Ein Ebersberger Künstler in Schweden:Haus am Fjord

Lesezeit: 5 min

Der Moosacher Bildhauer Hubert Maier hat sich einen Traum erfüllt: ein selbst entworfenes und gebautes Holzhaus an der schwedischen Küste.

Von Tina Ott

Vermutlich hatte Hubert Maier schon damals, als er während eines Spaziergangs an der Scherenküste Schwedens dieses felsige Fleckchen Erde entdeckte, ein konkretes Bild vor seinem geistigen Auge, das von einem roten Häuschen. Denn an Vorstellungskraft mangelt es ihm sicher nicht. Der Moosacher ist Bildhauer und daran gewöhnt, sich Formen dreidimensional vorzustellen. Und da Maier vor allem großformatige Steinskulpturen schafft, faszinierten ihn die massiven, abfallenden Granitfelsen wohl mehr, als sie ihn abschreckten: nur eine Vorgabe, auf die man die optimale Antwort suchen musste.

Hubert Maier hatte schon lange davon geträumt, ein Haus von Grund auf selbst zu planen und zu bauen. Nun war der passende Ort gefunden, in Schweden. Denn dort, in einem Künstlerkollektiv in Gerlesborg, fünf Kilometer vom neuen Grundstück entfernt, arbeitet der Bildhauer seit einem Vierteljahrhundert jeden Sommer an seinen Skulpturen. Maier erklärt, er sei an das Vorhaben "Haus" herangegangen wie an seine künstlerischen Arbeiten auch: "entwerfen, planen, ausführen". Und ohne eine Grundsatzdebatte über die Frage, was Kunst ist, führen zu wollen: Für ihn sei das Häuschen von Anfang an ein Kunstprojekt gewesen. Wie soll es auch anders sein? Hubert Maier lebt, denkt und handelt wie ein Künstler.

Hubert Maier wuchs in Anger als Sohn eines Zimmerers auf und schlug in der Werkstatt seines Vaters Nägel in die Fugen des Fußbodens, da konnte er kaum reden. Er wusste schon früh, wohin es ihn drängte, und so begann er mit 15 Jahren eine Ausbildung zum Bildhauer in der Schnitzschule in Berchtesgaden. Nach beinahe zwei Jahren, in denen Maier als Geselle praktische Erfahrungen bei dem Bildhauer Fritz Koller in Laufen sammelte, studierte er an der Kunstakademie in München. Da kannte er bereits Maja Ott aus Piding, die zeitgleich Malerei studierte. Sie heirateten, bauten in Moosach bei Grafing eine ehemalige Schreinerei in eine Wohnung und mehrere Ateliers um und bekamen drei Kinder.

Schweden aber wurde für Maier und Ott bald zur zweiten Heimat. Das Häuschen würde nun beide Ort verbinden. In der Bildhauerwerkstatt sollten alle seine Teile entstehen und dann per Laster an die schwedische Küste transportiert werden. Denn in Moosach hat Maier einen ausreichend großen und trockenen Arbeitsplatz mit allen notwendigen Maschinen, er weiß, wo er am besten Baumaterialien einkauft und kann sich von seinen Familienmitgliedern Unterstützung holen. Außerdem hat der Bildhauer bereits viele LKW-Transporte von dem Künstlerkollektiv in Schweden nach Deutschland organisiert. Zwei Lastwagen mit den Bauteilen in die andere Richtung zu schicken, dürfte also kein Problem sein, so die Überlegung.

Nachdem Maier die erste bürokratische Hürde genommen hat - diesbezüglich stehen die Schweden den Deutschen in nichts nach - und er den Bauvorbescheid in Händen hält, kann er mit der groben Planung beginnen. Die Idee ist, ein Fertighaus in Holzständerbauweise zu zimmern und auch alle Möbel, Türen und Fenster selbst zu schreinern. Mit der Haustüre fängt Maier im Winter 2017 an. "Die passt auf jeden Fall, egal welche Form oder Größe das Haus haben wird", sagt er. "Ich will loslegen und nicht abwarten, bis die Gemeinde meinen Plan genehmigt." Den Bauplan hat er selbst gezeichnet, unter dem Weihnachtsbaum der Familie steht ein Modell. Mit seinem ältesten Sohn Leo fertigt Maier auch schon die Möbel: Tisch, Betten, Stühle, Eckbank, Küchenschränke. Es duftet in der Werkstatt, denn einiges davon ist aus Zirbelkiefer. Bei der alljährlichen "Atelier-Diagonale", die Künstler im Landkreis Ebersberg organisieren, zeigt er ein 1:1-Modell des Erdgeschosses aus zusammengeschraubten Dachlatten. Den kunstinteressierten, aber ratlos wirkenden Gästen erklärt Maier gern den Hintergrund.

Im Sommer 2018 wird - nach ein paar kleinen Änderungen - dem Plan zugestimmt. Vater und Sohn nageln innerhalb von 14 Tagen die Wände zusammen. Die Herstellung der Fenster dagegen braucht drei Monate, denn das Fräsen der Verbindungen, Falze und Sprossen und das Anschlagen mit den original schwedischen Beschlägen ist sehr zeitaufwendig. Die Fenster woanders zu bestellen kommt aber nicht infrage. Dafür holt sich die Familie Maier/Ott die Hilfe der drei jungen Moosacher Zimmerer, die auch beim Aufstellen des Hauses dabei sein wollen: die Zwillinge Elias und Linus Probul sowie ihr Freund Luggi. Auch zwei Landschaftsgärtner, der Vater und der älteste Sohn der achtköpfigen Familie Probul, begeistern sich so für die Idee, dass sie ihren Urlaub dafür verwenden werden, den Traum in Schweden wahr werden zu lassen.

