Bildung im Landkreis Ebersberg:Schülern bricht der Rückhalt weg

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Über viele Jahre haben Sozialarbeiter der Diakonie an den weiterführenden Schulen gearbeitet. Wegen eines Formfehlers haben sie nun den Zuschlag verloren - und die Schüler ihre vertrauten Ansprechpartner.

Von Andreas Junkmann, Ebersberg

Halt und Sicherheit sind zwei Schlagwörter, die immer wieder fallen, wenn es um die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie geht. Dafür, dass beides nicht nur in den Familien, sondern auch in den Schulen gegeben ist, sollen unter anderem Sozialpädagogen sorgen. Obwohl der Landkreis Ebersberg nicht dazu verpflichtet ist, beschäftigt er solche Fachleute seit einigen Jahren im Rahmen eines speziellen Förderprogramms auch an den acht weiterführenden Bildungseinrichtungen in der Region. Doch just zum Start ins neue Schuljahr gibt es mächtig Ärger, denn der langjährige Vertragspartner hat bei der Neuausschreibung den Zuschlag für den Landkreis verpasst. Die Konsequenz: Schülerinnen und Schüler haben ihre vertrauten Ansprechpartner verloren, und die vertrauten Ansprechpartner ihre Jobs.

"Gerade zur Corona-Zeit wäre es zwingend notwendig, dass Konstanz da ist", sagt ein Schulsozialarbeiter, der lange Jahre im Landkreis beschäftigt war und nun zum Schulstart seinen Posten räumen musste. Seinen Namen will der Mann nicht in der Zeitung lesen, schließlich befindet sich sein Arbeitgeber - die Jugendhilfe Oberbayern der Diakonie Rosenheim - derzeit in einem Rechtsstreit mit dem Landratsamt. Es geht um Fehler, die bei der Ausschreibung im Landkreis gemacht worden sein sollen. Der Sozialpädagoge beschreibt den Ablauf wie folgt: Anders als noch bei der letzten Vergaberunde im Jahr 2016, sei das Ebersberger Landratsamt nicht aktiv mit der Bitte auf die Diakonie zugekommen, ihren Hut in den Ring zu werfen. Stattdessen setzte die Behörde, ähnlich wie bei Bauvorhaben üblich, auf eine europaweite Ausschreibung mit Zuschlag für den günstigsten Bieter. "Meine Vorgesetzten haben die Anzeige im Netz gefunden", sagt der Mann. Dennoch habe man eine Bewerbung eingereicht, die aber aufgrund eines Formfehlers auf einer der insgesamt 36 Seiten durchgefallen war. Eine Nachbesserung war nicht mehr möglich, den Zuschlag bekam der andere Bewerber - und die Diakonie zog vor Gericht.

Die Version des Sozialpädagogen deckt sich mit einem Schreiben der Grünen-Fraktion im Ebersberger Kreistag, in dem sie auf die Missstände in der Schulsozialarbeit hinweist. Die vertrauten Ansprechpartner für alle möglichen Probleme seien nun nicht mehr da - "und das in einer Situation, die den Kindern und Jugendlichen viel zumutet", heißt es darin. Auch der langjährige Ebersberger Sozialpädagoge betont, wie wichtig eine Vertrauensperson selbst für Realschüler und Gymnasiasten sei: "Man kennt jeden Schüler und Lehrer. Ich habe mir über die Jahre ein komplettes Netzwerk aufgebaut, das ist ab jetzt tot."

Denn seit vergangenen Dienstag werden die weiterführenden Schulen von neuem Personal betreut, eine Firma aus dem Ingolstädter Raum hat den Zuschlag bekommen, allerdings zunächst nur als Interimslösung bis Jahresende, wie das Landratsamt auf SZ-Nachfrage am Montag mitteilt. Weil der Rechtsstreit mit der Diakonie noch schwelt - es geht neben dem geforderten Recht auf Nachbesserung der Bewerbung auch um die Frage, ob eine offene Ausschreibung im Sozialbereich überhaupt rechtens ist - kann der neue Vertragspartner die Arbeit noch nicht endgültig aufnehmen.

