Tassilo:Der Transformator

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Plastik schmelzen, Gummi durchlöchern: Andreas Mitterer hat in seinem Atelier schon sehr viel experimentiert. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Andreas Mitterer begeistert als Vorsitzender des Ebersberger Kunstvereins, aber auch als kreativer Forscher immer wieder mit neuen Ideen.

Von Anja Blum, Ebersberg

Das nennt man wohl einen Optimisten: Corona sei eigentlich wie Urlaub, sagt Andreas Mitterer im "Weltraum" des Alten Kinos, einem Projekt, das der Stimmung der Menschen im Landkreis vergangenes Jahr Ausdruck verliehen hat. Die veränderten Rahmenbedingungen, die Masken, das neue Zeitmanagement: All das verschaffe einem doch ganz neue Perspektiven, so Mitterer - und das wiederum sei eine gute Voraussetzung für eine neue künstlerische Arbeit. In seinem Fall: Tuschezeichnungen auf Pappe, sogenannte "Erregas", die dem Virus ein so humor- wie fantasievolles Gesicht geben.

Seit einem Jahr also ist Corona, es sind ganz schlechte Zeiten für Kultur - doch die bildende Kunst steht in Ebersberg nach wie vor erstaunlich gut da. Und zu verdanken ist das eben ganz besonders Andreas Mitterer. Der 51-Jährige leitet nämlich erstens höchst erfolgreich den Ebersberger Kunstverein und setzt, zweitens, auch persönlich immer wieder bemerkenswerte künstlerische Zeichen. Ob mit einer Hommage ans Oktoberfest in Form einer Installation - in Moosach baute er ein leeres, aber beleuchtetes und mit der typischen Geräuschkulisse beschalltes Festzelt auf - oder mit seinen "Erregas", die gerade erst in Buchform erschienen sind: Immer weiß Mitterer zu überraschen. Trotzdem ist der Ebersberger sehr bescheiden, stellt niemals seine Person in den Mittelpunkt, sondern stets die Kunst.

Bei einem Besuch in seinem Atelier beginnt Mitterer, schwarze Klamotten, schwarze Brille, längeres dunkles Haar, das Gespräch denn auch gleich mit einem vermeintlichen Defizit: "Konsequent kann ich nicht", sagt er und zuckt mit den Achseln. Die mangelnde Wiedererkennbarkeit seiner Werke sei zwar auf dem Kunstmarkt von Nachteil - doch es sei nicht zu ändern. "Ich will so vieles ausprobieren und sehen, ich muss einfach verschiedene Felder bearbeiten und einkreisen." Was das bedeutet, davon bekommt der Besucher in Mitterers Atelier einen beinahe spürbaren Eindruck. Bis unter die Decke ist der Raum vollgestopft mit Materialien und Werkzeugen unterschiedlichster Art. Gummiteile, Plastik in allen Variationen, ein Sammelsurium an Bällen, Seilen, Bürsten und Reifen, Leuchtobjekte, Spiegel, Kindergartenstühle, Kabel, Dias, Filmdosen und alte Elektrik. Eine Staffelei sucht man hier vergeblich. Mit dem klassischen weißen Blatt beginne er nur selten, sagt Mitterer, während er im Regal nach einer alten Druckplatte aus Venedig sucht. Meist sei es die Materialität von Fund- oder Schenkstücken, die ihn inspiriere.

Mitterers Spezialität ist die Transformation: Postkarten oder Plattencover übermalen, Dinge mit Klebeband umwickeln, Plastik anschmelzen, Abgüsse herstellen oder Schläuche durchlöchern - und dann sehen, was weiter passiert. So entsteht Serie um Serie, Einzelstücke gibt es bei dem 51-Jährigen fast nie. Auch die ein oder andere neue Technik hat er so entwickelt, zuletzt den UHU-Druck: auf einer Platte Kleberlinien ziehen, trocknen lassen, mit Farbe bestreichen, drucken, fertig. Ein simples Verfahren, das aber erstaunlich hübsche, filigrane Ergebnisse erzielt. Oder Mitterers Gummikunst: Dazu legt er Reifen jeder Größe auf seinen Ambos, setzt ein Locheisen an und los geht's. Später, in Galerien, entfalten sowohl die durchlöcherten Teile als auch deren Reste, kleine schwarze Kreise, große Wirkung, sei es hängend oder liegend. "Kunst muss nicht aufwendig sein", sagt Mitterer und grinst. "Es ist alles erlaubt - außer Fehler zu machen."

