Fotografie in Poing:Bilder vom bewegten Leben

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Eigentlich wollte Norbert Haberkorn in Shanghai nur Urlaub machen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Fotografen Norbert Haberkorn und Robert Anthony zeigen in der Poinger Galerie Orth urbane Szenen. Der eine widmet sich dem Untergrund Shanghais, der andere großen Panoramen.

Von Rita Baedeker, Poing

Wer in Münchens U- und S-Bahnverkehr über undurchschaubare Tarifzonen, dreckige Waggons oder gefährliche Lücken zwischen Tür und Gleisbett klagt, sollte in die Großstadt Shanghai reisen - zur Erholung. Zwar ist dort wegen der Luftverschmutzung der Himmel meist diesig, dafür ist die Welt unter der Erde umso sauberer. Bahnsteige und Räume sind stets frisch gewienert, kein Fitzelchen Müll liegt herum, und zwischen Zugtüren und Bahnsteigen sind Sicherheitsschranken, die verhindern, dass man ins Gleis abrutscht.

Man kauft ein Ticket für 30 Euro, das gilt einen Monat lang fürs ganze Netz. Die Fahrtkosten werden jeweils abgebucht. "Einfacher geht's nicht", sagt Norbert Haberkorn. Der Poinger Künstler und Fotograf stellt zusammen mit dem englischen Fotografen Robert Anthony unter dem Titel "Mega-Citys im Blick" von kommenden Samstag an in der Galerie Orth in Poing aus.

Das Vekehrssystem hat Haberkorn beeindruckt

Haberkorn kann nicht aufhören, das Bahnnetz von Shanghai zu preisen. Eigentlich war er dort mit seiner Frau vier Wochen lang zu einem privaten Besuch. "Wir wohnten bei Chinesen mitten in der Stadt", sagt er. "Und weil wir uns die Metropole auf eigene Faust erschließen wollten, nutzten wir die Bahn." Doch ganz egal, wo man lande, überall gebe es auf einen Blick verständliche Hinweistafeln, die einem zeigen, wo es lang geht. Kurz gesagt: Das Verkehrssystem von Shanghai hat Haberkorn so beeindruckt, dass er beschloss, eine Fotoserie zu machen, ähnlich seinem Projekt "S2 - Life in Transit", bei dem er als Pendler zwischen Poing und München über sechs Jahre lang faszinierende Eindrücke des Bahnfahrens eingefangen hat.

Im Unterschied zu den S2-Bildern fehlt der Shanghai-Serie, die überwiegend im Untergrund entstand, der Blick nach draußen in die Vorstadt-Landschaft, es fehlen die Spiegelungen und Tempo-Unschärfen. Dafür konzentrierte Haberkorn sich mehr auf die von ihm empfundene Stimmung von Gelassenheit und Ruhe, auf die pedantische Ordnung. Nahezu jeder Schritt, jede Bewegung ist kanalisiert und reglementiert, vom Ticketkauf bis zum Einsteigen an Millimeter genau markierten Haltepunkten.

"Die Menschen rennen nicht wild durcheinander wie bei uns", sagt Haberkorn. Dass diese Reglementierung zwar für den Fremden angenehm, aber eben auch Zeichen eines rigiden politischen Systems ist, weiß Haberkorn natürlich. So ist ihm zum Beispiel aufgefallen, dass an einem Tag wie dem 1. Mai überall fesch herausgeputzte, starr geradeaus blickende Soldaten herumstehen und dass größere Taschen vor der Fahrt durchgecheckt werden wie am Flughafen.

Fotograf Haberkorn hat als Pendler zwischen Poing und München über sechs Jahre lang faszinierende Eindrücke des Bahnfahrens eingefangen (Foto: Norbert Haberkorn)

Die Bilder zeigen den Alltag

Seine Fotos, alle mit einer kleinen Kamera aufgenommen, spiegeln das Alltagsleben unterwegs im engen Kosmos der Züge: Frauen und Männer tippen in ihre Smartphones, machen ein Nickerchen, viele wirken müde, manche tragen eine Atemschutzmaske - wegen der dicken Luft draußen. Kurioserweise sind auf Werbe-Plakaten häufig europäische Fußballmannschaften zu sehen. Chinesisch hat Haberkorn während der Wochen in Shanghai nicht gelernt. "Aber Wein und Bier in der Landessprache kaufen, dass konnte ich."

Viel in der Welt herum kommt auch der englische Maschinenbauingenieur und Fotograf Robert Anthony, der in München lebt und ein Arbeitskollege von Haberkorn war. In seinen Panoramabildern, mit denen er eine Tradition des 19. Jahrhunderts aufgreift, erzählt Anthony eine Geschichte - die von der Naturlandschaft zur Metropole. Schon im 19. Jahrhundert waren solche Rundbilder populär. Heute fügt man, um diesen Effekt zu erreichen, Einzelbilder am Computer zusammen.

Robert Anthony zeigt mit seinen Panoramen, wie die menschliche Architektur die Landschaft verändert. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wasser, Brücken und Bauwerke verbinden sich

Majestätisch schön sind diese Panoramen. Grandios der Anblick des weißen Schiffchens, das sich im schwarzblauen Nirgendwo aus Wasser, Wolken und Bergen bewegt (der Chiemsee). Eine Seebrücke, die weit hinaus ins Meer ragt, ist die nächste Station. In Prag, in Venedig und in Scarborough, der Heimat Anthonys, haben sich Wasser, Brücken und Bauwerke zu einer eigenen Welt verbunden, einer Welt, um die Mensch und Natur bisweilen noch ringen. Breslaus Altstadtpanorama dokumentiert die Sicherheit eines geschlossenen Ensembles. Doch in der Mitte entspringt das Chaos - die Wiesn in München. Die Namen der Brauereien ziehen sich treppenartig und diagonal übers Bild.

Die Mega-City Singapur schließlich ist in drei Variationen zu sehen - aus verschiedenen Perspektiven. Je nach Höhe des Standpunkts enthüllt die Weltstadt am Wasser neue Seiten ihrer einschüchternden, gleichwohl bedrohten Architektur.

Die Ausstellung wird am Samstag, 7. November, 16 bis 21 Uhr, in der Galerie Orth in Poing, Eichenweg 4, eröffnet. Zu sehen bis Sonntag, 15. November, Montag bis Freitag 14 bis 18, Samstag und Sonntag 11 bis 16 Uhr. Ein Künstlergespräch findet am Mittwoch, 11. November, 19.30 bis 21 Uhr, statt.

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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