Darstellende Kunst:Wo Satelliten kreisen dürfen

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Die Residenzen am Meta Theater in Moosach gehen in die zweite Runde: Erneut ermöglicht es die Förderung den Stipendiaten, ohne Erfolgsdruck künstlerisch zu forschen - zu Themen wie Konsum, Terror oder Corona.

Von Anja Blum, Moosach

Offiziell ist das Meta Theater in Moosach derzeit geschlossen, erst ab Mai sind wieder verbindliche Termine geplant. Klar, denn die aktuellen Corona-Auflagen machen es gerade den kleinen, freien Bühnen schier unmöglich, Präsenzveranstaltungen zu realisieren. Mit nur zwei Dutzend Zuschauern lasse sich eben kein Abend sinnvoll bestreiten, sagt Axel Tangerding. Trotzdem ist der Moosacher Theaterchef nicht am Boden zerstört - denn es gibt auch eine gute Nachricht: Hinter den Kulissen tut sich einiges, denn die Residenzförderung im Meta Theater geht in die zweite Runde. Erneut dürfen sich unter Tangerdings Dach mehrere Stipendiaten auf die Suche begeben, sie sollen frei forschen und sich so neue kreative Territorien erschließen können. "Das ist ein absoluter Glücksfall - und kommt für die Künstler gerade jetzt wie gerufen", sagt der Intendant, der in der freien Szene bestens vernetzt und sehr engagiert ist.

Die Stipendien mit dem Titel "Take-Heart-Residenzen" sind Teil von "Flausen+". Das Modellprojekt wurde 2011 in Oldenburg mit dem Ziel gegründet, bestehende Lücken im Bereich der Förderung freier Theaterschaffender zu schließen. Finanziert werden die Residenzen durch den Fonds Darstellende Künste in Berlin. Bereits im vergangenen Jahr gehörte das Meta Theater zu jenen Häusern, an denen die Stipendiatinnen und Stipendiaten des Projekts angesiedelt waren. Laut Tangerding ein voller Erfolg: "Für Berlin waren wir dank unserer guten Betreuung der Künstler am Schluss ein Vorzeigetheater."

Jeden Monat gibt es einen digitalen Werkabend - dem auch Publikum beiwohnen darf

Nun freut er sich sehr, dass alle neuen Anträge im Rahmen der Residenzförderung einstimmig angenommen worden sind. Vier Monate lang, von Anfang Februar bis Ende Mai, werden 17 Künstlerinnen und Künstler unter dem Dach des Meta Theaters ergebnisoffen ihrer künstlerischen Forschung nachgehen. Darunter sind Soloprojekte, aber auch solche, die mehrere Kreative gemeinsam angehen wollen, so dass es sich insgesamt um neun Recherchevorhaben handelt. Jedem Projekt ist ein Mentor zur Seite gestellt. Die Bühne in Moosach darf jedes Team zwei Wochen lang für seine Experimente nutzen, auch die Technik für hybride Lösungen und Dokumentation ist in Moosach vorhanden. Außerdem wird an vier öffentlichen Werkabenden allen Beteiligten die Gelegenheit geben, aus ihren Prozessen zu berichten und sich über Herausforderungen und Erkenntnisse auszutauschen. "Denn es hat sich gezeigt, dass dieser Austausch ein großer Ansporn ist", erklärt Tangerding. Und, nicht zu vergessen: Jeder der 17 Stipendiaten bekommt 5000 Euro, "bedingungslos", wie der Bühnenchef betont.

