Kinderbetreuung im Landkreis Ebersberg:Ein Kraftakt

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Auch am Nachmittag gut betreut: Kinder einer Ganztagsschule in Berg am Laim. (Foto: Stephan Rumpf/)

Im Moment sind die Aussichten des Landkreises nicht gut, den Ganztagsanspruch für Erstklässler von 2026 an erfüllen zu können. Fachleute fordern größere Anstrengungen, um Personal zu gewinnen.

Von Johanna Feckl und Alexandra Leuthner, Ebersberg

Es wird ein enormer Kraftakt, da waren sich alle Mitglieder des Jugendhilfeausschusses (JHA) und Verantwortliche im Landratsamt in der jüngsten Sitzung des Gremiums einig: Vom Schuljahr 2026/2027 an gilt ein Ganztagesanspruch für Kinder im Grundschulalter - die Umsetzung wird sukzessive erfolgen, der Anspruch gilt zunächst nur für die ersten Klassen, erst von August 2029 an greift er für alle Grundschulkinder. Das Problem: Schon jetzt gibt es zu wenig Fachkräfte und anderes qualifiziertes Personal, um der Nachfrage an Betreuungsplätzen in dieser, aber auch den niedrigeren Altersgruppen gerecht zu werden.

Das Jugendamt, das die rechtliche sowie die Planungsverantwortung für den bevorstehenden Rechtsanspruch trägt, beschäftigt sich nicht erst seit gestern intensiv mit dem Thema, wie Kreisjugendamtsleiter Florian Robida den Ausschussmitgliedern versicherte. "Wir wollen unserer Planungsverantwortung gerecht werden", sagte er, "wir versuchen das Bestmögliche, aber ich muss ehrlicherweise auch sagen: Wir haben im Moment noch keine Lösung."

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Um den Ganztagesanspruch zu erfüllen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die von der zuständigen Mitarbeiterin im Landratsamt, Karolina Pfont, erläutert wurden. Demnach kann das eine Schulkindbetreuung sein, also beispielsweise ein Hort, ebenso schulische Ganztagesangebote oder eine verlängerte Mittagsbetreuung sowie Kombiangebote, die gemeinsam von Schule und Jugendhilfe verantwortet werden. Allgemein gilt: Der Rechtsanspruch umfasst eine Betreuung inklusive der Unterrichtszeit von acht Stunden, also in der Regel bis 16 Uhr, an allen fünf Werktagen, auch in den Schulferien - höchstens 20 Schließtage im Jahr sind erlaubt.

Laut dem Bayerischen Kultusministerium beläuft sich der aktuelle Betreuungsbedarf von Grundschulkindern im Landesdurchschnitt auf 55 Prozent, bis 2029 wird mit einer Steigerung auf 80 Prozent gerechnet, wie Pfont weiter sagte.

Im Landkreis liegt der Bedarf an Betreuungsplätzen der Sechs- bis Zehnjährigen im aktuellen Schuljahr bei 64 Prozent. Dabei schwanke die Quote sehr zwischen den einzelnen Kommunen, so Pfont, zwischen über 80 Prozent und 35 Prozent in den eher ländlichen Gemeinden. Wenn man die jetzt zur Verfügung stehenden Plätze - 553 im Ganztag, 1945 im Hort und 1596 in der Mittagsbetreuung - heranzieht, dann bedeutet das bei einem angenommenen Betreuungsbedarf von 80 Prozent eine Lücke für mehr als 1350 Kinder im Jahr 2029, wenn der Rechtsanspruch vollständig gilt.

Auch bei den Kindergartenkindern fehlt es schon jetzt an ausreichend Betreuungsplätzen

"Es wird eine riesige Anstrengung erfordern, um das hinzubekommen", sagte Jugendamtsleiter Robida. "Wir sind einer der jüngsten Landkreise in Oberbayern" - das mache die Schwierigkeit nicht gerade kleiner: Denn auch bei den Kindergartenkindern kann das bestehende Angebot den Bedarf nicht decken. Aktuell fehlen laut der erhobenen Zahlen im Landratsamt 167 Plätze, bis zum Betreuungsjahr 2029/2030 werden es vermutlich knapp 600 sein.

