Markt Schwaben:"Sohn, komm bitte nicht zurück"

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Flüchtlinge und Helfer aus Markt Schwaben bereiten für den Poing-Auftritt von Innenminister Thomas de Maizière eine Demonstration gegen die Abschiebungen nach Afghanistan vor. Von dort schicken Angehörige bereits Reisewarnungen in den Landkreis.

Von Korbinian Eisenberger, Markt Schwaben

Hinter der Tür hat Mohamad Nademi einen Spiegel aufgehängt, "damit ich weiß, dass ich noch da bin", sagt er. Wie lange er in Bayern bleiben kann, weiß gerade niemand so richtig, am wenigsten er selbst. Ein Montagabend im Containerdorf Markt Schwaben, Nademi, Sweatshirt, frisiertes Haar, Halskette, schenkt Früchtetee aus, der Heizkörper wummert, Schnee schmilzt von den Schuhen. Der 20-Jährige flüchtete vor zwei Jahren aus Nordafghanistan, jetzt wohnt er mit einem Zimmergenossen auf acht Quadratmetern. Gäbe es ein Fenster, könnte man direkt in den Saal schauen, wo die Politiker im Ort ihren Gemeinderat abhalten.

Menschen wie Nademi hören in diesen Tagen besonders genau hin, was jene Politiker sagen, von denen die großen Entscheidungen kommen. Afghanische Flüchtlinge sollen künftig schneller aus Deutschland abgeschoben werden, war aus Berlin zu hören, und keine Arbeitserlaubnis mehr erhalten. Nademi weiß, was die jüngsten Nachrichten für ihn und seine Zukunft bedeuten könnten, und er weiß, dass ein großer Befürworter dieser Abschiebungen am Donnerstag in die Nachbargemeinde nach Poing kommt. Wenn Innenminister Thomas de Maizière (CDU) um 17 Uhr spricht, wird das Feuerwehrhaus bis zum letzten Platz gefüllt sein, die Karten sind alle vergeben. Nademi wird nicht da sein und nicht zuhören. Nademi hofft, dass der Minister dann ihn und die anderen hört.

Über dem Erlberg ist die Finsternis hereingebrochen, 20 Wohncontainer, in manchen brennt Licht. Im einem der Container geht die Tür auf, ein Pappkarton verdeckt die Gesichter von Monika Kallus und Judith Seibt. Die beiden Markt Schwabenerinnen organisieren die Gegenveranstaltung, wenn de Maizière vors Mikrofon tritt, sollen die Schilder und Trillerpfeifen verteilt sein.

"Wir sind überzeugt, dass die Bundesregierung die Lage in Afghanistan falsch einschätzt", sagt Seibt. Die 40-Jährige hat eine Daunenjacke an, sie stellt die Sprühdose in den Schnee, der Karton trocknet auf dem Asphalt. "Todesurteil" hat sie drauf gesprayt, darüber steht "Abschiebung", das Wort hat nicht ganz draufgepasst.

In Ebersberg ist kein Platz für Abschiebungen in ein Land, für das die Bundesrepublik eine Reisewarnung ausgegeben hat - so in etwa lautet die Botschaft, mit der Markt Schwaben Asylhelferkreise aus der Region mobilisieren will. Aus Zorneding und Kirchseeon haben sich bereits Helfer angekündigt, München schickt eine Delegation vom bayerischen Flüchtlingsrat.

Mohamad Nademis Flucht aus Nordafghanistan führte ihn nach Markt Schwaben. Er soll unerkannt bleiben, damit ihm seine Aussagen beim Asylverfahren nicht negativ ausgelegt werden. Die Namen der afghanischen Flüchtlinge hat die Redaktion geändert. (Foto: Korbinian Eisenberger)

Eine Allianz aus Einheimischen und Flüchtlingen

Zusammen mit Asylbewerbern wollen Einheimische wie Seibt und Kallus von 16.15 Uhr an auf dem Poinger Marktplatz demonstrieren, friedlich, aber so, dass man es im hundert Meter entfernten Feuerwehrhaus hört. Eine vierstellige Zahl, wie zuletzt bei den Afghanistan-Protesten in Hamburg oder Frankfurt dürfte es in Poing nicht werden. "Wir hoffen aber, dass unser Aufruf viele Leute anzieht", sagt Monika Kallus.

Menschen wie sie gehen auf die Straße, weil sie die Geschichten von Menschen wie Mohamad Nademi kennen. Der 20-Jährige hat die Hände gefaltet, seine Augen flackern unruhig durch den Raum. Eigentlich, sagt er, wollte er damals bei seiner Familie bleiben, er war gerade 18 geworden, als die Männer kamen und ihn rekrutieren wollten. "Mein Vater versteckte mich", sagt Nademi. Die Familie habe Schutz bei der Polizei gesucht, doch die half nicht, "viele Polizisten sperren sich in ihren Häusern ein", sagt Nademi. Er musste fliehen, sagt er, "sonst wäre ich Talibansoldat oder tot".

Einer, der sich jetzt für ihn einsetzt, ist Tobias Vorburg, Markt Schwabens Helferkreis-Chef, auch er sitzt mit am Tisch. Vorburg kennt viele solcher Geschichten, "die meisten Afghanen haben versucht, sich im Land von der Polizei Hilfe zu holen", sagt er. Auch Nazemis Mitbewohner Ahmed Alhari suchte nach Hilfe von Behörden. Jetzt sitzt er etwas abseits des Tisches, zusammengekauert auf einem Hocker, die Augen weit aufgerissen.

Alhari fiel beim Ausländeramt durch, oft fehlen die Beweise für die Geschichten, für Bombenangriffe gibt es keine Zertifikate. Geht es nach der Bundesregierung, sollte Alhari bereits wieder dort sein, wo er herkam. Der Abschiebungsbescheid wurde bereits zugestellt. Der Dolmetscher vom Bundesamt, sagt Vorburg, der habe seine Sprache nicht gesprochen, Alhari hat gegen den Bescheid geklagt.

Was ihn und die anderen in Afghanistan erwarten würde? Mohamad Nademi presst die Handflächen gegeneinander, in seinem Gesicht zucken Adern. Die Taliban breiten sich aus, die Terrormiliz ist besser vernetzt als vor seiner Flucht, das erzählen die Bilder und die Nachrichten, die ihm seine Familie über Facebook schreiben, sagt er. Die Bombe im deutschen Konsulat, die Fotos von Einschusslöchern an Hauswänden, die Daheimgebliebene in Netzwerken posten. Nademi zeigt eine Handynachricht, afghanische Schriftzeichen. "Sohn", steht da, "komm bitte nicht zurück."

Die Namen beider Flüchtlinge wurden von der Redaktion geändert. Die Demo am Donnerstag beginnt um 16.15 Uhr auf dem Poinger Marktplatz.

© SZ vom 11.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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