Rettungsdienst und Corona:"Die Patienten werden da immer sturer"

Lesezeit: 7 min

Die verzweifelte Suche nach Betten, keine Pausen und pöbelnde Corona-Leugner: Der Rettungsdienst arbeitet in der Pandemie am Limit. Und die Einsätze dauern immer länger - zu lange für manche Patienten?

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Ende Oktober ging es los. "Da war schon absehbar, dass wir in eine Katastrophe rennen, ohne, dass ausreichend Maßnahmen ergriffen wurden." Das sagt Corinna H., sie arbeitet im Rettungsdienst. "Es wurde immer schwieriger, für unsere Patienten ein Intensivbett zu finden." Sie erinnert sich an Fälle, bei denen ein Platz am Herzkatheter mit einem anschließenden Intensivbett notwendig war - und wo Kliniken vorgeschlagen wurden, die 100 Kilometer entfernt waren. "Bei so weiten Strecken kann es passieren, dass der Patient noch im Rettungswagen reanimationspflichtig wird." So hat es Corinna H. auch bereits erlebt. Die derzeitige Auslastung in den Kliniken könne sich unter Umständen patientenschädigend auswirken, bevor die Betroffenen dort überhaupt angekommen sind, das wiederholt Corinna H. mehrmals. "Solche Situationen wären vor Corona fast undenkbar gewesen."

Die Arbeit im Rettungsdienst hat sich verändert durch die Corona-Pandemie. Auf der Spitze der vierten Welle, in der die Delta-Virusvariante in Kombination mit einer zu geringen Impfquote in der Bevölkerung für noch nie dagewesene Zahlen bei den Infektionen und übervolle Kliniken gesorgt haben, war die Situation von Rettungs- und Notfallsanitätern sowie Notärztinnen besonders prekär. Nach einem kleinen Durchschnaufen ist die Lage wegen der hoch ansteckenden Omikron-Variante nun erneut angespannt: Viel zu oft steht kein freies Intensivbett in der nächst gelegenen Klinik zur Verfügung, während Patienten dringend lieber jetzt als gleich eines benötigen. Daraus folgen weitere Probleme. Auch mit Verschwörungsmythen und Anfeindungen müssen sich Rettungskräfte immer häufiger auseinandersetzen.

Die SZ hat mit drei Menschen aus dem Rettungsdienst gesprochen. Sie alle sind im Landkreis Ebersberg unterwegs, ihre Wachen befinden sich aber auch woanders in der Region - Landkreisgrenzen bedeuten bei den Einsätzen des Rettungsdienstes vor allem in der aktuellen Corona-Lage nur noch wenig. Damit die medizinischen Helfer offen über ihre Eindrücke und Erlebnisse berichten können, treten sie in diesem Text nicht mit ihren echten Namen auf.

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Die Bettensuche

Ein Herzinfarkt von Grafing bis nach Freising. Einen solchen Fall hat Max W. erst neulich erlebt. "Das ist brandgefährlich", sagt er. Bei einem Herzinfarkt sterben Muskelzellen im Herz ab - und die kommen nicht mehr wieder, wie der Rettungsdienstler erklärt. "Da geht es um Zeit." Genauso wie bei Schlaganfällen: Wenn in den ersten vier Stunden nach dem Auftreten neurologischer Ausfallerscheinungen - Sprechstörungen, Muskellähmungen im Gesicht oder in einer Körperhälfte - eine Therapie im Krankenhaus begonnen wird, habe der Patient gute Chancen auf eine vollständige Heilung, wie Corinna H. erklärt. Meistens geht es da nicht um Leben oder Tod, aber ein kurzer Weg zur Klinik hält das Risiko auf bleibende Schäden geringer als ein langer.

Altötting. Burghausen. Augsburg. Weilheim. Traunstein. Ingolstadt. Dachau. Pasing. Oder Salzburg. Die drei Rettungsdienstler Max W., Corinna H. und Jannis M. zählen viele Orte von Kliniken auf, die weitaus mehr als ein paar Kilometer entfernt liegen. Doch sie alle waren in den vergangenen Wochen Zielorte von Einsätzen. "Wir kommen im Moment recht gut herum", sagt Jannis M.

