Zwischen Sitz C und D ist kein Meter Platz, doch der Gang reicht für eine Gruppe Musiker samt Instrumenten aus. Vorne steht die 18-jährige Hannah Kreck und schmettert ein Lied, hinter ihr Menschen mit Ukulelen, Trompeten und Klarinetten. Es ist Mittwochfrüh, ein Flugzeugabteil gut 10 000 Meter über dem Boden, zwei Stunden vor der größten Stadt Südafrikas. Der Pilot hat gerade eine Lautsprecherdurchsage gemacht und "A surprise from the Grafing Youth Orchestra from Munich" angekündigt. Und prompt geht im Flugzeug die Post ab: Das Jugendorchester singt und spielt, die Bordcrew klatscht im Takt mit. Ein Flugbegleiter sagt auf Englisch: "So was habe ich in zehn Jahren nicht erlebt."
Das Grafinger Jugendorchester ist mittlerweile wieder auf dem Boden angelangt. Am Mittwochmorgen um kurz nach zehn Uhr sind die 60 Musiker in Johannesburg gelandet, wo sie ein gemeinsames Konzert mit einem südafrikanischen Orchester geben werden. Schon vor der Landung haben sie dreimal aufgespielt, zweimal auf dem Flughafen daheim in München, dazu das Exklusivkonzert im Flugzeug. Was über all dem schwebt ist die Frage: Warum überhaupt fliegen 60 Musiker aus Oberbayern nach Südafrika, um dort zu musizieren?
Zwischen München und Johannesburg ist Station in Dubai. Drei Stunden Warten am Gate, zwischen Geigenkoffern und Reisetaschen. Zeit für Gespräche ohne Zeitdruck - aber auch ohne Rückenlehne, die Sitze am Gate sind voll belegt. Severin Berger aus Ebersberg sitzt auf dem Boden, der 24-Jährige bläst die Trompete, wenn sie am Sonntag zusammen mit dem Johannesburg Youth Orchestra auftreten, ein Studentenorchester von der University of Johannesburg. "Wir wollen zeigen, dass man Lederhosen tragen kann, und gleichzeitig offen für Fremdes und Neues ist", sagt er. Dass man zu seiner eigenen Kultur stehen und trotzdem weltoffen sein kann. Darum geht es ihm, und vielen anderen hier.
Die damalige Biermösl Blosn war hier vor vielen Jahren Vorreiter. 2010 durchstreiften die Wellbrüder zwei Wochen lang Südafrika und Namibia. Sie spielten dort bayerische Volkslieder und brachten afrikanische Klänge und Eindrücke mit heim. Hedi Gruber sitzt mitten im Gewimmel. Die Biermösl Blosn war Inspirator für diese Reise, sagt sie, aber nicht mehr. Ausschlaggebend für Gruber waren Erlebnisse von vor zwei, drei Jahren. 2015 und 2016, als die Willkommenskultur für Flüchtlinge erst aufkam und dann abebbte.
In Grafing, wo Gruber am Gymnasium unterrichtet, stand damals neben der Schule ein Container für Asylbewerber. "Am Anfang haben die Schüler den Bewohnern Kuchen gebacken und Events organisiert", so Gruber. Irgendwann dann sagte einer ihrer Schüler diesen Satz: Die haben ja iPhones. "Da ist die Stimmung gekippt", so Gruber. Gedanken kamen auf, zu Südafrika, und der Musik dort, sie ist ja schon etliche Male dort gewesen. Und hat gesehen, dass es in anderen Teilen der Welt auch Eliten gibt. "Ich dachte mir, dass das die jungen Leute das sehen müssen", so Gruber. Daraus entwickelte sich ein konkreter Plan.
Mittwochmittag, per Shuttlebus geht es vom Flughafen rein nach Johannesburg: Die Stadt fliegt am Fenster vorbei wie ein Film. Viele im Bus sehen das zum ersten Mal. Hinter den Scheiben sind Blechhütten zu sehen, verfallene Häuser, Männer, die Autofahrer anbetteln. Im Hotel angekommen warten Angestellte, helfen beim Kofferschleppen. Drinnen ein Büffet, feine Salate, zartes Gulasch. "Man merkt gar nicht, dass wir in Johannesburg sind", sagt einer. Bald wird es nach draußen gehen, dann wird aus dem Film Realität. Wenn es rein geht in die Stadt, und auf ihre Bühnen. Spätestens, wenn sie die Leute vom Johannesburger Orchester treffen. Sängerin Hannah Kreck drückt es so aus: "Wir kennen uns nicht, und werden zusammen spielen."