Historie der St 2080:Die Hundsbuben von der Zehnerl-Schranke

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Vor 100 Jahren ergaunerten sich Schlawiner im Ebersberger Forst durch eine Sperre bei Forstinning Weggeld. Heute wird wegen dem Verkehrschaos gestritten. Die Geschichte einer Straße, die einst ein Kiesweg war.

Von Korbinian Eisenberger, Forstinning

Minzkugeln waren damals etwas Besonderes, wegen des Geschmacks und dem vielen Zucker. Ein kleines Spitztüterl kostete zehn Pfennige, was die Minzkugeln noch besonderer machte, weil kaum ein Kind zehn Pfennige übrig hatte. Fast keines: Denn da waren ja die Schlawiner aus Forstinning, die mit ihrer Schranke hinter dem Ortsschild warteten und Weggeld verlangten. Lausbuben, "über die auf dem Schulhof noch Jahre später in höchsten Tönen gesprochen wurde", sagt einer, der sich ehrfürchtig erinnert, weil er selbst nie Geld für Minzkugeln übrig hatte.

Der Markt Schwabener Josef Blasi ist 88 Jahre alt, er war noch gar nicht geboren, da standen schon die ersten Forstinninger Spitzbuben im Wald und versperrten die Straße nach Ebersberg. "Wer mit seinem Fuhrwerk durch wollte, der musste ihnen ein Zehnerl ins Sackerl werfen." Die einen ärgerten sich, und die Buben hatten was zum Schlecken. "Was für eine findige Idee", sagt Blasi. Damals, vor hundert Jahren, kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs, als kaum einer etwas hatte. Als die Menschen in Bayern schauen mussten, dass sie ihre Kinder irgendwie durchbrachten.

Entspanntes 1978: Ein junger Forstinninger radelt mitten auf der Hauptstraße durch den Ortsteil Schwaberwegen. Das einzige Auto in Sichtweite ist geparkt.

Heute sind spielende Kinder auf der Hauptstraße undenkbar, Tag für Tag reiht sich Fahrzeug an Fahrzeug auf der schmalen Fahrbahn.

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(Foto: Carl Teine)

Kontrast zurück: An der Ecke Lindenstraße braust zwar ein Auto vorbei. Es lässt sich aber scheinbar noch recht mühelos vom einen zum anderen Trottoir hinüberkommunizieren.

Und sie mussten ihre Fuhren auf dem Weg nach Ebersberg durch Forstinning bringen, mit Holz, Kies und Wolle. 1918 war das noch recht kompliziert, nicht nur wegen der Schranke, sondern weil die Straße ein Kiesweg war, der alle paar Wochen ausgebessert werden musste. Weil der Regen den Kies aufschwemmte und weil die Kutschenräder Furchen hinterließen, war alle paar hundert Meter ein Kieshaufen aufgeschüttet. "Da ist dann der Straßenwärter den Weg mit einer Holzschubkarre abgegangen", erzählt Blasi. "Es hat passier'n können, dass man bei trockenem Wetter voll Staub war, wenn eine Kutsche an einem vorbeifuhr", sagt er. Solche Probleme gibt es auf der Straße von Ebersberg nach Markt Schwaben heute nicht mehr. Dafür aber andere.

Wo früher Pferdekarren vorbeiklapperten, rauschen heute im Sekundentakt Autos und Lastwagen durch den Ort. Das Wegerl von einst verbindet nicht mehr nur drei Ortschaften, es ist zu einer Verkehrs-Schlüsselstelle zwischen der bayerischen Landeshauptstadt und einem der größten Gewerbegebiete im Landkreis Ebersberg geworden. An der Autobahnausfahrt der A 94 sind nach Messungen des Freistaats mittlerweile täglich 11 000 Fahrzeuge unterwegs, und es werden immer mehr, so die Prognose. Im Ort ist deswegen ein Streit entbrannt: Die einen finden den Lärm an der Hauptstraße nicht mehr zumutbar, die anderen fürchten sich vor einer Umgehungsstraße. Dass man nun womöglich ihnen den Lärm vor die Tür setzt.

