Kommunalwahl in Vaterstetten:Ganz großes Kino

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In Vaterstetten geht am Sonntag ein 14 Monate dauernder Wahlkampf zu Ende. Wer die Stichwahl um das Bürgermeisteramt gewinnt, bleibt bis zuletzt spannend - auch weil die Freien Wähler in der Frage, wen man unterstützen soll, gespalten sind

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Nur weil man keinen Veranstaltungssaal hat, heißt nicht, dass es keine spannenden Veranstaltungen gibt. In der Großgemeinde geht am Sonntag mit der Stichwahl zwischen Leonhard Spitzauer von der CSU und Maria Wirnitzer von der SPD der wohl ungewöhnlichste Wahlkampf zu Ende, den man in Vaterstetten je hatte und das liegt nur zum kleineren Teil an der Corona-Krise. Dass zwischen erstem und zweitem Urnengang - der ja streng genommen ein Gang zum Briefkasten ist - nun kein klassischer Wahlkampf stattfindet, passt zumindest dramaturgisch ziemlich gut ins Konzept, es macht die Sache nur noch spannender.

Das Vorspiel

Der Vaterstettener Wahlkampf war nicht zuletzt deshalb ungewöhnlich, weil er ungewöhnlich früh und mit einem ungewöhnlichen Procedere begann. Die CSU präsentierte Ende Januar 2019, also 14 Monate vor der Wahl, gleich zwei potenzielle Bürgermeisterkandidaten. Neben ihrem Fraktionsmitglied Leonhard Spitzauer trat der parteilose Robert Winkler, der bis 2011 für die Grünen im Gemeinderat saß, zur internen Vorwahl der Christsozialen an. Was wohl den Erfahrungen der Bürgermeisterwahl 2013 geschuldet war, als der Vorstand der CSU in Brigitte Littke eine Kandidatin präsentierte und sich Teile der Fraktion und der Basis übergangen fühlten - das Ergebnis ist bekannt. Diesmal wollte man eine harmonischere Kandidatenfindung - die allerdings bei manchen von Winklers früheren Mitstreiter zunächst nicht so gut ankam. Grünen-Ortsvorsitzender Günter Glier etwa nannte es "undemokratisch" wenn lediglich die Mitglieder einer Partei über zwei so starke Kandidaten entscheiden könnten. Was die Grünen indes nicht daran hinderte, zwei Monate nach der Entscheidung der CSU zu erklären, man verzichte auf einen eigenen Kandidaten und unterstütze Winkler. Dasselbe war von der SPD zu hören. Lediglich Freie Wähler und FDP wollten sich nicht anschließen und setzten von Anfang an auf eigene Bewerber. Bei den Liberalen wurde - ebenfalls nach interner Vorwahl - Ortsvorsitzender Klaus Willenberg nominiert, die Freien Wähler entschieden sich für ihren Gemeinderat Roland Meier.

Neue Pläne

Eigene Bewerber suchen mussten dann ziemlich bald auch SPD und Grüne, die CSU-Mitglieder wollten ihrem Vorstand bei der Kandidatenwahl nicht folgen. Der parteilose Außenseiter Winkler bekam auf der Mitgliederversammlung am 19. Juni lediglich knapp 40 Prozent der Stimmen, 103 von 260 wahlberechtigten CSU-Mitglieder votierten für ihn. Da Winkler schon relativ früh klar gemacht hatte, ohne die Unterstützung der CSU nicht anzutreten, standen SPD und Grüne plötzlich ohne Kandidaten da. Die Genossen entschieden sich knapp zwei Monate nach Winklers Ausfall für ihre Gemeinderätin Maria Wirnitzer, bei den Grünen brauchte man etwas mehr Zeit: Mitte September dann präsentierten sie Politikneuling David Göhler. Damit war das Rennen um den Chefsessel im Rathaus plötzlich wieder sehr spannend geworden. Alle Parteien - mit Ausnahme der AfD - schickten Kandidaten ins Rennen, so viel Auswahl bei einer Bürgermeisterwahl hatten die Vaterstettener seit 1984 nicht mehr.

Die erste Runde

Dass bei fünf Bewerbern aus dem kompletten politischen Spektrum ein Wahlgang nicht ausreichen würde, galt bereits vor dem 15. März als sicher. Auch, dass Spitzauer, als Vertreter der größten Gemeinderatsfraktion, einer der Stichwahlteilnehmer sein wird, konnte man mit einiger Sicherheit erwarten. Tatsächlich holte er im ersten Wahlgang 39,1 Prozent, das liegt etwas unter dem Ergebnis der CSU bei der Gemeinderatswahl mit 40,9 Prozent. Deutlich beliebter als ihre Partei ist dagegen offenbar die Zweitplatzierte Maria Wirnitzer. Sie wollten 27,8 Prozent der Vaterstettener als Bürgermeisterin sehen, die SPD im Gemeinderat dagegen nur 15,2 Prozent. Fast genau umgekehrt ist das Verhältnis bei den Grünen, ihr Kandidat Göhler überzeugte 14,8 Prozent der Wähler, seine Partei dagegen 24,2. Die übrigen Kandidaten sind offenbar fast ausschließlich von den Anhängern ihrer Parteien gewählt worden: Meier erreichte 11,7 Prozent, seine Freien Wähler 11,1 Prozent, Willenberg kam auf 6,6, die FDP auf 6,1 Prozent. Allerdings bei einer Wahlbeteiligung von 64,9 Prozent - ob und wenn ja wie sich diese durch die Briefwahl in der zweiten Runde verändern wird, und wem dies zugute kommt, ist völlig offen.

