Kriminalität im Landkreis:Bei Anruf Schock

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Immer wieder melden sich "Schockanrufer" bei älteren Menschen, so wie auf diesem Symbolbild. Eine 86-jährige Frau aus Neufahrn wurde durch diesen Trick um über 65.000 Euro betrogen. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Die Fälle von Telefonbetrug haben sich in Ebersberg von 2021 auf 2022 verdreifacht - und das sind nur die offiziellen Zahlen. Meist wird mit enormem emotionalen Druck gearbeitet, der Schaden geht in die Hunderttausende.

Von Ulli Kuhn, Ebersberg

Ein Mann ruft an und gibt sich als Polizist aus. Er sagt, ein nahestehender Verwandter des Angerufenen habe bei einem Unfall einen Menschen getötet. Nun müsse jemand eine Kaution bezahlen - damit der Angehörige nicht ins Gefängnis komme. Wie reagiert man in so einem Fall? Vor allem, wenn im Hintergrund ein weinender Mensch zu hören ist?

Für die meisten Menschen ist so ein Anruf wohl erst einmal ein Schock. Und genau das ist das Ziel dieser sogenannten Schockanrufe: Eine plausibel klingende Lüge soll das Opfer möglichst stark erschrecken. Denn in solchen emotionalen Ausnahmesituationen ist es oft schwierig, klar zu denken: Man möchte unbedingt seinem Angehörigen helfen, ihn oder sie aus der Notsituation befreien. Wenn das Opfer die Geschichte glaubt, wird es nicht selten stundenlang am Telefon gehalten - wichtig für die Täter ist, dass es auf keinen Fall auflegt. Denn nur so könnten sie verhindern, dass das Opfer nachdenkt und zur Besinnung kommt, erklärt ein Beamter der Polizeiinspektion in Poing.

Bis März 2023 wurde schon mehr erbeutet als im gesamten vergangenen Jahr

Auch in Ebersberg erbeuten Täter mit Schockanrufen erhebliche Vermögenswerte - und zwar tendenziell immer öfter. 2021 wurden im Landkreis 80 Fälle von Schockanrufen bei der Polizei gemeldet. Die Täter erbeuteten insgesamt mehr als 50 000 Euro. Ein Jahr später wurden bereits 240 Fälle bekannt, der Schaden betrug mehr als 250 000 Euro, allein 200 000 Euro stammten von einem einzigen Opfer.

Und das Jahr 2023 hat bereits einen traurigen Rekord gebrochen: Allein bis Ende März haben Betrüger im Landkreis Ebersberg durch Schockanrufe mehr Geld erbeutet als im gesamten vergangenen Jahr. Im Januar beispielsweise hat ein Vaterstettener Ehepaar 130 000 Euro an bislang unbekannte Täter übergeben, Anfang März verlor ein Ehepaar aus Grafing einen Geldbetrag in sechsstelliger Höhe. In einem weiteren Fall wurden etwa 20 000 Euro von einer Seniorin aus Baldham erbeutet.

Nicht selten geht es um ganze Existenzen

Man dürfe nicht denken, dass immer nur sehr alte, gebrechliche Menschen auf solche Anrufe hereinfallen würden, sagt eine Poinger Polizistin gegenüber der Ebersberger SZ: "Die Täter setzen einen unter massiven emotionalen Druck. Manchmal denke ich, auf die eine oder andere Masche würde ich wahrscheinlich selbst hereinfallen."

Michael Graf, Hauptkommissar am Polizeipräsidium Ingolstadt, erklärt die drei häufigsten Tricks der Täter: Da ist zum einen der angebliche tödliche Unfall, den ein Angehöriger verursacht haben soll. Zum anderen würden oft Einbrüche in der näheren Umgebung vorgetäuscht, die es erforderlich machten, dass ein Polizist die Vermögenswerte des Opfers sichere. Bei einer weiteren Masche soll das Opfer helfen, kriminelle Bankmitarbeiter zu überführen, und deshalb Finanzmittel an, natürlich falsche, Polizisten übergeben.

Gerade die Geschichte mit dem tödlichen Unfall sei besonders perfide, erklärt Graf. Das Opfer werde damit nämlich in eine große emotionale Ausnahmesituation versetzt. "Es ist oft so, dass da bei dem Opfer nicht nur finanzielle, sondern auch erhebliche emotionale und psychische Schäden zurückbleiben", so Graf. Nicht selten ginge es hier um ganze Existenzen.

Die Präventionskampagne " Leg auf" hat es sich zum Ziel gemacht, potenzielle Opfer für diese Art Anrufe zu sensibilisieren. Die Zielgruppe sind fast ausschließlich vermögendere Menschen ab 50 Jahren. Meist hätten Opfer oft auch schon von dieser Betrugsmasche gehört, würden dies aber im Moment des Schockanrufs völlig vergessen, so Graf - es werde damit eben ein unglaublicher emotionaler Druck aufgebaut.

Um diesen situativen Blackout im Fall der Fälle zu verhindern, verteilt die Polizei im Rahmen der Kampagne Aufkleber an Seniororganisationen und karitative Einrichtungen. Diese Sticker sollten laut Graf am besten neben dem Telefon angebracht werden - damit sie bei einem Schockanruf auf dessen hohe Wahrscheinlichkeit hinweisen. Wer Interesse hat, kann sich den Aufkleber auch bei jeder Polizeiwache abholen.

Die Spuren führen meist ins Ausland

"Das Wichtigste ist, dass Sie mit Ihren Angehörigen über das Thema sprechen", rät die Poinger Polizistin: Das Wissen um die Schockanrufe zu verbreiten, sei Priorität Nummer eins. Auch Graf betont: Hätten die Täter erst einmal das Geld, sei es meist zu spät. "Es gibt einige Fälle, in denen der Betrug bei der Abholung des Geldes verhindert werden kann." Das sei allerdings nur ein ganz kleiner Teil.

Wenn ein angeblicher Polizist am Telefon Druck aufbaue, sei das ein erstes sicheres Zeichen, dass es sich um einen Betrüger handele, erklärt die Polizei in ihrer Leg-auf-Kampagne. Außerdem würde ein echter Beamter niemals erwarten, dass irgendwelche Vermögenswerte herausgegeben werden. Im Zweifelsfall sei es daher immer richtig, aufzulegen.

Wenn der Anrufer von einem Angehörigen spreche, sollte man diesen direkt kontaktieren, heißt es in den Informationen der Kampagne. Zudem schütze weder die Übergabe einer angeblichen Kaution vor Strafverfolgung, noch sei eine ärztliche Behandlung von einer vorherigen Zahlung abhängig. Sehr perfide: Oft nutzten die Täter eine Software, um auf dem Telefondisplay des Opfers die Rufnummer "110" anzeigen zu lassen. Doch das ist natürlich Quatsch: Die Polizei ruft nicht von der Nummer 110 an, so die Klarstellung in der Kampagne.

Die Täter zu erwischen, ist schwierig. "Die Spuren führen meist ins Ausland", sagt Graf. Wenn überhaupt, könne man nur bei der Übergabe der Beute zugreifen. Dafür sei die Polizei aber meist auf die Mithilfe der Opfer oder Zeugen angewiesen. In einem Fall in Rosenheim im Jahr 2021 konnten vier Täter geschnappt werden. Sie wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt, der Chef der Bande sogar zu mehr als zehn Jahren.

Mehr Infos zu Schockanrufen und deren Prävention auf folgender Website der bayerischen Polizei.

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