Die Intensivstationen, hier die in der Ebersberger Kreisklinik, sind oftmals an der Auslastungsgrenze (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Bevor es aber überhaupt losgehen kann, heißt es für das Rettungsteam und den Patienten zunächst oft: warten. Warten, bis die Integrierte Leitstelle (ILS) in Erding, von wo aus alle Einsätze in den Landkreisen Ebersberg, Erding und Freising koordiniert werden, dem Krankenwagen-Team eine Klinik mit einem freien Bett zuweist. Das kann derzeit dauern. Vor allem, wenn es sich um ein Intensivbett handelt, wie die stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin des Rettungsdienstes des Ebersberger BRK-Kreisverbands, Martha Stark, sagt. "Wir fahren nicht los, bevor wir eine Zielklinik haben."

Was aber, wenn eine lange Fahrt möglicherweise lebensbedrohend für den akut gefährdeten Patienten ist? Dann bleibt dem Rettungsteam ein letztes Mittel: Zwangszuweisung. Bei einer solchen entscheidet der zuständige Notarzt, dass die nächstgelegene Klinik angefahren wird - auch wenn diese eigentlich abgemeldet ist, weil alle Betten belegt sind. Zu diesem Mittel werde nur im absoluten Notfall gegriffen, das betonen alle Gesprächspartner. "Mittlerweile ist es aber regelmäßig der Fall, dass wir Zwangsbelegungen machen müssen", sagt Jannis M.

Nachfrage bei der ILS: Ist die Zahl der Zwangsbelegung tatsächlich gestiegen? Ja, heißt es von dort. Vergleiche man das Jahr 2021 mit 2020, dann sei "eine Steigerung erkennbar". Wie hoch diese Zunahme ausfällt, teilt die ILS allerdings nicht mit.

Bei Rettungseinsätzen kommt es immer häufiger zu Übergriffen durch unbeteiligte Passanten. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Hygienestandards

Es sind aber nicht nur die oftmals weiten Fahrtwege, die dazu führen, dass ein Einsatz in der Regel länger dauert als vor der Pandemie. Auch die notwendig gewordenen höheren hygienischen Standards sorgen dafür. Zunächst wäre da die persönliche Schutzausrüstung der Rettungsdienstler: Schutzanzug, Brille, FFP2-Maske, Handschuhe. Besteht der Verdacht auf eine Corona-Infektion, muss diese angezogen werden. Das dauert zwar keine zwei Minuten, "aber es dauert eben", sagt Jannis M.

Was noch wesentlich mehr Zeit in Anspruch nimmt, ist die Reinigung nach jedem Einsatz, denn durch Corona ist diese aufwendiger geworden. Wenn beispielsweise ein Covid-Patient keine Maske trägt, weil er ohnehin schon Atembeschwerden hat, können sich die Viren ungehindert im Rettungswagen verteilen. "Dann müssen wir danach auch jedes einzelne Fach aufmachen und reinigen", erklärt Jannis M. Ungefähr 30 Minuten brauche er für die Reinigung, wenn er sie alleine erledige. Erst dann ist der Rettungswagen wieder einsatzbereit. "Dann habe ich aber noch nicht einmal eine Pause gemacht."

"Früher war so ein Einsatz auch mal in einer Stunde erledigt", sagt Oliver Hess. Er ist Leiter der Rettungswache in Glonn, dort und in Anzing stellt das private Unternehmen MKT Krankentransporte den Rettungsdienst. "Heute sind zwei Stunden keine Seltenheit mehr." Während dieser Zeit sind der Rettungswagen sowie das Einsatzteam geblockt - es kann nur ein Patient nach dem anderen versorgt werden. Sechs Rettungswagen von MKT und BRK sind im Landkreis Ebersberg im Einsatz. "Wenn die alle unterwegs sind, dann kommt der nächste Rettungswagen zum Beispiel aus Wasserburg oder Mühldorf - und braucht dann eben länger, bis er beim Patienten eingetroffen ist."

