Gastgewerbe im Landkreis:Stammtisch für Wirte

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Auch für die Arbeit im Biergarten ist - so die Erfahrung von Anita Stocker - das Dirndl die optimale Kleiderwahl. (Foto: Christian Endt)

Die neue Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbands Anita Stocker sieht ihre Hauptaufgaben in Vernetzung und Imagewandel. So will die Landshamerin dem Sterben der Gastrobetriebe etwas entgegensetzen.

Von Michaela Pelz, Pliening

"Sie habe ich ja komplett vergessen!", entschuldigt sich Anita Stocker, als man morgens um 10 Uhr den gleichnamigen Gasthof in Landsham betritt. Man kann es der seit Mai amtierenden Kreisvorsitzenden des Deutschen Hotel und Gaststättenverbands (Dehoga) nicht verdenken: Hat sie doch gerade eine anstrengende Frühschicht beendet und müsste nun eigentlich noch das Housekeeping vom Gasthof auf das Hotel umverteilen, weil jemand krank geworden ist. Und das gerade jetzt, wo Zimmer und Gaststube wieder ganz oft ausgebucht sind, weil geschäftlich und privat so viel nachzuholen ist.

Improvisieren ist Stockers Spezialität, auch vor einem vorübergehenden Gastbetrieb im Zelt schreckte sie nicht zurück

Eine kurze Besprechung mit der Schichtleiterin und eine Turbo-Umkleiderunde später, ist die Mittvierzigerin perfekt geschminkt im dunkelblauen Dirndl mit fescher rosa Schürze wieder da. Keine Viertelstunde hat das gedauert - die Frau ist Überraschungen und das Improvisieren offenbar gewöhnt. Kein Wunder bei einer, die 2004, in hochschwangerem Zustand, gemeinsam mit Ehemann Melchior dessen elterlichen Wirtshausbetrieb in einen schmucken Gasthof mit Übernachtungsangebot verwandelte - und während der Umbaumaßnahmen den Gastbetrieb in einem Zelt im Hof am Laufen hielt.

Dabei war der Ottersbergerin eine Karriere in der Gastronomie nicht direkt in die Wiege gelegt worden - wiewohl sich "in der mütterlichen Linie allein schon mindestens sechs bis acht Wirtinnen finden". Zudem hatte Stocker schon als Jugendliche gekellnert und sich so als junge Frau sogar das Geld für ihr erstes Motorrad verdient. Dennoch machte Stocker vor ihrem Einstieg ins Gastgewerbe, "das habe ich quasi mitgeheiratet", eine Ausbildung als Bankkauffrau - die ihr aber wiederum nun durchaus zugutekommt, kennt sie sich doch mit den diversen buchhalterischen Angelegenheiten und vor allem auch dem Kleingedruckten von Darlehensverträgen gut aus.

Viele Betriebe mussten in der Pandemie Kredite aufnehmen, die Dehoga bietet Rechtsberatung

Solche hat nicht nur das Ehepaar Stocker in den vergangenen Jahren häufiger gesehen, als es den Wirten lieb gewesen wäre. Um in der Pandemie, nachdem staatliche Hilfen zwar versprochen, aber noch längst nicht geflossen waren, die Fortzahlung der Löhne und die Deckung der Fixkosten gewährleisten zu können, mussten zahlreiche Gastronomen ihre Rücklagen aufbrauchen sowie sich mit Krediten verschulden. Hätten in dieser besonders harten Zeit nicht die Brauereien teilweise in ihren Gaststätten die Pachtzahlungen ausgesetzt oder mit Extras wie Freibier Unterstützung geleistet, so Stocker, wären wahrscheinlich noch mehr Betriebe den Bach hinuntergegangen, als es so schon der Fall war. Genaue Zahlen dazu hat sie allerdings nicht, zumal es sich bei den Betrieben teilweise um Nicht-Dehoga-Mitglieder gehandelt habe.

Eine erfreuliche Zahl aber hat die neue Kreisvorsitzende sofort parat: Um rund acht Prozent seien die Mitgliederzahlen im Landkreis Ebersberg seit Beginn der Pandemie gestiegen, auf mittlerweile fast 90 Betriebe. Die Bandbreite ist dabei groß und höchst vielfältig: von der kleinen Pension bis hin zum Hotel mit mehr als 120 Zimmern, vom reinen Gasthaus bis zum Mischbetrieb, wie es in Landsham der Fall ist. Ihnen allen stehen die Dienste des "hervorragenden Dachverbands" Dehoga Bayern zur Verfügung. Dieser hat neben seiner Hauptaufgabe, nämlich der Rechtsberatung gerade in Personalangelegenheiten, sowie der Vermittlung zahlreicher Vergünstigungen in Sachen Gema, Autoleasing oder Versicherungen, während der Pandemie umfangreiches Material bereitgestellt. Von Checklisten und Sachinformationen bis hin zu Formularvorlagen oder Muster-Schildern zum Aufstellen im eigenen Restaurant oder Hotel.

Aus diesem Grund sieht Stocker, die den Posten angesichts der aktuellen Herausforderungen und des Mehraufwands erst nach reiflicher Überlegung und anfänglichem Zögern übernommen hat, ihre Aufgabe während der dreijährigen Amtszeit nicht so sehr in der Weitergabe von Informationen, sondern eher in der Vernetzung der Mitglieder untereinander. Ein wichtiger Schritt dazu ist der neu etablierte Wirte-Stammtisch, dessen erste Ausgabe an diesem Donnerstag, 4. August, um 14 Uhr im Hotel Restaurant Haflhof in Münster (bei Glonn) ansteht. Dabei sollen sich die Mitglieder auch darüber austauschen, was bei ihnen in Pandemiezeiten besonders gut funktioniert hat, gerade im Hinblick auf eine, von allen gefürchtete, mögliche Neuauflage der 2-G- oder 3-G-Regelung im Herbst.