Axel Tangerding hat eine klare Vorstellung davon, wie es mit der Unterstützung der freien Theaterszene weitergehen sollte. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Denn, und das ist das Besondere: Bei diesen Stipendien geht es nicht darum, am Ende ein fertiges Produkt abzuliefern - kein Stück, keine Performance, keine Installation - sondern um eine ergebnisoffene Recherche. Die Förderung will den Freiraum bieten für einen ergebnisoffenen Prozess, für neue Ideen, Formate und für Selbstreflexion. "Wo stehe ich? Wo will ich hin? Was bewegt mich? Will ich mich wiederholen? Oder ein neues Feld betreten?" Für Tangerding ist diese freie Form der Förderung eine neue Tendenz, die er für absolut notwendig hält - nicht nur in Zeiten von Corona. "Wenn Künstler immer nur Geld für klar umrissene Projekte bekommen, hetzen sie von einem zum nächsten. Das laugt sie auf Dauer wahnsinnig aus und geht auch zulasten der Qualität." Allerdings täten sich so manche Kolleginnen und Kollegen durchaus schwer damit, plötzlich nicht auf ein Ziel, auf eine konkrete Aufführung hinzuarbeiten - so konditioniert seien sie schon durch die bisherige Förderpraxis. "Außerdem wollen Künstler immer auf die Bühne", sagt Tangerding und lacht.

Die Stipendiaten stammen aus verschiedenen Kulturen und Kunstgattungen

Eine höchst bunte Truppe ist es, die in den kommenden vier Monaten in Moosach experimentieren darf. Lauter spannende Künstler, die alle ihren Wohnsitz in Deutschland haben, aber aus diversen Kulturkreisen stammen. Vertreten sind zum Beispiel Griechenland, Kolumbien, Ägypten oder Syrien. Und auch viele unterschiedliche Sparten treffen hier aufeinander: Bildende Kunst, Film, Text, Licht, Tanz, Musik. Einige der Teilnehmenden waren bereits bei den Residenzen 2021 dabei, sie alle sind seit Jahren "satellitenhaft" mit dem Meta Theater verbunden. "Doch für viele Projekte war einfach bislang kein Geld da", erklärt Tangerding. Nun aber dürfen sich die Moosacher Stipendiaten ganz frei mit den unterschiedlichsten ästhetischen, methodischen und inhaltlichen Fragestellungen auseinandersetzen.

So sieht es aus, wenn sich die Residenzkünstler im Moosacher Meta Theater auf hybride Weise zum Austausch treffen. (Foto: Christian Endt)

In dem Projekt "der letzte Seraphim" etwa sollen Tanz, Musik, Fotografie und Gegenständlichkeit zu einem Ganzen verschmelzen. Es beschäftigt sich mit den Themen Konsum, Müll, Ausbeutung, der Ambivalenz von Überbevölkerung und Aussterben sowie Zerstörung und Neuschöpfung. Zur Leitfigur wurde Seraphim, der brennende Engel Gottes, erkoren. Hinter der Recherche stehen die Münchner Musikerin Marja Burchard und die finnische Tänzerin Anna Orkolainen, die bereits während der Residenz 2021 gemeinsam das Stück "Spiderweb" entwickelt haben. Diesmal haben sie sich zum Trio erweitert, mit dabei ist Marcel (Maasl) Maier, Musiker aus Tettnang.

Im "Echokammerspiel" geht es um Gemeinsamkeit trotz unterschiedlicher Auffassungen

Ebenfalls eine Fortsetzung von 2021 ist das "Echokammerspiel": In dieser performativen und interdisziplinären Recherche wollen vier Künstler untersuchen, "wie Gemeinsamkeit noch oder wieder gelingen kann, obwohl große Unwägbarkeiten stark unterschiedliche Auffassungen generieren". Ein hochaktuelles Thema also. Das Team besteht aus der Theatermacherin Nicole Kleine, der Malerin Chantal Maquet, dem Komponisten Steffen Wick und der Dramaturgin Tabea Tangerding, sie kommen aus Berlin, Hamburg, München und Heidelberg in Moosach zusammen.

"Die dynamische Begegnung", eine "Recherche zur künstlerischen Co-Kreation" haben sich die Medienkünstlerin Judith Rautenberg und die Tänzerin Katrin Schafitel vorgenommen. Das heißt: Die zwei Künstlerinnen erkunden die mannigfaltigen Facetten des Raumes, in dem sie sich begegnen. Sie untersuchen ihre Denk-, Emotions-, Grenz- und Körperräume. Der Fokus liegt dabei auf dem künstlerisch-kreativen Potenzial, das durch die Synthese ihrer unterschiedlichen Arbeitsansätze freigesetzt wird. Rautenberg, die ursprünglich aus Grafing stammt, war bereits 2021 Teil der Residenzen in Moosach, damals mit einem Soloprojekt.