In der Kreis-Behörde gibt man sich allerdings zuversichtlich, dass der Zwist bald beigelegt sein wird. Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Untersagung der Interimsvergabe habe das Verwaltungsgericht jedenfalls bereits abgelehnt. Vorwürfe, man habe die Trägerschaft falsch ausgeschrieben, weist man im Landratsamt ohnehin zurück. Stattdessen sieht man den Fehler bei der Diakonie: "Die Angaben auf den Preisblättern entsprachen nicht der vorgegebenen Vergütungsstruktur", heißt es über deren Bewerbung. Im Vergabeverfahren sei der bisherige Leistungserbringer also auszuschließen gewesen, so die Behörde in ihrer Stellungnahme - was übersetzt aus dem Beamtendeutsch nichts anderes heißt als: Die Diakonie war raus und der andere Bewerber bekam den Zuschlag.

An der Ingolstädter Firma, die nun vorübergehend einspringen wird, gibt es jedoch Kritik. Dem Sozialpädagogen zufolge, sei das Unternehmen vor allem auf Grund- und Förderschulen spezialisiert. Qualifiziertes Personal für weiterführende Schulen gebe es keines. Wohl auch deshalb habe man versucht, die in Ebersberg etablierten Sozialarbeiter abzuwerben. Aus Interesse habe er sich das Angebot der Firma angehört, erzählt der Mann. Diese habe ihm 45 Prozent weniger Gehalt, keine sozialen Leistungen, keine Altersvorsorge und einen auf zehn Monate befristeten Vertrag angeboten. "Da hab' ich dankend abgelehnt." Lediglich einer seiner Kollegen habe tatsächlich den Arbeitgeber gewechselt, aber auch nur deshalb, weil dessen Schule den Lohnunterschied aus der eigenen Tasche ausgleiche.

Allein das zeigt, dass man in den Bildungseinrichtungen alles andere als glücklich über den abrupten Trägerwechsel ist. Die Schulleiter hätten mehrere Briefe an das Landratsamt geschickt, ohne jedoch eine befriedigende Antwort zu erhalten. Aus dem Jugendamt habe es lediglich das Angebot an die Sozialpädagogen geben, sie können ja ihren Arbeitgeber wechseln. So zumindest erzählt es der Diakonie-Mitarbeiter, der auch über Tränen bei Eltern und Schülern am Tag der endgültigen Verabschiedung spricht. "Das trifft uns alle ins Mark", sagt er. Eine Sorge, die man am Landratsamt nicht teilt: Aufgrund der umfangreichen Vorarbeit des neuen Trägers und der intensiven Begleitung durch das Kreisjugendamt Ebersberg, stünden zum Schulstart an allen weiterführenden Schulen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung, um die sozialpädagogische Betreuung und Begleitung der Schülerinnen und Schüler zu übernehmen, so das Amt.

Wie es jedoch mit der Sozialen Arbeit an den Landkreisschulen auf längere Sicht weitergeht, ist unklar. Das zuständige Gericht wird nun entscheiden müssen, ob die Ausschreibung tatsächlich sauber abgelaufen ist. Dass die Diakonie den Zuschlag dann doch noch bekommen wird, daran glaubt der Sozialpädagoge nicht. Er und seine Kollegen, die die Schulen im Landkreis betreut haben, werden sich nun nach einem neuen Arbeitgeber umsehen müssen - denn außer den acht Ebersberger Bildungseinrichtungen betreut die Diakonie keine anderen weiterführenden Schulen.

Ob das Angebot der Schulsozialarbeit auch in der Region aufrecht erhalten wird, ist nach den Entwicklungen offen. Zwar hatte der Bildungsausschuss erst Ende Juni auf Drängen der Grünen die Aufstockung der Fachkräfte um 1,5 Stellen bewilligt, woher diese kommen sollen, fragen sich aber nicht zuletzt die Mitglieder der Kreistagsfraktion. Es sei unsicher, ob auch nur die bisher vorhandenen vier Vollzeitstellen angemessen wiederbesetzt werden können, heißt es von der Ökopartei. "Und das in einer sehr kritischen Zeit für die Schülerinnen und Schüler." Diese müssten nun auf eine intensivere Betreuung, die für den Beginn dieses herausfordernden neuen Schuljahres notwendig gewesen wäre, bis auf weiteres verzichten.

© SZ vom 21.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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