Weitere Spieltermine am Wochenende:Die Gesellschaft als Orchester

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Hilmar Henjes mimt in der Wasserburger Inszenierung von "Der Kontrabaß" den Antihelden. (Foto: Christian Flamm/oh)

Das "Theater Wasserburg" zeigt eine hochaktuelle Version von Patrick Süskinds "Der Kontrabass". Regie führt Susan Hecker, Hilmar Henjes glänzt in der einzigen Rolle des berühmten Stücks.

Von Johanna Feckl, Wasserburg

Ein Peleton ist das wohl frustrierendste Sportgerät überhaupt - jenes Teil, das man früher einfach "Heimtrainer" nannte, aber das klingt halt nicht so instagrammable. Ja, wer es richtig anstellt, für denjenigen zahlt sich das Radltraining im Wohnzimmer bestimmt irgendwann durch ein bisschen mehr Kondition und einen knackigen Hintern aus. Schön und gut. Aber letztlich ist es doch einfach so: Man strampelt und strampelt und strampelt sich da einen ab - und wird doch niemals vom Fleck kommen. Ist das die brennenden Oberschenkel echt wert?

Wer die Eröffnungsszene der Inszenierung von Patrick Süskinds "Der Kontrabaß" am Theater Wasserburg sieht, dem kommen diese Gedanken automatisch in den Sinn: In flottem, gleichmäßigem Tempo radelt hier Hilmar Henjes in der Rolle des Musikers auf der Stelle. Premiere des Einakters unter der Regie von Susan Hecker war Anfang Februar, nun gibt es weitere Spieltermine.

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Die Uraufführung von "Der Kontrabaß" im Münchner Cuvilliés-Theater liegt bald 43 Jahre zurück - und wurde von Publikum und Kritik gleichermaßen mit Begeisterung aufgenommen: Mit mehr als 500 Aufführungen an deutschsprachigen Bühnen in der Spielzeit 1984/85 war das Drama damals sogar das meistgespielte Stück. Und das, obwohl es mit nur einer einzigen Figur auskommt. Ihren Schöpfer Patrick Süskind, geboren 1949 in Ambach am Starnberger See, kennen die meisten vermutlich auch als Autor von "Das Parfum" (1985), dem bislang einzigen Roman des Schriftstellers, 2006 von Tom Tykwer sehr erfolgreich fürs Kino adaptiert.

"Der Kontrabaß" handelt von einem Mann, der in der Wasserburger Inszenierung Mitte 40 ist, in Süskinds Vorlage jedoch erst 35. Henjes ist keines von beidem, sondern Mitte 50. Trotzdem passt das Bild. Dieser Mann nun, er ist Kontrabassist in einem Orchester und verliert sich in einem Monolog über die mangelnde Wertschätzung seines Instruments, das fehlende Verständnis aller anderen Musiker für die Töne, die es hervorzubringen vermag - letztlich geht es um die Unterschätzung seines Selbst. Zunächst jedenfalls.

Das Stück beginnt abrupt - manch einer im Publikum hat es noch gar nicht mitbekommen

Wann die Wasserburger Inszenierung genau beginnt, ist irgendwie schwer zu sagen: Plötzlich sitzt der Antiheld des Stücks da vorn und radelt schweigend vor sich dahin. In spärliches Licht getaucht, dauert es ein wenig, bis auch der Letzte im Publikum begriffen hat, dass das Drama längst seinen Lauf genommen hat. Und spärlich bleibt das Licht auch die weiteren gut 100 Minuten. Alles andere würde auch im Widerspruch stehen zu dem Kontrabassisten, der ein ebenso spärliches Dasein in seiner schallisolierten Wohnung fristet.

Es ist faszinierend, wie Hilmar Henjes mehr als 100 Minuten lang völlig alleine das Publikum unterhält. (Foto: Christian Flamm/oh)

"Jedes Orchester kann ohne Dirigenten auskommen", sagt er. "Aber keines ohne Kontrabass!" Es sei sogar ganz und gar "unvorstellbar", solch ein Orchester ohne das opulente Saiteninstrument - und genau das mache den Kontrabass zum wichtigsten Orchesterinstrument schlechthin. Davon ist der Musiker überzeugt, immer und immer wieder sinniert er darüber, während er weiter seine Füße in die Pedale stemmt.

