher noch überlegt, ihre Tochter zu bitten, sich lieber nicht mehr hinters Steuer zu setzen. Doch dann ließen sie sie doch fahren.

Am nächsten Tag dann dieser Anruf. "Wir waren wirklich geschockt. Man gibt sich selbst die Schuld - hätten wir unsere Tochter doch nicht fahren lassen, dachten wir uns", sagt Rudolf A., der den Nachnamen der Familie lieber nicht in der Zeitung lesen will. Nach einer schrecklichen halben Stunde merkt das Ehepaar dann aber, dass etwas nicht stimmt. "Der Anrufer hat sich in Widersprüche verwickelt, und wir merkten dann auch, dass die weinende Frau im Hintergrund nicht unsere Tochter war", so Rudolf A.. "Wir haben dann einfach aufgelegt und die Polizei angerufen, der wir alles genau berichten mussten", erzählt seine Frau.

Hohe Dunkelziffer: Wie viele solcher Fälle es genau gibt, weiß keiner

Dem Ehepaar A. wird am Dienstag im Gemeindesaal der Petrikirche in Baldham also einiges bekannt vorgekommen sein. Es geht an diesem Nachmittag darum, so gut aufzuklären, dass möglichst niemand auf jene Betrüger hereinfällt, die mit sogenannten Schockanrufen Menschen verunsichern und zur Herausgabe von Geld und Wertsachen bewegen wollen. "Präventionsarbeit in diesem Bereich ist unglaublich wichtig", sagt Poings Polizeiinspektionsleiter Daniel Schubert. "Die Fallzahlen steigen stetig - im Jahr 2022 hatten wir polizeibekannte Fälle im mittleren dreistelligen Bereich, die Dunkelziffer ist wohl noch viel höher." Und das alleine im Landkreis Ebersberg.

Daniel Schubert, Chef der Poinger Polizeiinspektion, setzt nun auf Prävention. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dass es viele Betroffene gibt, wird auch wenig später beeindruckend klar. Schubert fragt das Publikum, wer denn schon einen Schockanruf erhalten habe. Fast alle der etwa 50 Senioren im Saal heben ihre Hände. Ein Raunen geht durch das Publikum. Holger Schmidt, Vorsitzender des Vereins Münchner Sicherheitsforum und Veranstalter des Präventiv-Theaters, bringt ernüchternde Zahlen mit. "Alleine in München kommt es jeden Tag zu einer Geldübergabe", sagt er. Die Täter hätten so schon etliche Millionen Euro erbeutet. "Letztes Jahr wurde vor einem türkischen Gericht über eine Bande Trickbetrüger geurteilt. Diese Bande hat vor allem im Raum München viele Menschen betrogen - es wurden über 100 Millionen Euro erbeutet", sagt er.

Doch die Fallzahlen steigen weiter. "Aus diesem Grund startete das Münchner Sicherheitsforum, zusammen mit dem Replay-Theater, die Präventivarbeit in diesem Bereich", sagt Schmidt. "Grüß Gott, schön, dass Sie da sind", heißt das Theaterstück, das für die Maschen der Trickbetrüger sensibilisieren soll. Der Auftritt in Baldham sei der erste Auftritt außerhalb Münchens und der achte insgesamt. Im Winter sind weitere Auftritte in und um die Landeshauptstadt geplant.

Im Gemeindesaal der Petrikirche ist der Raum an diesem Nachmittag voll, kein Stuhl bleibt leer. "Wir haben in unserer Gemeinde ein paar Menschen, die Opfer einer solchen Tat wurden, da dachten wir, es wäre eine gute Idee, etwas dagegen zu unternehmen", sagt Ottfried Zierenberg, Mitglied im Kirchenvorstand. Die Schauspielerinnen Pascale Ruppel und Kathrin Gerlsbeck vom Replay-Theater erklären dem Publikum den Ablauf. "Heute geht es um Sie und ihre Erfahrungen. Wir sind gekommen, um Ihnen zu zeigen, dass Sie vor Schockanrufern keine Angst haben müssen", sagt Gerlsbeck.

