Premiere am Sonntag:Die Normalität im Wahnsinn

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Schauspielerin Annett Segerer und Regisseur Mario Eick inszenieren das Tagebuch von Anne Frank am Theater Wasserburg

Interview von Johanna Feckl

Kurz vor Weihnachten, am kommenden Sonntag, feiert eine neue Inszenierung Premiere am Theater Wasserburg: das Tagebuch der Anne Frank. Dargestellt wird die jüdische Jugendliche, eines der vielen Opfer des Holocausts, von Annett Segerer. Im Gespräch mit der Ebersberger SZ erzählt die 42-Jährige aus Wasserburg, wieso der Termin für die Uraufführung eigentlich ganz gut zu Weihnachten passt, und was wir alle mit Anne Frank gemeinsam haben.

SZ: Frau Segerer, Anne Frank wurde 1945 im KZ Bergen-Belsen nach acht Monaten grausamer Gefangenschaft getötet. Eine Geschichte mit solch einem Ende ist ein ziemlich krasser Kontrast zum Fest der Liebe, zu Weihnachten, oder?

Annett Segerer: Na ja, die Leute sind damals umgebracht worden - ob Weihnachten war oder nicht. Nur weil Weihnachten ist und sich viele etwas schenken, ist ja nicht gleich alles Friede, Freude, Eierkuchen. Leider Gottes behält das Thema immer seine Aktualität. Dieser ganze Weihnachtstrubel ist ja eigentlich auch weniger ein Fest der Liebe, sondern ein Fest des Konsums. Aber in jedem Fall ist das Datum bestimmt kein gezielter Schocker. Vielleicht passt es sogar recht gut: Es ist auch die "stade" Zeit - Zeit, mal ein bisschen nachzudenken ...

Können Sie sich erinnern, wann Sie das Tagebuch zum ersten Mal gelesen haben?

Tatsächlich habe ich es nicht in der Schule gelesen. Sondern erst jetzt im Zuge der Inszenierung: Ich war auf der Suche nach einem Stoff für das Kinder- und Jugendtheater. Da kam mir Anne Frank in den Kopf. Dann habe ich das Tagebuch gelesen.

Das ist eher ungewöhnlich. Das typische "Erst-Lesealter" ist wahrscheinlich so um die 15 Jahre...

Ja, das war bei mir wahrscheinlich schon eine Art Sonderfall. Und trotzdem bin ich in die Gefühlswelt von Anne Frank eingetaucht und kann mich auch als Erwachsene in den Problemen von ihr wiederfinden. Egal wie krude, im Wahnsinn sucht man immer die Normalität. Das ist normal und lässt sich gar nicht wegdrücken. Das haben wir heute wohl auf eine verquere Art gemeinsam mit Anne Frank. Klar ist aber auch, dass sie Sachen erlebte, die für keinen von uns begreifbar sind. Man kann davon wissen, ja, man kann sich das vorstellen. Aber begreifen kann das niemand.

Die Inszenierung nun dauert in etwa eine Stunde - das heißt, Sie bringen nicht das gesamte Tagebuch auf die Bühne. Auf welchen Teil haben Sie sich beschränkt?

Ich habe eine sehr intuitive Auswahl von Tagebucheinträgen getroffen, die mich besonders berührt haben, bei denen ich ein Thema für mich gefunden habe. Als ich dann den Regisseur Mario Eick gefragt habe, ob ihn das Thema interessieren würde, ist er gleich angedockt. Ich habe ihm meine Textauswahl geschickt, und wir haben zusammen Kürzungen vorgenommen. Es kommen also tatsächlich nur Texte aus dem Tagebuch vor, wir haben keine Fremdtexte dazu geschrieben.

Und in welcher Form bringen sie diese Texte auf die Bühne? Es handelt sich schließlich nicht um ein genuines Theaterstück, sondern um Tagebucheinträge, die Sie nun als Solostück inszenieren.

Da geht es natürlich erst einmal um die Definition von Schauspiel. Ich begreife das so, dass ich die Geschichten von Anne Frank erzähle anhand der Mittel, die mir zur Verfügung stehen. In der Hauptsache sind das die Bühne und ein paar wenige Requisiten.

Können Sie das genauer erklären?

Mario Eick und ich haben zusammen die Bühnenidee entwickelt: Sie ist ein kleiner Raum, sozusagen das Tagebuch. Das ist die Welt von Anne Frank - ihre Welt ist ja irgendwann tatsächlich auch das Tagebuch gewesen. Ich schreibe in meiner Rolle dann auch kurze Teile von Tagebucheinträgen an die Wand, so wie eben auch Anne Frank in ihrer Welt die Einträge geschrieben und dadurch ihre Gedanken ja sozusagen "weggeschrieben" hat.

Macht es für Sie einen Unterschied, eine fiktive Geschichte zu spielen oder eben so etwas Tragisches und Reales wie das Schicksal der Anne Frank?

Dieses Bewusstsein, dass es sich um eine Geschichte handelt, die tatsächlich passiert ist, oder dass das die Gefühlswelt von jemandem ist, der tatsächlich gelebt hat - das ist natürlich da. Aber das kann man auch zu einem gewissen Teil vernachlässigen. Ich kann Anne Frank nicht imitieren, ich habe sie nicht kennengelernt. Ich kann diese Person nur so spielen, wie ich sie durch ihr Tagebuch kennengelernt habe. Insofern ist da schon eine Ähnlichkeit zu Stücken mit fiktiven Charakteren, weil man auch dort die Personen nur durch den Text kennenlernt.

Im Spielplan gibt es aktuell nur einen Vorführungstermin. Wird sich das ändern?

Tatsächlich ist es so, dass wir mit dem Stück auch Schulen erreichen möchten - die können für eine Aufführung ab sofort immer an uns herantreten. Dennoch ist es kein reines Jugendstück. Es ist ja ein Thema, das uns alle angeht. Deshalb wird es bestimmt irgendwann auch weitere Termine im Spielplan geben.

Noch vor der Premiere gibt es bei Ihnen am Theater eine Lesung, in deren Mittelpunkt die jüdische Dichterin Else Lasker-Schüler steht. Am Samstag dann folgt eine "Jjidische Weihnacht" mit Nirit Sommerfeld, Martin Umbach und dem Orchester "Shlomo Geistreich". Zufall?

Wir hatten sehr wohl vor, uns in der aktuellen Spielzeit diesem Themenkomplex zu widmen. Unser Eindruck ist, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der es durchaus angebracht scheint, sich mit politischen Tendenzen auseinanderzusetzen, die es schon früher gab und die grausigste Formen menschlichen Handelns zur Folge hatten. Dass aber eine Art "Themenwochenende" daraus geworden ist - das war der reine Zufall.

"Das Tagebuch der Anne Frank" am Theater Wasserburg, Premiere am Sonntag, 22. Dezember, um 19 Uhr. Karten und Infos unter www.theaterwasserburg.de.

© SZ vom 18.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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