Nahverkehr:"Das ist eine schiere Katastrophe"

Lesezeit: 3 min

Schlechte Neuigkeiten für Pendler: Die Fertigstellung der zweiten S-Bahn-Stammstrecke verzögert sich. Politiker im Umland verfassen einen Brandbrief an Markus Söder.

Von Barbara Mooser, Ebersberg/Fürstenfeldbruck

In Markt Schwaben vergeht kaum ein Tag, an dem Bürgermeister Michael Stolze (parteilos) oder andere Verantwortliche im Rathaus nicht erboste S-Bahn-Kunden am Telefon haben. Oder eher: Menschen, die gern S-Bahn-Kunden wären, es beispielsweise wegen einer Gehbehinderung aber nicht sein können. Denn seit Jahren wird hier der barrierefreie Ausbau auf die lange Bank geschoben, zuletzt mit dem Hinweis: Das geschieht dann, wenn die zweite Stammstrecke fertig ist. Auch Taktverdichtungen und andere Angebotsverbesserungen im Landkreis sollten dann möglich werden.

Ungläubig und wütend reagieren Politiker in der Region deshalb auf die Tatsache, dass sich alles nun um voraussichtlich mindestens neun Jahre verzögern könnte. Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß (CSU) und seine Kollegen im Umland sparen in einem Brief an Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nicht an deutlichen Worten. Die Verzögerungen seien "angesichts des nahezu täglichen Verkehrskollaps innerhalb und um die Landeshauptstadt herum eine schiere Katastrophe", heißt es in dem Brief, der am Freitag abgeschickt wurde. Die Landräte fordern nun Verbesserungen unabhängig vom Bau der Stammstrecke.

Die Fahrgäste wenden sich von der S-Bahn ab

"Die teils sehr schlechte Leistungserbringung des Schienenverkehrs im Großraum München ist bereits heute und weitere fünfzehn Jahre sicherlich schlicht niemand mehr vermittel-, geschweige denn zumutbar", schreiben die Landräte. Die Fahrgäste aus der Region wendeten sich von der S-Bahn wegen der täglichen Ärgernisse ab. Schon lange hätte aus Sicht Niedergesäß', der auch Sprecher der MVV-Landkreise ist, und seiner Kollegen beim Infrastrukturausbau viel mehr passieren müssen. Heftige Vorwürfe richten die Landräte an die Deutsche Bahn: Deren Vorstand habe bisher das lange gewünschte Gespräch verweigert beziehungsweise das Thema auf die Fachebene verwiesen: "Das ist angesichts der fortlaufenden Schlechtleistung der Bahn nicht akzeptabel!"

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Wie sich die Situation beim Bahnverkehr in der Region verbessern könnte, dafür gibt es ohnehin seit langem Ideen. 43 Vorschläge stehen auf einer Liste, die 2019 erstellt wurde und die man sich nun nach Ansicht der Landräte schnellstmöglich wieder vornehmen sollte.

Auch der Kreis Ebersberg kommt auf dieser Liste vor, mit Maßnahmen, auf die viele S-Bahn-Nutzer seit langem hoffen. Darunter die Beseitigung der nervtötenden Engstelle zwischen Grafing-Bahnhof und Ebersberg, hier gibt es ein Konzept, das zwei Ausweichstellen - eine davon mit einem zusätzlichen Bahnhof für Ebersberg - vorsieht. Auch der viergleisige Ausbau der Strecke zwischen München und Markt Schwaben ist enthalten, seit Jahrzehnten fordern Politiker in den Anrainergemeinden der S2 diesen, um die viel belastete Strecke endlich leistungsfähiger zu machen.

"Meine Geduld ist am Ende", sagt Markt Schwabens Bürgermeister

Noch höhere Priorität als diesen beiden Maßnahmen wird im Konzept dem barrierefreien Ausbau in Markt Schwaben und dem Bau eines zusätzlichen Bahnsteigs dort eingeräumt, sie gelten als "Maßnahmen in Planung beziehungsweise Realisierung". Doch von Realisierung kann keine Rede sein: Laut ursprünglicher Planung hätte der Bahnhof in Markt Schwaben schon 2019 barrierefrei sein sollen. Doch tatsächlich ist der Bahnhof für Menschen, die im Rollstuhl sitzen, schwer Treppen steigen können oder einen Kinderwagen dabei haben, im Prinzip nicht nutzbar. Oder nur mit großen Mühen und Unterstützung anderer.

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Begründet wurde die Verzögerung damit, dass man nicht etwas bauen wollte, was möglicherweise in ein paar Jahren schon wieder abgerissen oder umgebaut werden müsste: Denn in Markt Schwaben wird sich einiges tun. Der viergleisige Ausbau, sollte er denn dereinst kommen, würde unter anderem ein so genanntes "Überwerfungsbauwerk" nötig machen, durch das auch S-Bahn sowie Güter- und Regionalverkehr besser getrennt werden könnten. Seit zwei Jahren wird daher an neuen Plänen gearbeitet, die dieses Projekt mit dem barrierefreien Ausbau unter einen Hut bringen können.

Markt Schwabens Bürgermeister Michael Stolze allerdings will sich von der Bahn nun nicht mehr mit dieser Begründung abspeisen lassen. Noch ist zwar unklar, inwieweit die Verzögerung bei der zweiten Stammstrecke auch weitere Verzögerungen in Markt Schwaben auslöst, doch Stolze sagt: "Meine Geduld ist am Ende." Er habe sich gleich am Tag, nachdem das Desaster bei der zweiten Stammstrecke bekannt wurde, ans Telefon geklemmt und mit dem zuständigen neuen Ansprechpartner bei der Bahn ausgetauscht. Immerhin, sagt Stolze, habe er das Gefühl gehabt, dass ihm zugehört werde - was in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen sei. Er fordere nun, dass Barrierefreiheit schnellstmöglich geschaffen werde - notfalls mit einer Übergangslösung.

Die S2 ist schon jetzt oft überfüllt, am Poinger Bahnsteig herrscht Gedränge. Ein Zug mehr pro Stunde - und das möglichst in der Langversion - ist der Wunsch vieler in der Gemeinde. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch im Rathaus der Nachbargemeinde Poing hat man die aktuelle Entwicklung mit Sorge verfolgt. "Mehr als bedauerlich", so lautet das Urteil von Bürgermeister Thomas Stark (parteilos), denn es bedeutet für seine Gemeinde, dass der längst ersehnte 15-Minuten-Takt wohl auch auf absehbare Zeit nicht kommt. Schon jetzt drängeln sich die Menschen in den Zügen und an den Bahnsteigen - und in der Wachstumsgemeinde Poing wird auch in den nächsten Jahren der Zuzug unvermindert anhalten. "Die S-Bahn ist nun mal das Rückgrat des ÖPNV", sagt Stark, mit Bussen oder anderen Verkehrsmitteln könne man Defizite hier nicht abfangen. Eine S-Bahn mehr pro Stunde und der Einsatz von Langzügen wäre laut Stark längst dringend nötig, ebenso wie der Ausbau der bisher zweigleisigen Strecke zwischen München und Markt Schwaben. Immerhin: Den barrierefreien Ausbau des Bahnhofs hat Poing längst selbst in die Hand genommen, er ist inzwischen abgeschlossen.

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