Und das soll ein Arbeitsplatz sein? Hinter der Eingangstür hängt erstmal ein Schaukelsessel von der Decke. Weiter rechts eine Küche mit Kaffeevollautomaten und Wasserspender, mit Kühlschrank und Geschirrspüler. Oder ist das mit den Stehtischen und hohen Hockern eher eine Bar? "Die lockere Arbeitsatmosphäre ist uns echt wichtig", sagt Lisa Lohoff. Zusammen mit Gaby Köhler ist sie Geschäftsführerin des ersten Coworking Spaces im Landkreis. "Zamworking" heißt es treffenderweise. Vom Provisorium in der Grafinger Griesstraße ist der "Space" nun in seine langfristige Bleibe umgezogen: Marktplatz 3, erster Stock, mitten in die Stadt.
Begonnen hatte das Projekt im Frühjahrslockdown 2020 mit einem Ratsch über den Gartenzaun. Den teilen sich Gaby Köhler und Lisa Lohoff in der Gustl-Waldau-Straße. Sie sinnieren über die anfänglichen Vorzüge des Home-Offices und darüber, wie der Charme nach ein paar Wochen nachlässt. Weil die Couch nach einigen Stunden unbequem ist. Oder zu Hause einfach keine Arbeitsatmosphäre aufkommt. Jetzt irgendwo einen Schreibtisch, das wär' doch was!
Von San Francisco aus waren die Plug-and-Play-Arbeitsplätze ab Mitte der Nullerjahre um den Globus geschwappt. Manche sind mehr oder weniger abgeschirmt und fest vermietet. Andere, die "Hotdesks", die in Grafing Fix & Flex Desks heißen, sind frei zugänglich - wenn sie denn frei sind.
Die komplette Arbeitsplatz-Infrastruktur stellen die Coworking-Spaces bereit. Beamer, Reinigung, Nebenkosten, Highspeed-Internetzugang, Kaffee-Flatrate sind in der mit ein paar Klicks übers Internet buchbaren Tages-, Wochen- oder Monatsmiete inklusive. Die Hausnummer auf der Kostenseite: rund 300 Euro pro Monat.
Als Köhler und Lohoff damals über den Gartenzaun ratschten, war das Konzept in den Großstädten längst etabliert. Aber in einer Kleinstadt wie Grafing? "Da waren einige schon skeptisch", sagt Lohoff. Andererseits: "Je mehr wir uns mit der Sache beschäftigt haben, desto sicherer wurden wir uns, dass der Plan aufgeht."
Zwei Jahre nach der Zamworking-Gründung gehen solche Sätze auch als Beschreibung des Status Quo durch. "Letztens hat ein Vertriebler aus Nordrhein-Westfalen von hier aus sein süddeutsches Regionalmeeting durchgeführt", erzählt Gaby Köhler. Eine Bauunternehmung hätte unlängst Plätze gebucht, weil die eigene Bürobaustelle noch nicht fertig ist. "Vor kurzem hatten wir eine Videoproduktion hier oder Studenten, die in München in der Uni-Bibliothek keinen Platz mehr bekommen haben."
Angedockt auf der südlichen Gebäudeseite ist das Gründerzentrum der Stadt Grafing, das die Zamworking GmbH in deren Auftrag betreibt. In den nächsten Monaten schon sollen die ersten drei Start-Ups einziehen: Das erste entwickelt ein Jobportal für den Agrar- und Veterinärbereich, das zweite Software für Arbeitssicherheit, das dritte ist in der Krebsforschung aktiv.
Vor allem das Miteinander und die Gemeinschaft innerhalb der Coworking Spaces bilden Köhler zufolge den großen Vorteil gegenüber dem Arbeiten im Home-Office. "Beruflich und sozial ist man dort halt einfach isoliert", sagt Gaby Köhler. Die Leitidee von Coworking Spaces dreht dies um 180 Grad. Coworker verschiedenster beruflicher Hintergründe sollen dort zusammenkommen. Architekt trifft Marketingspezialist trifft Websiteprogrammierer trifft Fotokünstler. Zamworking ist nicht nur der Name. Sondern auch das Programm.
Den gut 200 Quadratmetern haben Köhler und Lohoff einen ordentlichen Lokalkolorit-Anstrich verpasst. Nicht nur, weil eine Künstlerin aus Grafinger Fotos stilisierte Comiczeichnungen kreierte. Die hängen jetzt an den Wänden. Rathaus, Marktplatz, Heckerbräu im bunten Simpsons-Look.
Für das Innenkonzept war die Architektin Antonie Kistler aus Moosach an Bord. Viel mit Holz hat sie gearbeitet, mit Laminat in Betonoptik und Trockenbauwänden, die sich, wenn nötig, auch mal vergleichsweise unkompliziert verschieben ließen. Schallelemente an den Wänden drehen die sterile Büroakustik in einen gemütlichen Wohnzimmersound. Es gibt Diskretionsboxen und Silent-Working-Zonen, barrierefreie Sanitäranlagen und Duschen für die, die mit dem Radl herfahren. Wer mit dem Laptop auf dem Schoß im Schaukelsessel schaukelt findet keinen Meter neben sich: eine Steckdose.
Wenn man so will, dann ist Zamworking mit alldem am Ziel. Und doch erst am Anfang.