Rhetorik aus Vaterstetten:Selbstoptimierung durch Sprechen

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Roland Jeche aus Vaterstetten ist Speaker Slammer. In München leitet er einen Club, in dem die Kunst der öffentlichen Rede gefördert werden soll

Von Franziska Langhammer

Wäre dieser Text eine Rede, er würde mit zwei Fragen beginnen: Wer würde sich als introvertiert bezeichnen? Und wer fühlt sich trotzdem richtig wohl, wenn er vor großem Publikum sprechen kann? Roland Jeche müsste daraufhin zwei Mal die Hand heben.

Aktivierungsfragen nennt Jeche diese Art von Konversationsbeginn. In seinem Fall ist das Gespräch ein Monolog, sein Gegenüber ein Publikum von manchmal mehreren hundert Zuhörern. Jeche, studierter Wirtschaftsingenieur und beim Teleshopping-Fernsehen fest angestellt (jedoch hinter der Kamera), ist unter die Slammer Speaker gegangen. Im Gegensatz zu den Poetry Slammern, die vor ihrer Zuhörerschaft um die Wette reimen, ist es Ziel der Slammer Speaker, das Publikum mit rhetorischen Mitteln zu fesseln, Gestik und Mimik inklusive. Die Zeit läuft, meist sind es fünf Minuten, und das Thema ist oft eines, das den Speakern am Herzen liegt.

Bei Roland Jeche ist es die Achtsamkeit, der er sich verschrieben - beziehungsweise: versprochen - hat. "Bleib hier im Moment, das ist mein großes Credo", sagt der 47-jährige Vaterstettener. Und so gewann er auch im September mit seiner Rede "Wie lange noch? Jetzt ist immer der richtige Moment!" den Excellence Award beim sechsten Österreichischen "Speakerslam". Bereits beim "Silent Speaker Battle" im Januar konnte Roland Jeche eine Auszeichnung für sich verbuchen. Apropos Denglisch: Weil das Zelebrieren der öffentlichen Rede ursprünglich aus den USA stammt, wimmelt es in diesem Bereich von englischen Fachwörtern.

Ausgerichtet wurde die Veranstaltung im September von Hermann Scherer, einem der Top-Speaker Deutschlands. Seine Seminare gelten als Talentschmieden für Redner und solche, die es werden wollen. Scherer ist Bestsellerautor von Werken wie "Jenseits vom Mittelmaß" und "Denken ist dumm. Wie Sie trotzdem klug handeln", und auf seiner Homepage verspricht er, Menschen zu Marken zu machen. Als Lebenswerk bezeichnet Scherer seine Sinnsprüche im Seminar "Gold", und auch hier soll alles auf Hochglanz gebracht werden - bitte bloß kein Durchschnitt! Auch wenn Roland Jeche ihn als Vorbild nennt, teilt er nicht alle Ansichten Scherers: Er glaube nicht, dass der Inhalt weniger wichtig sei als die Rede selbst.

Auch bei Jeche begann alles mit einem Seminar, das er vor zwei Jahren besuchte. "Boosting your charisma" war das Thema, was übersetzt so viel heißt wie "Steigere dein Charisma". Grundtenor des Seminars war, dass Charisma nichts Angeborenes sei, sondern erlernt werden könne. Dort erfuhr Jeche auch von den Toastmasters, einer weltweit agierenden Non-Profit-Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Kunst der öffentlichen Rede zu fördern. In München gibt es zwölf Toastmaster-Clubs in deutscher, englischer oder französischer Sprache, in denen sich regelmäßg Menschen treffen, um an ihrem rhetorischen Auftritt zu feilen. "Ende 2018 hab ich mir das mal angeguckt", erzählt Jeche. "Seitdem ist es wie eine Sucht."

Mehrmals im Monat, so Jeche, treffen sich die Toastmasters und halten voreinander Reden, manchmal über vorgegebene Themen, manchmal über selbst ausgewählte. Feedback zu ihrem Auftritten bekommen die Redner von einem dazu bestimmten Clubmitglied - natürlich auch in Form einer Rede. "Da sind auch schüchterne Leute, die stottern und vergessen, was sie sagen wollen", sagt Jeche. "Zwei Jahre später stehen sie dann auf der Bühne, ziemlich lässig." Momentan ist Jeche auch Präsident eines Clubs, der rotierend gewählt wird, hat unter sich Officer und Schatzmeister, die er wie ein kleines Unternehmen leitet. Neben dem Erlernen von Führung ist auch Selbstbestimmung ein großes Thema der Toastmasters. "Where leaders are made" ist das Motto der Clubs. Roland Jeche beschreibt es so: "Ich möchte mehr aus mir machen."

Nach den großen Regeln im Redenhalten gefragt, zählt Roland Jeche auf: "Ich, ich, ich" vermeiden, die Wichtigkeit beim Publikum lassen und den Auftritt bis ins kleinste Detail vorbereiten, auch technisch. "Man darf nicht auf die Bühne gehen und erst mal aufs Mikro klopfen", sagt Jeche. "Das geht überhaupt nicht." Eine beliebte Möglichkeit der Erzählweise sei zum Beispiel die Heldenreise, bei welcher der Redner aus seinem Leben erzählt, unter anderem auch von Rückschlägen - und wie er es dann doch geschafft hat, ans Ziel zu kommen.

Jeche, die halblangen Haare nach hinten gekämmt und mit einem roten Einstecktuch ausgestattet, lässt im Gespräch immer wieder kalenderspruchartige Aussagen fallen; Lebensweisheiten, die ihn geprägt haben. "Der Lehrer zeigt sich dann, wenn der Schüler bereit ist", sagt er etwa, oder: "Erfolg hat drei Buchstaben: Tun." Ausdrücklich sieht er sich aber nicht als Motivationstrainer. "Ich will eher inspirieren, die Leute zum Nachdenken anregen", sagt Jeche. Gleichzeitig ist das Lernen vom Redenhalten für ihn eine Art Selbstoptimierung, ein Prozess, der das Beste aus einem heraushole. Wenn man nun aber schüchtern ist? "Ich würde mich selbst auch als introvertiert bezeichnen", lautet die etwas überraschende Antwort von Roland Jeche, der im nächsten Moment erzählt, dass er vor dem Auftritt nichts anderes mehr wahrnimmt als die Bühne, und dass er dann voll im Moment sein kann.

Im November naht das nächste Event, an dem Jeche als Top-Speaker teilnimmt: das "Greator-Festival". Die Homepage verspricht ein illustres Miteinander von Top-Speakern, Bestsellerautoren, Lebensberatern und teils esoterisch angehauchten Erfolgscoaches. Auch Roland Jeche wird auftreten und sein Publikum mitnehmen auf seine ganz persönliche Heldenreise.

© SZ vom 20.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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