Katholiken in Ebersberg:Hat die Kirche noch eine Zukunft?

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Mit fast 50 Personen ist der Kolpingsaal der Pfarrei St. Sebastian gut gefüllt. (Foto: Christian Endt)

Personalmangel, Missbrauchsskandale, Vertuschungen - die Kirche steckt in einer beispiellosen Krise und verliert Jahr um Jahr mehr Anhänger. Eine Diskussion auf Einladung der Kolpingfamilie und des Ebersberger Pfarrers Josef Riedl.

Von Ulli Kuhn, Ebersberg

Der Andrang an diesem Abend ist groß. Die Sitzplätze sind restlos belegt, man spürt eine gewisse Enge im Kolpingsaal der Pfarrei St. Sebastian. Die Sorgen der Gläubigen wiegen schwer - so auch ihre Vorwürfe an die Institution Kirche. Doch im Laufe des Abends wird deutlich: Aufgeben wollen die Katholiken ihre Kirche noch nicht. Sie äußern scharfe Kritik, Sorgen und Ängste, doch demonstrieren auch Konstruktivität, Ideenreichtum und den Willen zur Umgestaltung.

Matthias Larasser, Vorstandsmitglied der Ebersberger Kolpingfamilie, führt in seiner Begrüßungsrede ins Thema ein. Er zeigt auf zwei Plakate, die an der Wand hängen. Das eine ist mit Zeitungsartikeln versehen, die Negatives über die katholische Kirche berichten, auf dem anderen sind positive Artikel angebracht. Das Plakat mit den kritischen Berichten quillt nahezu über. Artikel mit positivem Inhalt fand Larasser ganze drei.

Die Berichterstattung spricht für sich. Auf dem linken Plakat die negativen Artikel - auf dem rechten die positiven. (Foto: Christian Endt)

Stadtpfarrer und Dekan Josef Riedl bringt die Probleme der Kirche in seiner anschließenden Rede auf den Punkt, er hat aber auch erste Lösungsvorschläge parat. Zunächst spricht er über die Missbrauchsskandale in der Institution. Das sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, nicht nur ein kirchliches, so Riedl. Da aber der moralische Anspruch der Kirche höher sei als der eines Sportvereins oder Ähnlichem, "ist das natürlich eine ganz andere Fallhöhe".

Die Kirche müsse das Vertrauen ihrer Basis wiedererlangen, so der Pfarrer. Dafür sieht Riedl verschiedene Wege. Zum einen schlägt er vor, vormalige Pfarreiaufgaben in die Hände der Gläubigen zu legen. So könnten sie in Zukunft selbst im kleinen Rahmen Ostermessen halten, Gebetskreise führen oder vergleichbare Angebote übernehmen. "Wir müssen unsere Institution wieder mit Leben füllen." Das könnte dem wachsenden Personalmangel Abhilfe leisten, Vertrauen durch eigene Gestaltungsmöglichkeiten schaffen und Außenstehende neugierig machen - so die Idee.

Die Akzeptanz der Unfehlbarkeit des Papstes aufzubrechen, sei schwer, sagt Riedl

Auch für Frauen sieht er in der Kirche einen bedeutenden Platz: "Im frühen Mittelalter gab es Frauen, die Gottesdienste führten, das ist eigentlich nichts Neues." Ebenso müsse man sich mit der Digitalisierung auseinandersetzen, erklärt er. Das habe die Pandemie gezeigt. Man müsse sich also die Frage stellen, was passiere, wenn der Pfarrer Wein und Brot durch einen Zoom-Call segne. Werde es dann zu Blut und Leib Jesu Christi? Oder nicht? Pfarrer Riedl steht dem - seinen Worten zufolge - durchaus positiv gegenüber.

Er spricht etwas an, dass offenbar auch viele Teilnehmer bewegt: Die Rolle des Papstes als absolutistischer Wegweiser. "Der Papst ist nicht unfehlbar", sagt Riedl, aber es heiße immer noch oft "der Papst hat das doch gesagt". Ein schwieriges Thema, so der Pfarrer. "Es braucht Fingerspitzengefühl, um einen Weg zu finden, dass der Laden nicht gleich explodiert - es aber trotzdem vorwärts geht."

Und, dass es vorwärts geht, das dürfte für die Kirche wichtig sein. "Alleine in der Diözese München sind seit 2021 insgesamt 53 000 Menschen aus der Kirche ausgetreten", berichtet Riedl. Wenn man das vergleiche, dann sei das in etwa die Mitgliederstärke des ganzen Dekanats Ebersberg.

"Warum gibt es kaum ein Wort zum Krieg in der Ukraine, zur Flüchtlingskrise?"

Die anschließende Diskussionsrunde zeigt, dass Pfarrer und Glaubensgemeinde mit ihren Meinungen wohl nicht weit auseinander liegen. Auch sie sprechen die Missbrauchsskandale an. Sie zeigen Verständnis dafür, dass sich die Menschen abwenden. "Alle sehen ja, sogar die ganz oben leben nicht nach den Worten Jesu, warum sollten sie der Institution vertrauen?" Ein Teilnehmer fragt, wo denn die Stellungnahme zu aktuellen politischen Ereignissen sei. "Warum gibt es kaum ein Wort zum Krieg in der Ukraine, zur Flüchtlingskrise? Patriarch Kyrill unterstützt Putin, wo ist das Korrektiv dazu?" Hier warnt ein weiterer Teilnehmer vor einer Politisierung der Kirche.

In der Diskussion kommen auch ganz allgemeine Überlegungen zur Bedeutung der Kirche jetzt und in der Zukunft auf - und auch die Frage, ob solche Überlegungen im Hinblick auf den massiven Mitgliederrückgang überhaupt noch relevant sind. "Wo es vor 20 Jahren noch fast 100 Kommunionskinder gab, gibt es heute wohl gerade noch über 30", schätzt eine Gläubige. "36 haben wir dieses Jahr", bestätigt Pfarrer Riedl. Die Frau blickt durch den Saal und sagt: "Wenn ich mich hier so umsehe, sehe ich eigentlich nur meinen Jahrgang vertreten." Und tatsächlich, der Altersdurchschnitt dürfte an diesem Abend wohl deutlich über 50 liegen.

Ein paar wenige junge Gläubige sind zwar gekommen - eine gute Meinung zur Kirche haben sie aber nicht mitgebracht. "Man hat das Gefühl, es ist nicht immer so viel Jesus drin, wie's drauf steht", erklärt ein Jugendlicher. Dafür erntet er breiten Applaus. Er sei als Kind noch durch die Kirche sozialisiert worden, habe aber heute den Kontakt zu ihr verloren, erklärt er - und da hätten eben auch die Skandale ihre Rolle gespielt.

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