Das Einsatzaufkommen

Der jüngste Dienst von Max W. liegt erst ein paar Stunden zurück. Dieses Mal sei er neun Einsätze innerhalb von zwölf Stunden gefahren, in einer Nachtschicht, sagt er. "Vor ein paar Jahren waren es in der Regel nur drei bis fünf pro Schicht." Jannis M. erzählt außerdem, dass er ständig unter Strom stehe. Eigentlich helfe ihm immer der Austausch mit Kollegen, um den arbeitsbedingten Stress abzubauen. Aber dazu bleibe aktuell kaum Zeit. "Unsere Zwölf-Stunden-Schichten sind arbeitsrechtlich nur durchsetzbar, weil wir Ruhezeiten zwischen den Einsätzen haben", erklärt Corinna H. "Aber die gibt es momentan nicht."

Tatsächlich verzeichnet die ILS in Erding einen enormen Zuwachs bei den Einsatzzahlen. Die Schätzungen aller drei Rettungsdienstler, laut derer sich die Einsätze pro Schicht in etwa verdoppelt haben, werden von den offiziellen Zahlen bestätigt: Demnach habe es von 2020 auf 2021 eine Steigerung von 50 Prozent gegeben. Die Zunahme bezieht sich auf den Rettungsdienst, der Bereich Feuerwehr hingegen habe sich als relativ konstant dargestellt. Eine Auskunft über eine Aufschlüsselung, weshalb der Notruf gewählt wurde, erteilt die ILS nicht. Aufgrund der sehr hohen Corona-Patientenzahlen in den Krankenhäusern ist der Schluss jedoch naheliegend, dass es sich bei einem Großteil des Plus an Rettungsdienst-Einsätzen um Corona-Fälle handeln muss.

70 Einsatzkräfte sowie Rettungsdienste und Notärzte waren bei dem Brand zur Stelle. (Foto: Matthias Ferdinand Döring/matthiasdoering.com)

Die Ungeimpften

Was alle Rettungsdienstler berichten: Oftmals alarmierten Patienten erst dann den Notdienst, wenn ihre Beschwerden weit fortgeschritten sind. Gleiches hörte man in den vergangenen Wellen von Krankenhäusern, auch die Ebersberger Kreisklinik verzeichnete Patienten mit wesentlich schwerwiegenderen Befunden als gewöhnlich. Laut den Rettungsdienstlern seien es nun aber vor allem ungeimpfte Corona-Patienten, die sehr spät die 112 wählen. "Wenn man schon umkippt, weil man es nicht mehr derschnaufen kann, und die Lippen blau sind, dann hätte man definitiv früher einen Krankenwagen rufen sollen", sagt Jannis M. Meistens gingen die Betroffenen davon aus, dass ihre Symptome in keinem Zusammenhang mit einer möglichen Corona-Infektion stünden, sie unterschätzten das Virus und eine dadurch ausgelöste Erkrankung - und lehnten deshalb ärztliche Hilfe über eine sehr lange Zeit hinweg ab. "Die Patienten werden da immer sturer, das fällt mir extrem auf."

Was manche als Ausdruck ihrer Selbstbestimmung sehen, hier auf einer Demo in München, macht den Rettungsdiensten viele Probleme. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

In die gleiche Kerbe schlägt ein Erlebnis, von dem Corinna H. erzählt: Ein Patient ist reanimationspflichtig, als sie und ihre Kollegen bei ihm zu Hause eintreffen. Die Rettungsversuche bleiben erfolglos, der Mann stirbt. Der Notarzt kontaktiert den Hausarzt des Patienten mit der Bitte, zur erforderlichen Leichenschau vorbeizukommen. Vom Hausarzt kommt die Info: Der Mann war Covid-positiv. "Dabei hatten wir zuvor die anwesende angehörige Person danach gefragt", sagt Corinna H. "Eine Corona-Erkrankung wurde explizit ausgeschlossen." Warum lügt man den Rettungsdienst an? Der Verstorbene habe wohl auf dem weitestgehend unreglementierten Messengerdienst Telegram gelesen, so Corinna H., dass Corona-Kranke keine medizinische Versorgung erhielten, um so künstlich die Zahl der Covid-Toten in die Höhe zu treiben. "Dann hättet ihr ja gar nichts gemacht, um ihm zu helfen", so lautete jedenfalls die Erklärung der angehörigen Person, wie die Sanitäterin weiter schildert. Als "Mumpitz" bezeichnet sie solche Verschwörungserzählungen.