Ulrike Bittner, Kreisgeschäftsführerin der Awo, spricht von einem Dominoeffekt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ausschussmitglied Ulrike Bittner, Awo-Kreisgeschäftsführerin, sagte, sie nehme in den Einrichtungen der Awo einen Dominoeffekt wahr: Die Personalsituation sei vor allem nach der Pandemie, die von den Mitarbeitenden extrem viel gefordert hat, derart angespannt, dass immer wieder Erziehungskräfte ausfallen und andere zeitweise eine Gruppe alleine leiten müssen - wenn dann die zweite Kraft wieder einsatzbereit ist, sei die andere aber so erschöpft, dass dann sie ausfällt. "Also verkürzen wir die Öffnungszeiten, damit zumindest die, die wir haben, durchhalten", so Bittner weiter.

Etliche Einrichtungen arbeiteten inzwischen mit einer Personalampel, das ist von der Leiterin des Kinder- und Jugendbereichs im Ebersberger Kreisverband der Awo, Gabriele Pfanzelt, zu erfahren. Stehe die Ampel auf Orange, könnten die Eltern absehen, dass es eng zu werden drohe mit der Betreuung, und dass die Einrichtungen auf ihr Entgegenkommen angewiesen seien.

Um die Personalsituation an den Kinderpädagogischen Einrichtungen zu entschärfen, müssten vor allem die Rahmenbedingungen verbessert werden, sagte Pfanzelt und wird darin unterstützt von der Ebersberger Landtagsabgeordneten Doris Rauscher, Sozial- und Familienpolitische Sprecherin der Landtags-SPD. Da gehe es inzwischen nicht mehr so sehr um die Bezahlung - mit einem Einstiegsgehalt für eine Vollzeiterzieherin von inzwischen mehr als 3200 Euro "sind die nicht arm", erklärte Pfanzelt, "da hat sich in den letzten Jahren was getan". Nach wie vor aber fehlten Ausbildungsstellen an Fachakademien, "und was wir noch brauchen, sind Gelder für die pädagogische Weiterentwicklung".

So hätten etwa fertige Erzieherinnen oder Erzieher, die nach vier Jahren Ausbildung eine Gruppenleitung übernehmen sollen, immer noch "Begleitung" nötig. Da gehe es darum, auch in Alltagssituationen richtig reagieren zu können, unter Druck den Ansprüchen der Kinder, aber auch dem Erziehungsauftrag gerecht werden zu können.

"Bayern nimmt auch selbst kein Geld in die Hand, um Ausbildung und Qualitätsentwicklung zu intensivieren", kritisiert die Ebersberger Abgeordnete Doris Rauscher. (Foto: Marco Einfeldt)

"Die Arbeit in Kindertageseinrichtungen hat sich verändert", konstatierte Doris Rauscher, nicht nur der Anspruch an die pädagogische Qualität, auch jener der Eltern. Auf einem Treffen der Fachakademien in Bayern sei kürzlich der Wunsch nach Supervisionen laut geworden, die den Anfängerinnen gerade beim Berufsbeginn helfen könnten. "Das wären vielleicht nur zehn Prozent, die man damit halten könnte, aber immerhin." Allein gelassen hörten viele von ihnen schnell wieder auf. Stattdessen aber müsse das immer weniger werdende Personal immer mehr Aufgaben übernehmen, die mit der pädagogischen Arbeit nichts zu tun hätten, nicht nur Verwaltungsaufgaben. "Es gibt Einrichtungen, da putzen die Erzieherinnen am Freitagnachmittag selbst die Räume."

Grundsätzlich, so Rauscher, hinke Bayern im Hinblick auf die Erfüllung des Ganztagsanspruchs anderen Bundesländern hinterher. So habe der Freistaat im Zuge des vom Bund 2021 aufgelegten "Beschleunigungsprogramms Ganztagsbetreuung" bis Anfang März nur rund 18 Prozent der möglichen 117 Millionen für die Schaffung von Betreuungsplätzen abgerufen und liege damit bundesweit auf dem letzten Platz. "Aber Bayern nimmt auch selbst kein Geld in die Hand, um Ausbildung und Qualitätsentwicklung zu intensivieren."

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