Das Theater gibt Einblicke in die perfiden Methoden der Betrüger

Durch das Stück gewinnen die Zuschauer immer wieder Einblicke in die Vorgehensweisen der Kriminellen. Als die von Ruppel gespielte Betrügerin bei den ersten Anrufen nicht durchkommt, notiert sie sich auf ihrem Klemmbrett: "Die muss ich mir merken, die haben schöne altmodische Namen, da rufe ich nochmal an." Bei einer anderen Adresse denkt sie sich: "Ach super, da habe ich Geld-Abholer direkt um die Ecke - da ruf ich an." Die kühle Berechnung der Täter ist hier greifbar dargestellt.

Die Betrügerin liest die altmodischen Namen Magda und Edgar Huber im Telefonbuch und ruft an. Magda geht ran, die Betrügerin fragt im freundlichsten Ton: "Hallo Magda, wie geht es dir? Wir haben uns so lange nicht gesehen! Wie geht es Edgar?" Magda fragt, wer da sei, worauf die Betrügerin nur sagt: "Rate doch mal, wer da dran ist!"

Überrumpelt von der Situation, nennt sie den ersten Namen, der ihr einfällt - den der Enkelin. "Ganz genau, ich bin's, die Ricky", greift die Betrügerin den Namen auf. Sie erzählt, sie habe eine Wohnung in einer Straße direkt um die Ecke von Magda und Edgar gefunden, nur könne sie leider nicht zum Besichtigungstermin erscheinen. Ihre Freundin Lena würde das für sie übernehmen, nur habe diese leider nicht genug Geld für die Kaution dabei.

Sie bittet also die gutgläubige Großmutter, das Geld für sie auszulegen. Lena werde gleich vorbeikommen und das Geld abholen. Als das Magda suspekt vorkommt, spielt die Betrügerin mit der Vorfreude auf eine eventuelle Nachbarschaft und das baldige Wiedersehen - und es funktioniert. Am Ende willigt Magda der Geldübergabe ein.

Gemeinsam mit dem Publikum erarbeiten die Darsteller das ideale Abwehrverhalten

Nun ist das Publikum dran: Was hätte Magda besser machen können? "Sie hätte nicht den Namen ihrer Enkelin nennen dürfen", sagt eine Zuschauerin. "Sie hätte versuchen sollen, ihre Enkelin auf ihrem Handy zu erreichen", sagt ein anderer. Auf diese Weise spielt das Replay-Theater zahlreiche Betrugsfälle durch und erarbeitet mit dem Publikum das ideale Abwehrverhalten. Die Ergebnisse: Niemals Namen von Liebsten preisgeben. Wenn ein angeblicher Polizist vor einem steht, immer nach dem Ausweis fragen. Wenn man einen dubiosen Anruf erhalten hat, immer die Polizei rufen. "Die Leute haben oft Angst, die 110 zu wählen, sie wollen die Notrufnummer nicht belasten", sagt Schmidt. Das sei aber nicht der Fall, versichern er und Schubert, der Notruf sei auch für solche Fälle da. Außerdem sei es wichtig, dass alles, was die Zuschauer hier gelernt hätten, weitergetragen werde, so Schmidt.

Auch mit Informationsmaterial und Brottüten werden die Besucher ausgestattet. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Denn die Opfer leiden, und das auf zweifache Weise", sagt der Vorsitzende des Sicherheitsforums. "Zum einen sind teilweise die ganzen Ersparnisse weg - zum anderen machen sich die älteren Menschen auch noch selbst Vorwürfe", erklärt er. Die gefühlte Schuld habe in der Vergangenheit sogar schon zum Suizid geführt, so Schmidt. "Das ist natürlich nur ein Einzelfall - zeigt aber, wie schlimm so etwas ist."

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