Die Anfeindungen

Unverständnis. Das ist es, was bei allen drei Rettungsdienstlern mittlerweile herrscht. "Ich kann einfach nicht verstehen, wie leichtgläubig manche Menschen bei Sachen sind, die sie irgendwo im Internet oder in irgendwelchen Telegram-Gruppen lesen", sagt Corinna H. Das Narrativ der Szene rund um Corona-Leugner, Impfgegner und Pandemie-Verharmloser ist es wohl auch, das den tätlichen Angriff befeuert hat, von dem Corinna H. weiterhin berichtet: Vor einigen Monaten, mitten der medizinischen Versorgung eines Menschen auf einem Fest, habe ihr ein unbeteiligter Mann die FFP2-Maske vom Gesicht gerissen. "Systemsklaven! Corona gibt's nicht! Lauft gefälligst wieder normal rum!" Dann sei er unerkannt inmitten der Menschenmenge verschwunden.

Solch ein Vorfall scheint die Ausnahme zu sein, keinem der übrigen Gesprächspartner ist bislang Vergleichbares widerfahren. Aber dass der feste Glaube an Falschinformationen die Arbeit im Rettungsdienst erschwert, berichten alle: Beschimpfungen, Anfeindungen oder Diskussionen kämen immer wieder vor. Jannis M. und sein Kollege etwa wurden erst kürzlich zu jemandem gerufen, der sich schwer verletzt hatte. Nebenbefund: nicht gegen Corona geimpft. Als der Notarzt am Einsatzort eintraf, habe dieser gesagt: "Das ist aber schlecht, das sollten Sie so schnell wie möglich nachholen!" Eine Empfehlung eines Experten, so Jannis M. weiter, genauso wie ein Kfz-Meister nach der Inspektion sagen könnte: "Ihre Bremsbelege sind in einem sehr schlechten Zustand, Sie sollten so schnell wie möglich neue machen lassen." Nach dem Rat des Notarztes habe der Patient dann losgelegt: "Nein! Garantiert keine Impfung! Da werden nicht zugelassene Medikamente gespritzt! Und überhaupt: Alle impfenden Ärzte und Geimpfte werden bald ins Gefängnis kommen!"

Der Ausblick

Von ehrenamtlichen Rettungsdienstlern hat Corinna H. gehört, dass Arbeitgeber mit Nachdruck darum bitten oder sogar verlangen würden, den Rettungsdienst aufzugeben. Dadurch nämlich sei das Risiko größer, dass Corona in die Firma eingeschleppt werde. Gleiches erzählt auch Jannis M. Corinna H. rechnet damit, dass einige Kollegen dem Rettungsdienst bald den Rücken kehren, egal ob ehrenamtlich oder hauptamtlich. Zu belastend sei der Zustand. "Seit eineinhalb Jahren werden wir verbraten, es ändert sich nichts."

Beim BRK gibt es bislang keine Kündigungen. Auch die Krankheitstage seien konstant, wie Martha Stark sagt. "Wir machen das jetzt seit fast zwei Jahren, sodass die Situation zum Tagesgeschäft geworden ist." Klar sei man erledigt, wenn man nach einem Zwölf-Stunden-Dienst, in dem es von einem zum nächsten Einsatz ging, nach Hause komme. Dass beim BRK-Team eine besondere psychische oder physische Erschöpfungslage herrsche, könne sie jedoch nicht erkennen. Beim MKT ist es laut Oliver Hess bisher auch zu keiner Kündigung gekommen, jedoch hätten Kollegen ihre wöchentlichen Arbeitsstunden reduziert.

Das Thema Triage ist auch im Rettungsdienst Thema. So erzählt Max W., dass er mit seinen Kollegen immer mal wieder darüber spreche. "Uns graust es vor dem Tag, an dem wir beim Patienten draußen sind und uns nichts anderes übrig bleibt, als ihn dort sterben zu lassen, weil es nirgends eine klinische Versorgungsmöglichkeit in der Nähe gibt."

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