Zehn Tage lang werkelte die Mannschaft aus Moosach, was das Zeug hält. (Foto: Tina Ott)

Im Frühjahr 2018 fährt eine kleine Truppe um den Bauherren nach Schweden, um das Grundstück vorzubereiten. Die dichte Vegetation muss zurückgeschnitten werden, im Erdreich und in den Felsspalten werden Wasser-, Abwasser- und Stromleitungen verlegt. Sogar eine Steintreppe, die sich in einer eleganten Linie zwischen zwei Felsen schmiegt, bauen die Moosacher. Sie führt in 27 Stufen hinauf zu dem Platz, auf dem das Häuschen stehen soll. Dort oben schaffen sie einen Keller und eine Bodenplatte. Nun kann auch das Haus kommen.

Wegen der Corona-Pandemie wird es August 2020, bis es losgehen kann. Mit einem Tele-Lader werden die Bauteile und Baustoffe auf einen Sattelaufleger und einen Tieflader gehoben. Halb Moosach läuft zusammen, als sich die beiden Lastwagen sukzessive füllen, mit Lehmbau- und Mehrschichtplatten, Holzwänden, in denen Dämmung und Fenster bereits eingebaut sind, und Balken. Nach achteinhalb Stunden sind die Lastwagen endlich fahrbereit. Doch bevor sie sich in Richtung Norden aufmachen, stellen die jungen Männer noch zwei Bierfässer auf die Ladefläche. Für das Richtfest.

In Schweden werden die Teile des Hauses bis zur Ankunft des Moosacher Bautrupps erst einmal beim Künstlerkollektiv zwischengelagert. Schon vor Sonnenaufgang geht es los: Pünktlich fährt ein Schwede mit seinem Lastwagen, auf dem ein großzügig dimensionierter Ladekran montiert ist, auf das Gelände. Er soll die Hausteile zum Bauplatz bringen und sie mit seinem langen hydraulischen Arm, Wand für Wand, sechs Meter nach oben auf den Felsen heben. Der Schwede stellt sich als Stefan vor, lädt flott die Wände auf und verzurrt sie. Offenbar etwas zu flott, wie sich herausstellen sollte. Denn auf der Fahrt droht der Traum der Familie Maier/Ott jäh zu zerplatzen: Die Truppe fährt in einem Kleinbus hinter dem LKW her, als es schlagartig still wird. Alle starren auf den Laster, dessen kostbare Fracht bedenklich schwankt. Die Wände des Schwedenhäuschens kippen derart weit zur Seite, dass Maier und seine Mannschaft im Geiste schon die Rungen brechen, die Wände auf die Straße knallen und Fensterglas zerbersten sehen. Der Lastwagenfahrer aber lässt sich weder vom Hupen, noch vom veränderten Fahrverhalten seines Fahrzeugs beirren und fährt mit unverminderter Geschwindigkeit auf eine Kurve zu. Die Augen des Bauherrn weiten sich, alle halten die Luft an. Auf den nächsten Metern wird sich entscheiden, ob alles umsonst gewesen ist. Der Lastwagen nimmt rasant die Kurve, - aber die Wände bleiben stehen. Was ihn auch immer dazu bewegt, endlich hält Stefan an. Nachdem man zusammen weitere Spanngurte angebracht hat, ist die restliche Strecke kein Problem mehr.

Jetzt steht Hubert Maiers Traumhaus fix und fertig an Ort und Stelle an einem Ufer in Schweden. (Foto: Tina Ott)

Vor Ort installiert Leo zwei Kameras, die im Zeitraffer festhalten, wie die Teile des Hauses am Kran sechs Meter nach oben auf den Felsen schweben. Dann geht es sofort los, die Mannschaft aus Moosach werkelt, was das Zeug hält. Da die Tage bis zur Abreise gezählt sind und niemand den Bauherren mit einem Berg unerledigter Arbeit zurücklassen will, sind die Pausen kurz und die Arbeitstage lang. Maja Ott ist durch eine Verletzung des Sprunggelenks gehandicapt, sie erklärt sich bereit, für den achtköpfigen Bautrupp Herbergsmutter und Köchin zu sein - was sich bald als Vollzeitjob erweisen wird.

Am Abend des zehnten und letzten Tages heißt es aufräumen, Gerüst abbauen und Abschied nehmen. Von einem Felsen aus, der neben dem Fjord aufragt, betrachten die fleißigen Moosacher ihr Werk: ein kleines rotes Haus auf dem Felsen. Es ist umgeben von noch mehr Felsen, aber auch von Büschen und Bäumen. Eine Mischung aus Stolz, Erleichterung und Abschiedsschmerz macht sich breit. Stolz, weil es gelungen ist, in zehn Tagen ein Haus aufzustellen. Erleichterung, weil sich keiner verletzt hat und alle gesund - wenn auch nicht mehr ganz so munter - nach Moosach heimkehren werden. Und Abschiedsschmerz: Die gemeinsame Zeit, in der viel gelacht und erzählt wurde, die Zeit des Essens an großer Tafel und der Schafkopfrunden, die Zeit der Pausen, in denen man den Ausblick auf Fjord, Schafe und einsame Natur genießen konnte, ist nun vorbei. Einer der Jungs sagt, das Beste seien die Zusammenarbeit und der Zusammenhalt gewesen - und alle stimmen ihm zu.

Die Autorin Tina Ott ist Maja Otts Schwester und begleitete das Projekt von Anfang an. Als Schreinergesellin, die auch in Zimmereien Erfahrung gesammelt hat, konnte sie beim Aufstellen des Hauses tatkräftig mithelfen.

© SZ vom 07.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: