Nachruf:"Das Geschehen bleibt in mir"

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Gabriel Meltzer, Überlebender des Poinger Todeszugs und Zeitzeuge der Nazi-Verbrechen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Immer wieder war der Holocaust-Überlebende Gabriel Meltzer in Markt Schwaben, um über die Verbrechen des Nationalsozialismus und seine eigenen Erlebnisse zu sprechen. Nun ist er im Alter von 96 Jahren bei Los Angeles gestorben.

Von Barbara Mooser, Markt Schwaben

Eine Szene ist Heinrich Mayer besonders nachdrücklich im Gedächtnis geblieben. Sein damals 14-jähriger Sohn unterhielt sich mit Gabriel Meltzer; der Holocaust-Überlebende zeigte ihm auch Bilder von Auschwitz, wo seine ganze Familie ermordet worden war. Der Junge war danach erschüttert: "Ich verstehe gar nicht, warum er so freundlich zu uns ist", sagte er seinem Vater. Freundlich und zugewandt: So haben auch viele andere Menschen Gabriel Meltzer erlebt, vielleicht wirklich ein Wunder angesichts dessen, was Meltzer erlebt und überlebt hat: das Vernichtungslager Auschwitz, das Konzentrationslager Dachau, das Außenlager Mühldorf, den Poinger Todeszug. Einige Jahre lebte er nach dem Zweiten Weltkrieg in Markt Schwaben, bevor er in die USA auswanderte, später ist er immer wieder hierher zurückgekehrt, um jungen Menschen von den Verbrechen des Nationalsozialismus zu erzählen. Ende November ist Gabriel Meltzer nun im Alter von 96 Jahren in Pacoima/Kalifornien gestorben.

Gerade mit den Schülerinnen und Schülern des Franz-Marc-Gymnasiums in Markt Schwaben hatte Meltzer auch im hohen Alter immer wieder Kontakt. Vor mittlerweile fast 20 Jahren hatte dort unter der Federführung des Lehrers Heinrich Mayer ein beispielhaftes Projekt begonnen. "Vergessener Widerstand" war das Leitthema, die jungen Leute recherchierten über Widerstand, Resistenz und Verweigerung von Menschen aus dem Landkreis Ebersberg in den Jahren von 1933 bis 1945. Sie tauchten tief in Archive ein, führten Gespräche mit Zeitzeugen - eben auch mit Gabriel Meltzer, den zum Ende des Kriegs schreckliche Ereignisse nach Markt Schwaben brachten, wo er aber auch Menschlichkeit erlebte.

Eine Bauersfamilie in Staudach versteckte Meltzer

Denn als der Güterzug mit den Häftlingen aus Mühldorf am 27. April 1945 in Poing strandete und die Gefangenen panisch das Weite suchten, gelang Meltzer die Flucht. Er suchte Unterschlupf in einer kleinen Scheune in Staudach, das rettete ihm wahrscheinlich das Leben. Die Bauersleute Josef und Ursula Huber nahmen ihn, ohne groß zu fragen, auf und versteckten ihn. Zeit seines Lebens war er dankbar und suchte später wieder Kontakt zu der Familie. Ebenso wie zur Familie von Sophia Weikel, die ihn danach beherbergt und sich um ihn gekümmert hatte.

Eines Tages, so erinnert sich Weikel heute, sei ein älterer Herr im Garten gestanden und habe nach ihrer Großmutter gefragt - er hatte sich in einer Wäscherei erkundigt, wo die Familie denn heute lebe. "Das war sehr überraschend und emotional", erzählt Weikel über die Begegnung. Viel über das Vergangene reden konnte Meltzer damals noch nicht, erst bei späteren Besuchen war ihm das möglich, dann auch bei Zeitzeugengesprächen im Gymnasium Markt Schwaben, zu dem Sophia Weikel den Kontakt hergestellt hatte.

Weikel selbst schrieb ihre Facharbeit über Gabriel Meltzer, der 1927 in der damals tschechischen Stadt Uzhgorod geboren wurde. 1944 wurde die Stadt eingenommen, danach begann für ihn die Odyssee durch Europa. In Auschwitz wurde er von seiner Familie getrennt, er fragte einen älteren Häftling, wo sie denn sein könnten? Der zeigte auf einen brennenden Haufen: "Dort liegen sie." Der Mann gab Meltzer auch einen Rat: "Wenn du überleben willst, dann musst du kämpfen."

Seine Warmherzigkeit bleibt denen in Erinnerung, die ihn kannten

Meltzer kämpfte und überlebte. In Markt Schwaben baute er sich ein Leben auf, ging zum Fußballspielen, machte eine Metzgerlehre. In den USA führte er zuletzt ein gut gehendes kleines Spirituosengeschäft. Auf sein Leben blickte er oft mit großer Dankbarkeit zurück, für seine Familie vor allem, aber auch für alles Gute, was ihm im Schrecklichen widerfahren war. "Ich habe ihn als wahnsinnig warmherzigen, sehr versöhnlichen Menschen erlebt", sagt Sophia Weikel, "er hat etwas sehr, sehr Liebes gehabt." Dass sie ihn habe kennenlernen dürfen, dafür sei sie sehr dankbar. Heinrich Mayer hat ähnliche Erinnerungen, er hat noch lange nach dem Forschungsprojekt über den "Vergessenen Widerstand" mit ihm Kontakt gehalten, ihn öfter auch in Los Angeles besucht.

Auch wenn Gabriel Melzer trotz seiner Erlebnisse Freude im Leben haben konnte - losgelassen haben sie ihn nie. Als er 2013 in einem Interview gefragt wurde, wie oft er noch an die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg zurückdenke, antworte er: "Sehr oft. Wissen Sie, die Erinnerungen kommen immer wieder, denn das war eine sehr tragische Zeit, die ich nie vergessen kann. Das Geschehen bleibt in mir."

Zeitzeugeninterviews mit Gabriel Meltzer sind auf der Seite des United States Holocaust Memorial Museum abrufbar.

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