Organtransplantation:"Das ist ein Riesenproblem"

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In Deutschland muss einer Organspende ausdrücklich zugestimmt werden, zum Beispiel in Form eines Organspendeausweises. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Deutschlandweit ist die Zahl der Organspender im vergangenen Jahr gesunken - und im Landkreis Ebersberg? Transplantationsbeauftragter Peter Lemberger erzählt, wann er in der Kreisklinik mit Fällen zu tun hat und ob verunglückte Motorradfahrer wirklich die häufigsten Spender sind.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Kürzlich erst, da kam es in der Ebersberger Kreisklinik zu einem Fall, der selten vorkommt: Bei einem Patienten wurde der Hirntod festgestellt, der Kreislauf im Körper jedoch war noch intakt - das sind ideale Voraussetzungen für eine Organspende. Der Patient allerdings hatte nirgendwo festgehalten, ob er das möchte, oder seinen Wunsch mündlich gegenüber seiner Familie geäußert. Also wurden die Angehörigen herangezogen, auf ihren Entschluss kam es an: Organspende Ja oder Nein? Sie entschieden sich dagegen.

Solche Situationen, wie sie der Transplantationsbeauftragte der Ebersberger Kreisklinik, Peter Lemberger, erzählt, passieren so oder so ähnlich oft in Bayern und Deutschland: Wenn keine Zustimmung zur Organspende vorliegt, ist diese Entscheidung in 50 Prozent der Fälle von Angehörigen gefällt worden - so sagt es eine bayernweite Statistik für das Jahr 2021. In Deutschland gilt das Gesetz einer Zustimmungsregelung. Das bedeutet, dass einer Organentnahme nur dann erlaubt ist, wenn ausdrücklich zugestimmt wurde. Dies kann zum Beispiel in Form eines Organspendeausweises, einer Patientenverfügung oder jedes anderen Schriftstücks mit einer Unterschrift sein. Liegt kein Dokument des Betroffenen selbst vor, geht die Entscheidung auf dessen Angehörigen über. Auch hier gibt es feste Regeln, so kann etwa nicht der Sohn entscheiden, zu dem seit fünf Jahren überhaupt kein Kontakt mehr bestand.

Im Idealfall hat der Betroffene selbst entschieden, ob er eine Organspende wünscht

"Selbstverständlich respektieren wir jede Entscheidung der Angehörigen", betont Lemberger. Er urteile nicht, das stünde ihm nicht zu. Einen Idealfall gibt es dennoch: "Am besten ist es für uns, wenn der Patient selbst zu Lebzeiten seinen Wunsch festgehalten oder ihn eindeutig einem Angehörigen mitgeteilt hat." Denn letztlich sollte es nicht darum gehen, was die Angehörigen möchten - sondern was sich der Betroffene gewünscht hat.

In Ebersberg werden keine Transplantationen vorgenommen, weder von toten Patienten noch von lebenden, wie es beispielsweise bei einer Nierenspende der Fall wäre. Solche Eingriffe dürfen nur in dafür zugelassenen Transplantationszentren durchgeführt werden. In Deutschland trifft das auf 45 Kliniken zu. Jedoch, so erklärt Lemberger, könne jede Klinik zu einem Spenderhaus werden, indem eine Organentnahme stattfindet. Dann nämlich, wenn ein geeigneter Spender für hirntot erklärt wird und eine Zustimmung vorliegt.

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Dazu sei es in Ebersberg jedoch seit Jahren nicht mehr gekommen. Denn entgegen der geläufigen Meinung, dass verunglückte Motorradfahrer häufig ideale Voraussetzungen mitbringen, um Spender zu werden, sind es laut Lemberger Patienten mit massiven Hirnblutungen. "Solche haben wir in der Regel nicht, weil wir an unserer Klinik keine Neurochirurgie haben."

Lemberger schätzt, dass es etwa einmal im Jahr vorkommt, dass ein potentieller Spender in der Ebersberger Kreisklinik ist. Es müssen einige Faktoren zusammentreffen, damit eine Organentnahme theoretisch klappt. Von der ausdrücklichen Einwilligung einmal abgesehen muss ein Hirntod vorliegen. Das bedeutet, dass alle Regionen im Gehirn irreversibel verloren gegangen sind, der Kreislauf hingegen aber noch funktioniert. "Viele Menschen sterben ohne einen Hirntod", erklärt Lemberger. Wer also beispielsweise an einem Herzversagen stirbt, kann kein Organspender werden.

Deutschlandweit sind die Zahlen der Organspender im vergangenen Jahr gesunken

Insgesamt ist die Zahl der postmortalen Organspender bayernweit im vergangenen Jahr zwar leicht gestiegen, nämlich um 18 Spender auf insgesamt 128. Bundesweit hingegen gibt es einen Abwärtstrend: Laut Statistiken der Deutschen Stiftung Organspende ( DSO) waren es 2012 noch 1046 Menschen, die nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe spendeten, doch dann sank die Zahl bis 2017 auf 797 Spender. 2018 gab es ein Hoch mit 955 Spendern. Seitdem gehen die Zahlen wieder zurück, im vergangenen Jahr waren es nur 869 Spender, das sind fast sieben Prozent weniger als im Jahr 2021.

Allein sind diese Zahlen noch nicht allzu aussagekräftig, denn man muss sich eine Frage stellen. Sind diese Zahlen viel oder wenig - oder anders formuliert: Sind sie ausreichend? Um das zu beantworten, ist ein Blick auf die Warteliste derjenigen hilfreich, die in Deutschland auf eine Organspende warten: Derzeit sind es rund 8500 Menschen.

Diesen 8500 Spendensuchern stehen nicht einmal 900 Spender gegenüber. Wenn das Ziel ist, möglichst vielen Menschen, die auf eine Organspende angewiesen sind, zu helfen, dann braucht es keinen Taschenrechner, um zu sehen: Die Spendenbereitschaft ist zu gering.

Peter Lemberger ist nicht nur Transplantationsbeauftragter, sondern auch Chefarzt für Anästhesie und den operativen Teil der Intensivmedizin, stellvertretender Ärztlicher Direktor. (Foto: Kreisklinik Ebersberg (oh))

"Das ist ein Riesenproblem in Deutschland", urteilt Lemberger, der früher an einer Uni-Klinik gearbeitet und als Anästhesist unter anderem Herz- und Lebertransplantationen betreut hat. "In Spanien zum Beispiel spendet im Grunde jeder, das ist in der Kultur verwurzelt." Im internationalen Vergleich liegt Spanien hinter den USA auf Platz zwei, wenn es um Spender pro einer Million Einwohner geht - 40,2 Spender pro Million Einwohner. Mit 11,22 Spender pro Million Einwohner liegt Deutschland auf Platz 20, hinter Ländern wie Österreich, Estland, Argentinien oder dem Iran.

Wie es um die Spendenbereitschaft im Landkreis Ebersberg bestellt ist, kann auch Peter Lemberger nicht sagen. Dazu komme es an der Kreisklinik zu selten zu Fällen, in denen die Frage nach einem Organspendeausweis relevant werde. Doch es scheint plausibel, dass sie dem bayern- und deutschlandweiten Trend nach nicht allzu hoch ist.

Weitere Infos zum Thema Organspende sowie den Download eines Organspendeausweises gibt es online bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation und beim Bayerischen Gesundheitsministerium .

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