Notunterkunft in Vaterstetten:Für ein Minimum an Menschenwürde

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Obwohl die Verantwortlichen tun, was sie können, ist eine Turnhalle zur Unterbringung von 200 Flüchtlingen nur bedingt geeignet. Doch für die Männer, Frauen und Kinder zählt nur eines: Sie sind in Sicherheit.

Von Karin Kampwerth, Vaterstetten

Dicht an dicht stehen die Stockbetten in der Turnhalle, in der naturgemäß nur ein Minimum an menschenwürdiger Unterbringung erreicht werden kann. Die Flüchtlinge sollen höchstens fünf Wochen bleiben. (Foto: Peter Hinz-Rsoin)

Der erste Bus kam gegen 14 Uhr am Dienstagnachmittag. Der zweite nur zehn Minuten später. Bus drei folgte um 17 Uhr, Bus vier und fünf fuhren am Mittwochvormittag und -nachmittag an der Turnhalle des Vaterstettener Humboldt-Gymnasiums vor. Heraus purzelten insgesamt 200 Menschen, viele Männer, wenige Frauen, ein paar Kinder. Vaterstetten? Wo das eigentlich liegt, werden die Flüchtlinge wohl erst in den nächsten Tagen erfassen.

Wichtig ist zunächst, dass sie in der Turnhalle der Schule ein Dach über dem Kopf, ein Bett zum Schlafen - und Sicherheit finden. Viele sind zum ersten Mal auf dem gefährlichen Weg aus ihren Heimatländern nach Europa, Bayern, Vaterstetten. Nach der nächtlichen Erstaufnahme im Ankunftszentrum in der Baierbrunner Straße in München mit Aufnahme der persönlichen Daten und kurzem Gesundheitscheck wurden sie weiter in den Landkreis geschickt, denn die Bayernkasern ist derzeit am Ende ihrer Kapazitäten.

Die für die Schule wichtige Nachricht, die Stefanie Geisler, Leiterin der Abteilung Soziales im Ebersberger Landratsamt, am späten Dienstagnachmittag Direktor Rüdiger Modell überbringt, ist die Aussicht, dass die Regierung von Oberbayern die Halle am 22. Juni wieder freigeben will, denn die Unterkunft ist zur Not und nicht auf Dauer ausgelegt. "Die Erfahrungen aus anderen Landkreisen zeigen, dass sich die Regierung an die Zusagen hält", sagte Geisler.

Was nicht heißt, dass die Flüchtlinge nicht willkommen wären. Aus der Elternschaft, die noch am Montag informiert wurde, habe sie nur positive Rückmeldungen erhalten, berichtete Elternbeiratsvorsitzende Sabine Pillau: "Man wollte wissen, wie man helfen kann."

Helfen, das wollen auch die Verantwortlichen im Landkreis, auch wenn diese bei der Unterbringung an die Grenzen dessen stoßen, was eine Turnhalle als Sammelunterkunft eben nur zu bieten hat. 100 Stockbetten mit 200 Schlafplätzen, in Reihen dicht an dicht aufgestellt. Alleinstehende Frauen - am Dienstag waren es noch fünf, dazu drei Kinder im Alter zwischen einem und drei Jahren - inmitten von Männern. Die Nationalitäten kunterbunt durcheinander. Die Flüchtlinge stammen aus Mali, Pakistan, Syrien, Sierra Leone, Senegal.

Stefanie Geisler hat deshalb die Integrationsbeauftragte des Landkreises, Mirjana Šimić, zu Rate gezogen, um von Mittwochabend an, wenn die Halle voll belegt ist, eventuell umzubelegen, damit Ethnien, von denen man weiß, das es Probleme geben könnte, nicht unbedingt Bett an Bett liegen. Auch die Frauen, Kinder und die weiteren Familien, die am Mittwoch noch angekommen sind, versucht man, in einem Teil der Halle gemeinsam unterzubringen. Doch zunächst geht es um das Wesentliche, die Basics einer menschenwürdigen Unterbringung sozusagen.

Dazu gehören sechs Umkleidekabinen mit jeweils drei Duschen. Außerdem wurden Dixiklos geordert. "Falls das nicht reicht, können wir Sanitärcontainer aufstellen", sagte Geisler. Am Mittwoch wurden vier Waschmaschinen aufgestellt. Essen erhalten die Flüchtlinge aus der Ebersberger Kreisklinik. Es gibt drei Mahlzeiten, die ein Fahrdienst des BRK nach Vaterstetten bringt. In den ersten Tagen gibt es Stefanie Geisler zufolge Gemüseeintopf mit und ohne Fleisch, um den religiösen Gepflogenheiten gerecht zu werden.

Außerdem werden die Flüchtlinge nach Ebersberg in die Klinik zu weiteren Untersuchungen auf HIV, Hepatitis oder Tuberkulose gefahren. In der Turnhalle haben die neuen Bewohner eine ganze Reihe von Ansprechpartnern. Sozialpädagogen und Jugendamtsvertreter sind da, der Sicherheitsdienst, der schon in den anderen Unterkünften im Landkreis im Einsatz ist, arbeite in drei Schichten rund um die Uhr und helfe auch, sich in Vaterstetten zurecht zu finden. Außerdem hat Geisler das Kriseninterventionsteam alarmiert - falls sich Anzeichen von Traumata bei Flüchtlingen bemerkbar machen würden.

Selbst die Helferkreise sind schon aktiv. Sie haben bereits Räume, in denen sie in der kurzen Zeit mit den Flüchtlingen beispielsweise etwas Deutsch lernen könnten. Ebenfalls gut vorbereitet ist das Gymnasium. Falls die Halle wider Erwarten zur Verleihung der Abiturzeugnisse am 26. Juni nicht frei ist, dann wird man sich laut Direktor Modell einen Plan B überlegen. In den nächsten Tagen würden die neuen Nachbarn außerdem Thema im Unterricht sein - es hätten schon Schüler gefragt, ob man Flüchtlinge in die Klassen einladen könnte. "Warum nicht, wir sind da sehr aufgeschlossen", versicherte Modell.

Insofern könnte Stefanie Geisler als Verantwortliche zufrieden sein, denn Ankunft und Aufnahme laufen rund, alle Betroffenen wurden schnell informiert, Beschwerden gibt es bislang keine. "Dennoch fällt es mir schwer, 200 Menschen in einer Turnhalle zu sehen", sagte sie, obwohl sie seit vier Jahren mit der Unterbringung von Asylbewerbern zu tun hat. Empathie statt Abstumpfung - für die Flüchtlinge kann das nur von Vorteil sein.

Die Veranstaltung für ehrenamtlich in der Asylarbeit engagierte Landkreisbürger an diesem Donnerstag, 21. Mai, muss ausfallen, da die Mitarbeiter im Landratsamt allesamt in der Notunterkunft im Einsatz sind. Neuer Termin ist der 15. September.

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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