Der Showdown

Wenn nun am Sonntag der zweite Wahlgang ansteht, ist dieser gewissermaßen ein Polit-Klassiker: CSU gegen SPD, Mann gegen Frau, Ortschaften gegen Vorstadt. Auf der einen Seite der Hergoldinger Leonhard Spitzauer, der Kandidat der CSU, die derzeit und auch künftig die größte Gemeinderatsfraktion stellt, 34 Jahre alt, Geschäftsführender Gesellschafter einer Immobilienverwaltungsgesellschaft, Feuerwehrkommandant in Parsdorf und seit vier Jahren im Gemeinderat. Auf der anderen Seite Maria Wirnitzer aus Baldham, die 56-jährige Bewerberin der SPD ist Diplomingenieurin mit eigenem Landschaftsarchitekturbüro, engagiert sich beim Bund Naturschutz und im Gartenbauverein und ist seit 2014 Mitglied des Gemeinderates.

Das Vaterstettener Rathaus bekommt einen neuen Chef oder eine Chefin, so viel steht fest. Wer allerdings im Mai die Nachfolge von Georg Reitsberger antreten wird, ist schwer vorherzusagen und das liegt nicht nur an der erwarteten hohen Wahlbeteiligung. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In ihrer Agenda setzen beide Bewerber auf den baldigen Bau der Parsdorf-Weißenfelder Umfahrung, beide fordern ein moderateres Wachstum der Gemeinde und beide sehen die Umsetzung langjähriger Wunschprojekte, wie Bürgersaal, neues Rathaus und Umgestaltung der Vaterstettener Mitte eher nicht in ihrer ersten Amtszeit. Deutlichere Unterschiede gibt es dagegen beim Thema Wohnungsbau, hier fordert die SPD explizit mehr günstigen Wohnraum, dazu soll die Gemeinde ihre Flächen bevorzugt an Genossenschaften vergeben. Bei den Christsozialen setzt man bei der Gemeindeentwicklung auf Bewährtes: Eine Neuauflage der "Zukunftswerkstatt", wie sie der bislang letzte CSU-Bürgermeister Robert Niedergesäß vor fast zehn Jahren ins Leben gerufen hatte und in der Bürger, Experten und Politiker ein Konzept für den Ort entwickeln sollen.

Fundamental unterschiedlich sind Rot und Schwarz beim Thema Energiewende. Zwar betonen beide deren Bedeutung, in der Umsetzung gehen die Genossen indes deutlich weiter. Sie befürworten den Bau von Windrädern im Gemeindegebiet, was die CSU derzeit nicht tut. Stattdessen will man eine landkreisweite Planung abwarten - was Jahre wenn nicht Jahrzehnte dauern kann. Daher ist es kein Wunder, dass die Grünen im zweiten Wahlgang ausdrücklich für Wirnitzer werben, mit ihr und der SPD gebe es die meisten Übereinstimmungen, erklärte die Ökopartei vergangene Woche.

Er will für die CSU ins Vaterstettener Rathaus einziehen: der 34-jährige Leonhard Spitzauer. (Foto: Privat)

Von den übrigen Parteien, die keinen Kandidaten in der Stichwahl haben, gibt es keine Wahlempfehlung - zumindest offiziell.

Die Nebenhandlung

Um das Ganze noch ein wenig spannender zu machen, gibt es - wie bei guten Thrillern üblich - auch beim Vaterstettener Wahlthriller unberechenbare Faktoren, die den Ausgang schwer vorhersehbar machen. Einer ist die schon erwähnte Wahlbeteiligung, ein anderer heißt Roland Meier. Im Gegensatz zu seiner Partei hat sich der Bürgermeisterkandidat der Freien Wähler sehr klar positioniert: Im Flyer des Kandidaten Spitzauer posieren beide gemeinsam für ein Foto und Meier darf seinen 1400 Wählern mitteilen, dass er den CSU-Kandidaten wählen wird. Was bei den anderen Freien Wählern eher schlecht ankommt. Wolfgang Schermann, ebenfalls wieder im Gemeinderat und stellvertretender Ortsvorsitzender, macht daraus auch gar keinen Hehl: "Das war nicht abgesprochen - aber wir können es ihm auch nicht verbieten." Allerdings stelle er sich die Frage, ob er mit Meier weiterhin in einer Fraktion zusammenarbeiten könne. Möglicherweise werde er darum künftig als Fraktionsloser im Gemeinderat sitzen.

Das wiederum hätte entscheidende Folgen für die Mehrheitsverhältnisse. Ab Mai hat die CSU zwölf und die Freien Wähler haben drei Sitze im 30 Mitglieder zählenden Gemeinderat. Würde Spitzauer Bürgermeister, käme die entscheidende 16. Stimme dazu - einige bei den Freien Wählern haben schon darüber spekuliert, mit dieser Mehrheit könnte Meier dann zu einem der zwei Stellvertreter des Bürgermeisters gewählt werden, als Gegenleistung für seine eigenmächtige Unterstützung Spitzauers. Würde nun aber Schermann die Fraktion verlassen, wäre auch mit CSU-Bürgermeister die "Spezi-Koalition" aus Orange und Schwarz ohne eigene Mehrheit. Meier weist im Übrigen solche strategischen Überlegungen zurück. Er habe nur "auch einen Stein in die Waagschale werfen wollen" nachdem sich die Grünen für eine Unterstützung der SPD entschieden hatten.

© SZ vom 26.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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