Dort, wo Peleton-Sportler ihre Trinkflasche mit Halmverschluss aufbewahren, hat auch der Kontrabassist sein isotonisches Getränk: eine Dose Heineken. Im ersten Moment vielleicht eine ungewöhnliche Wahl: In einem bayerischen Theater ein Lagerbier aus den Niederlanden, und dann auch noch in der Dose? In Süskinds Vorlage übrigens ist es ein namenloses Flaschenbier.

In Wasserburg trinkt der Kontrabassist Heineken aus der Dose - ein unterschätztes Bier

Aber eigentlich passt dieses Detail ziemlich gut: Ein Heineken aus der Dose ist in Bayern vermutlich genau so unterschätzt wie laut den Erzählungen des Antihelden der Kontrabass im Orchester. Vielleicht muss man nicht unbedingt behaupten, dass ein Heineken das wichtigste aller Biere ist. Aber in fast unverschämter Weise nicht genügend beachtet, das ist es auf jeden Fall schon.

Es dauert eine Weile, ehe Hilmar Henjes vom Heimtrainer absteigt und den Rest des - wie immer im Wasserburger Theater - bis ins kleinste Detail liebevoll gestalteten Bühnenbilds für sein Spiel in Anspruch nimmt. Dessen Gestaltung erinnert an eine Lochplatte für die Wand, an der Haken oder Aufbewahrungsschalen eingehängt werden können. In Wasserburg aber erstreckt sich diese Wand über die gesamte Bühne, und daran angebracht sind mehrere kleine Podeste auf verschiedenen Höhen.

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Henjes klettert zwischen ihnen hin und her, von ganz unten beim Radl etwas höher zum Bett, noch höher zum Bad - wo er es schafft, sich hinter einem Duschvorhang aus der engen Radlhose zu schälen, immer schön seine Silhouette gegen den dünnen Stoff pressend, was beim Publikum für großes Amüsement sorgt - und dann wieder hinab zur Küche. Das Bühnenbild ist wie eine Tonleiter, die Henjes virtuos bespielt. Es ist grandios, ihm dabei zuzusehen.

Grandios ist auch, wie Henjes es schafft, mehr als eineinhalb Stunden lang ununterbrochen zu monologisieren - ohne das Publikum ein einziges Mal in eine Durststrecke zu führen. So viel Seiten Text zum Lernen seien es aber gar nicht gewesen, sagt der Schauspieler nach der Vorstellung ganz bescheiden.

Die Inszenierung von Susan Hecker ist vieles. Ein wenig verrückt und lustig, nachdenklich und melancholisch, vor allem aber auch aktueller denn je. "Das Orchester ist ein Abbild der menschlichen Gesellschaft", sagt der Musiker einmal. Der einzelne Klang, der würde da ja überhaupt keine Rolle mehr spielen. Beim Kontrabass gebe es sogar Töne, die das menschliche Gehör gar nicht mehr wahrnehmen könne - so tief seien sie. Der Kontrabass geht in der Masse an Instrumenten und Tönen unter. Genauso wie das Individuum in der heutigen Gesellschaft, das sich abrackert, tut und macht, ohne je Anerkennung zu erhalten. Es strampelt und strampelt, und kommt doch niemals vom Fleck.

Die nächsten Spieltermine sind am Freitag, 1. März, sowie am 2. und 3. März, am 19., 20. und 21. April sowie am 9. und 10. Mai. Am kommenden Sonntag findet zudem ab 18 Uhr ein Vorgespräch statt, das Interessantes über die Hintergründe der Inszenierung zu tage fördern soll. Karten sind für 19 Euro, ermäßigt zehn Euro, erhältlich online unter www.theaterwasserburg.de , an den Vorverkaufsstellen Versandprofi Gartner und Tourist-Info in Wasserburg, beim Kroiss-Ticket-Zentrum in Rosenheim, bei Foto Flamm in Haag sowie an allen Vorverkaufsstellen von Inn-Salzach-Ticket. Vorstellungsbeginn ist um 20 Uhr, sonntags schon um 19 Uhr.

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