Im Gastgewerbe müsse ein Imagewandel her, um dem Aussterben entgegenzuwirken

Ausgesprochen wichtig ist für Stocker auch die Teilnahme am "Runden Tisch Tourismus" des Landratsamts, dessen Beauftragte Alexandra Holzfurtner die "enge und gute Zusammenarbeit mit der Dehoga" ausdrücklich lobt. Sie freut sich sehr über die Mitwirkung von Vertretern des Verbands in verschiedenen Projekten, die nun wieder möglich sind. Zumal sich die Zahl der Gästeanreisen (2021: 97894) und Übernachtungen (2021: 247935) nach dem starken Einbruch um rund 50 Prozent im Jahr 2020 nun wieder eindeutig im Aufwärtstrend befindet.

Das Herzensanliegen Stockers, Mutter von zwei Söhnen, ist aber zweifelsohne ein Imagewandel des Gastgewerbes: "Ich will den Stellenwert der Gastronomie in der Bevölkerung heben, um die Jugend und künftige Auszubildende für Berufe im Gastgewerbe zu begeistern. Ohne Nachwuchs stirbt das Handwerk aus!" Die Wertschätzung für diese Branche müsse man aber schon allein deswegen steigern, weil sie von zentraler Bedeutung für Veranstaltungen im Bereich Tradition und Kultur sei. "Ohne Gastro geht das alles nicht, alles ist miteinander vernetzt."

Man spürt, dass Anita Stocker wirklich mit Leib und Seele in ihrem Beruf aufgeht - bleibt da noch Raum für Freizeitbeschäftigungen wie etwa das Wandern in den Bergen, das sie so liebt? Die Zeit nimmt sie sich, das ist ihr wichtig. "Organisation ist alles. Und es geht nur, wenn man, wie ich, fleißige Mitarbeiter hat, die einem etwas abnehmen."

Ihr zweites großes Hobby hat außerdem mit ihrem Beruf zu tun: Nachdem ihr Weinlieferant, das fränkische Weingut Schmitt in Bergtheim, sie zusammenbrachte, engagiert Stocker sich seit 2019 in einem Bruderschaftsorden. Der schlug die Landshamer Gastronomin im April 2022 im Spreewald zum "Weinritter". Zwei Weinexkursionen unternimmt die Vereinigung im Jahr - eine in Deutschland, eine im Ausland.

Hier wird Anita Stocker vom Gasthof Stocker in Landsham zum "Weinritter" geschlagen. (Foto: privat/oh)

Viele der anderen 160 Ordensmitglieder aus ganz Deutschland stammen ebenfalls aus dem Gastgewerbe, es sind aber auch Weinliebhaber aus anderen Branchen dabei, wie Großindustrielle, ein Spielbankdirektor oder der Chef eines großen Bankhauses. "Alles ganz sympathische und normale Leute, wenn man mit ihnen redet", sagt die fröhliche Landshamerin.

Man kann sich gut vorstellen, wie sich die Wirtin im Orden verhält - sicher keinen Deut anders als jetzt, beim Gespräch in dem neuen Raum vor dem Thekenbereich, der schnell zum Lieblingsplatz vieler Gäste avancierte. Nicht nur, wer auf ein Taxi wartet, gemütlich Zeitung lesen oder sich ein Fußballspiel auf dem Monitor hinter der Rezeption anschauen will, fühlt sich auf den mit weichem Leder bezogenen Barhockern unglaublich wohl. Auch die örtliche Jugend, also die 20- bis 25-Jährigen, die in Dreier- oder Vierergruppen vor dem Ausgehen noch auf ein paar Spareribs vorbeikommen, liebt diesen Platz zum Sehen und Gesehen werden.

Probleme gibt es viele: die Bürokratie, den Personalmangel und unfairen Konkurrenzdruck

Darauf gilt es laut Stocker in Hotels und Restaurants zu achten: Wie diese Lobby eine Brücke ist zwischen Hotel und Gaststube, zwischen dem gewachsenen Wirtshauskern und dem mittlerweile auch schon 17 Jahre alten "Neubau", müsse man in der Branche kontinuierlich die Verbindung suchen zwischen Tradition und Moderne, um überleben zu können. Trotz einer Vielzahl von Verordnungen - "für das Erstellen der Speisekarte mit sämtlichen Inhaltsstoffen braucht man ja fast schon einen Rechtsbeistand". Trotz kontinuierlichen Personalmangels - "mindestens zu 50 Prozent daran schuld, dass wir den Saal aufgeben mussten". Trotz Konkurrenzdruck durch Anbieter wie Airbnb, was Stocker und auch der Dehoga ein großer Dorn im Auge ist: "Sie melden die Leute nicht an, man weiß nicht, wer da absteigt. Vor allem aber: Wir zahlen jede Menge Steuern und beachten alle Auflagen, von Brandschutz bis Lüftung, die nicht!"

Am Ende wird klar, dass das, was Anita Stocker über ihre Position als Kreisvorsitzende gesagt hat, auch für ihr Dasein als Wirtin gilt: "Ich mache es gern - will es aber auch g'scheit machen!"

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