1958 wird die Straße von Ebersberg nach Markt Schwaben durch den Ebersberger Forst geteert – ein zukunftsweisender Schritt. (Foto: OH)

Eine Straße als Beispiel, wie sich die Region in 100 Jahren verändert hat

Früher machte sich die Dorfjugend einen Spaß mit den Autofahrern, heute ist dort vielen der Spaß vergangen. Auf alten Fotos sieht man, wie die Menschen noch zu Fuß mitten auf der Straße spazieren gehen, nun findet man im Internet Aufnahmen von Lastern, die zerdellt in einer Hecke stecken. Am Bürgersteig und an den Hauswänden hängen Plakate von Anwohnern, die sich wie Hilferufe lesen.

Jahrhundert-Themen im Münchner Umland. SZ-Serie. (Foto: N/A)

Auf der anderen Seite stehen Naturschützer und Bewohner des Waldrands - wegen der Umgehung sollen erstmals seit 200 Jahren wieder großflächig Bäume im Ebersberger Forst für eine neue Straße gefällt werden. In Forstinning gab es zuletzt Demos gegen die Umgehung - und dafür. Klar ist: Der Verkehr ist kein aufregendes Lausbuben-Vergnügen mehr, er ist für viele aufreibend geworden, generell in der Region um München, und in Forstinning speziell auch.

Man sieht dort recht gut, wie sich die Region in einem Jahrhundert vielerorts verändert hat. Der erste Schritt passierte Ende der 1950er-Jahre. Eine Aufnahme aus der Ebersberger Kreisdokumentation zeigt eine Dampfwalze und zwei Straßenarbeiter im Einsatz. "Der Wunsch nach Ausbau und Teerung der Straße Ebersberg-Schwaberwegen, die quer durch den Ebersberger Forst führt, fand 1958 Erfüllung", steht darunter geschrieben. Minzkugeln waren nun längst nicht mehr so rar wie damals, mit der geteerten Straße hörten die Späße am Straßenrand auf. "Vom Verkehr her war es da noch sehr erträglich", sagt der Forstinninger Carl Teine, der seit Mitte der Fünfzigerjahre in Schwaberwegen an der Hauptstraße wohnt. Bis es dort richtig laut wurde, brauchte es noch einige Jahre.

Das einzige was früher laut war: Die Peitschenhiebe der Kutscher

Erste Forderungen nach einer Umgehung kamen in den Siebzigern auf, und sie verstärkten sich mit der Erschließung des Gewerbegebiets Nord in Ebersberg, dem Bau der A 94 und schließlich, 1992, mit der Eröffnung des Erdinger Flughafens. Forstinning wurde so zum Knotenpunkt einer Nord-Süd-Verbindung für Pendler und Flughafengäste. Wer an der Hauptstraße durch Forstinning wohnte, für den wurde es dadurch immer lauter und gefährlicher. Und so kam es, dass der Freistaat die Umfahrung des Ortsteils Schwaberwegen in die höchste Dringlichkeitsstufe hob - und der Forstinninger Gemeinderat das umstrittene Projekt einstimmig absegnete.

Geblieben sind alte Fotos, Erinnerungen und Schriften. Einst haben sie sie in den Wald geschlagen, die "Staatsstraße 2080", wie sie heute genannt wird. Erwähnt wurde sie erstmals im Jahr 1040 unter dem Namen "Purcweg", wahrscheinlich benannt nach der einstigen Burg von Ebersberg über dem Ebrachtal, davon gehen die Historiker Hermann Dannheimer und Walter Torbrügge in ihrem Werk "Vor- und Frühgeschichte im Landkreis Ebersberg" aus. Dort, wo heute die Ebersberger Klosterkirche St. Sebastian steht, residierte zu dieser Zeit das mächtige Adelsgeschlecht der Grafen von Sempt-Ebersberg. Der Purcweg dürfte für sie nicht ganz unwesentlich gewesen sein, war er doch die schnellste Verbindung zu ihrer zweiten Niederlassung in Markt Schwaben.

So ging es knapp 900 Jahre später auch Josef Blasi, wenn er für eine Besorgung von Markt Schwaben in die Kreisstadt radelte, ohne die Straße wäre es kompliziert geworden. "Stad war es damals an der Straß'", sagt er. Fast immer eigentlich. Nur nicht, wenn der Kutscher mit der Goaßl ausgeholt hat. "Dann hat's gewaltig gschnoizt", sagt Blasi. Der Überlieferung nach sollen die Peitschenhiebe den Zugtieren gegolten haben. Und nur ganz selten den Pfennigfuchsern mit der Schranke.

© SZ vom 09.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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