Nora Amin setzt sich mit vokalen Ritualen auseinander. (Foto: Veranstalter)

Die aus Kairo stammende Nora Elsayed (alias Nora Amin) arbeitet in Berlin als Schauspielerin, Autorin und Theaterregisseurin. Unter dem Titel "Embodying Voice Rituals" will sie in einer Trauma-Recherche "auf musikalisch-vokalen Expressionen basierende rituelle Formen als Grundlage performativer Strukturen untersuchen". Indem sie das mehr denn je aktuelle Thema "Heilung" integriert, wird sie neue Dimensionen der Wiederherstellung von Gemeinschaft und ihrer Stimme erforschen.

Wie funktioniert der "indirekte, stille Terror"?

Einem nicht minder aktuellen Thema widmet sich die Autorin Liwaa Yazji, die aus Syrien stammt und heute in Berlin lebt: Es soll um "Terror" gehen, um den äußeren, aber auch den inneren in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Künstlerin möchte den "indirekten stillen Terror untersuchen, mit dem wir alle konfrontiert sind, ihn aber nicht lokalisieren oder formell definieren können". Sie will mehr über seine Mechanismen und Motive erfahren und herausfinden, ob es möglich ist, sich davor zu schützen.

Kuscheln als Ware? Darum geht es, kurz gesagt, in einer Recherche namens "Soineya": Der Choreograph und Performer Luis Garay sowie der Regisseur und Philosoph Lennart Boyd Schürmann verfolgen - am Modell einer japanischen Cuddle-Show - die Hypothese, "dass ökonomische Handlungsformen sonst verborgene Spielweisen und Formen, Grammatiken und Genres der theatralen Ökonomie sichtbar und gerade dadurch differenziert erfahrbar werden lassen".

Das Projekt "Soineya" von Lennart Boyd Schürmann und Luis Garay kommt düster daher. (Foto: Veranstalter)

"Das blaue Gefühl. Neue Geste und eine andere Freiheit" - so nennt Antonio Guidi seine Recherche. Der in München lebende Italiener macht die Pandemie zum Thema: Sein Projekt ist eine "filmische Recherche über Bewegungen, Gefühle und Sensazioni aus der Corona-Zeiten, anhand der Erfahrungen anderer und meiner eigenen". In einem neuen Format der eigenen Identität nachspüren: Darum geht es in "Portrait of a Post-Habsburgian". Die tschechische Tänzerin und Choreografin Sara Koluchovà aus Dortmund möchte in ihrer Recherche "die Vielfalt der kulturellen Prägung im Körper" erkunden.

Gaston alias Florian Reinhold wandelt gerne zwischen den Welten. Nun versucht er, digitale und echt Bühne miteinander zu versöhnen. (Foto: Veranstalter)

Gaston forscht auch - zu hybriden Darstellungsformen

Ebenfalls wieder mit dabei: Gaston alias Florian Reinhold, Magier, Schauspieler und Improkünstler aus Bruck. Allerdings ist er diesmal nicht Stipendiat, sondern sozusagen auf einer Metaebene eingebunden. "Es geht darum, gut funktionierende hybride Modelle zu entwickeln, die die echte und die digitale Bühne miteinander verbinden", erklärt Tangderding. Das Meta Theater nämlich sei dafür technisch mittlerweile bestens ausgerüstet. Beim Kickoff zu den Residenzen zum Beispiel sei eine höchst spannende Kombination aus Zauberei, Improvisation und Malerei zu erleben gewesen. In Moosach wird also intensiv geforscht, in jeder Hinsicht.

"Take-Heart-Residenzen" am Meta Theater in Moosach : öffentliche Werkabende immer dienstags am 15. Februar, 15. März, 19. April, 17. Mai, jeweils 19 Uhr. Finale am Samstag, 4. Juni, 19 Uhr.

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