Auch den Ausstellungsort bezieht Mitterer gerne mit ein: Schon oft hat er einen Raum im Raum gebaut, mit groben Holzbrettern Tunnel und Zimmer geschaffen, zum Beispiel in der Galerie des Ebersberger Kunstvereins. Der Kontrast zum Material, das bislang unentdeckte Potenzial eines Raumes - das fasziniere ihn.

Ja, Mitterer ist nicht nur Künstler, sondern auch Forscher und Erfinder. Um seine Arbeit zu verstehen, muss man vielleicht wissen, dass er gelernter Schmied ist, studierter Künstler und praktizierender Grafiker. Das heißt: In seiner Person bündeln sich unglaublich viele unterschiedlich gefärbte kreative Einflüsse. "Ich habe das Da-Vinci-Problem", scherzt der Ebersberger, "ich kann alles, aber nix g'scheid". Understatement pur. Dabei wollte Andreas Mitterer ja durchaus mal ein berühmter Künstler werden, "MoMA und so", gesteht er. Doch nach zwölf Semestern an der Akademie sei er zwar um zahllose Erfahrungen und Perspektiven reicher, aber immer noch nicht schlauer gewesen. "Auf eine Antwort kamen 50 neue Fragen", sagt er und lacht. Also habe er sich nach dem Studium "frei gemacht von allem", habe seine Kreativität mal hierhin, mal dorthin gelenkt, und sei "zum Geldverdienen" ins Grafikgeschäft eingestiegen. Doch unglücklich scheint er mit diesem Brotjob nicht zu sein: "Ich mache hauptsächlich Magazindesign, das ist eine sehr künstlerische Arbeit, bei der ich enorm viele Freiheiten habe."

Und der Kunstverein? Der begleitet Mitterer genau genommen schon sehr lange, bereits in seinen frühen Jahren nutzte er ein Atelier auf Schloss Hirschbichl, dem damaligen Refugium des Vereins bei Emmering. Auch als dann 1997 die Alte Brennerei bezogen wurde, war der Ebersberger dabei, "ich hab damals mitgeweißelt". Doch dann ging man lange getrennte Wege, dem jungen Künstler war die "alte Garde" suspekt, er wollte sein eigenes Ding machen. Erst 2008 kreuzten sich die Pfade wieder, Mitterer stellte in Ebersberg aus, wurde erneut Mitglied. Als dann die bisherigen Strukturen zu bröckeln begannen, engagierte er sich zunächst mit der neuen Reihe "Kunst und Musik", wurde dann zum Zweiten Vorsitzenden und schließlich zum Chef "befördert": Die damalige Vorsitzende warf bei einer Sitzung plötzlich den Schlüssel auf den Tisch und ging.

Für Mitterer ist der Ebersberger Kunstverein "eine anstrengende, aber tolle Aufgabe" - und seit er 2016 das Ruder übernommen hat, scheint es vergleichsweise harmonisch zuzugehen: Man macht mit Ausstellungen und Festivals von sich reden, anstatt mit Streitereien. Wie das dem Chef gelingt? "Mir geht es vor allem darum, Schwung, Perspektiven und Laune reinzubringen", sagt 51-Jährige. "Wir haben doch alle Freiheiten und Möglichkeiten, das sollten wir nutzen: Lassen wir's krachen!" Der Kunstverein sei ein Spielplatz für Erwachsene, den man nicht durch Ängste, Verbote oder auch zu viel Respekt vor der Kunst beschneiden dürfe. Transformation also, auch hier.

Unterstützung erfahren Mitterer und seine Stellvertreterin Geraldine Frisch dabei von einem bunt zusammengewürfelten Beirat, "lauter höchst motivierte Vollblutkünstler, das ist toll". Und er selbst habe viel lernen dürfen über das Zusammenspiel der Temperamente in einem Verein - "für mich ist das fast eine soziale Skulptur". Zuletzt hatte Mitterer erfolglos versucht, sein Amt wieder abzugeben, doch momentan ist er willens, weiterzumachen. Klar, denn er hat viel erreicht: ein tolles Team, solide Finanzen, ein bemerkenswertes Programm. Es scheint fast, als könne der Corona-Urlaub diesem Kunstverein kaum etwas anhaben.

© SZ vom 24.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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