Stadthalle Grafing:Die Katze ist raus aus dem Sack

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"Super Konzept": Veranstaltungsprofi Wolfgang Ramadan betritt mit dem Grafinger Überraschungs-Format neues Terrain und legt gleich selbst Hand an die Gitarre. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die beliebten Mixed Shows in der Grafinger Turmstube feiern ihr Comeback unter neuer Regie. Zu Gast sind mehrere Musiker und ein Zauberer, doch etwas Wichtiges kommt leider zu kurz.

Von Anja Blum, Grafing

Auf der kleinen Bühne stehen gleich mehrere Gitarren, große und kleine, akustische wie elektrische. Der aufmerksame Gast ahnt es also schon: Die Mixed Show im Turm der Grafinger Stadthalle wird, wie von ihrem neuen Intendanten bereits angekündigt, etwas musiklastiger werden. Dass das nicht auf ungeteilte Begeisterung stößt, ist klar. Doch was an der beliebten Reihe wird sich sonst noch ändern? Gelingt es Wolfgang Ramadan, das Erbe von Sebastian Schlagenhaufer würdig fortzuführen?

Der eine hat nach des anderen Kündigung einen Teil des Programms der Grafinger Stadthalle übernommen. Ramadan, Chef einer Veranstaltungsagentur aus Icking, bietet nun auch in Grafing "kulturelle Grundversorgung", das bewährte Abo von "Brotzeit & Spiele" nämlich. Diverse überregional bekannte Künstler touren durch Ramadans oberbayerisches Reich, in den Saal der Stadthalle kommen heuer noch Luis aus Südtirol, Django Asül und Chris Boettcher.

Die Grafinger gönnen dem neuen Intendanten reichlich Vorschusslorbeeren

Doch Grafing bietet dem Veranstaltungsprofi überdies eine besondere Herausforderung: die vom Vorgänger initiierten und bestens etablierten Mixed Shows. Das sind Überraschungsabende, an denen sich das Publikum einlässt auf Kurzauftritte vorab ungenannter Künstlerinnen und Künstler diverser Genres. Kabarettisten, Liedermacher, Poetryslammer und was sich sonst noch so alles tummelt in der regionalen Kleinkunstszene. "Vier im Turm" hatte Schlagenhaufer das Format getauft, unter Ramadan firmiert es nun unter dem ebenfalls sehr sprechenden Titel "Die Katz im Sack". Und die Grafinger gönnten dem neuen Intendanten reichlich Vorschusslorbeeren: Alle sechs Termine in 2023 waren ratzfatz ausverkauft.

Nun, bei der Premiere unter neuer Regie, ist in der voll besetzen Turmstube jede Menge freudige Erwartung zu spüren. Getränke gibt es nur an der Bar, wer Hunger hat, muss mit einer Breze vorlieb nehmen. Doch was soll's - die Gastro spiegelt ja nur den gewissen Impro-Charme des Formats wider. Ohnehin ist es für die meisten Zuschauer an diesem Abend viel wichtiger, endlich ihren neuen Gastgeber kennenzulernen. Und dazu haben sie reichlich Gelegenheit: Ramadan reüssiert als Anheizer, Moderator und quasi als vierter Künstler, als Musiker und Poet, denn Externe sind an diesem Abend lediglich drei eingeladen.

Kein Platz mehr frei: die Turmstube der Grafinger Stadthalle bei der ersten Mixed Show unter Wolfgang Ramadan. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ganz in schwarz, mit einer selbst gebauten Peace-Gitarre und langen Locken unter dem Hut entert er energisch die Bühne. Gibt sich handfest, bairisch, rockig. "Haut's die Bratzn zam, damit ma a Gaudi ham!" Wer könnte da widerstehen? Zumal man dem Ickinger anmerkt, dass er den Abend, diesen Ausflug auf das neue Überraschungs-Terrain, selbst sehr genießt. Alles ist in seinen Augen "super": das Konzept, das Publikum und der erste Gast sowieso. Ramadan, obwohl über 60, freut sich wie ein kleines Kind.

Kein Wunder, denn er hat zur Premiere quasi seine Lieblingsgäste eingeladen: ein internationales Trio aus zwei Musikern und einem Zauberer. Den Anfang macht Wally Warning aus Aruba - ohne den er selbst, so Ramadan, nun nicht auf dieser Bühne stünde: "Er war früher unser Nachbar und hat mir das Gitarrespielen beigebracht." Matthew Austin aus Manchester wiederum sei alles, was er gerne wäre. Nämlich jung, dünn und sanft. "Er ist mein Vorbild!" Und vom Dritten im Bunde, Tom Kratz aus Weilheim, ist Ramadan ohnehin "restlos verzaubert".

Wally Warning aus Aruba ist einer der besten Freunde von Ramadan. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
Matthew Austin baut alte Gitarren für sich um - er dreht sie quasi auf links. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
Tom Kratz kann mit Bechern und Bällen verdammt gut umgehen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Publikum wirkt dankbar, endlich wieder eine Mixed Show erleben zu dürfen, und folgt dem Geschehen höchst aufmerksam. Keiner ratscht, alle Blicke sind nach vorne gerichtet. Allerdings erweisen sich die Grafinger auch als etwas schwer entflammbar, selbst bei den heißesten Zaubertricks geht gerade mal ein Raunen durch den Raum. "Ihr seid ja ein misstrauisches Völkchen", entfährt es Kratz. Ja, diese Gäste sind kleinkunsterprobt, das zeigen gerade auch die witzigen, selbstbewussten Kommentare, die die Künstler bisweilen aus den vorderen Reihen ernten.

Warning ist zwar sichtlich etwas in die Jahre gekommen, hat aber nichts an Intensität eingebüßt. Immer noch erreicht er mit seinem Spiel, seiner Stimme und vor allem seiner Botschaft die Herzen der Zuhörer. Einfach unverwechselbar sind sein multikulturelles Crossover und die karibische Leichtigkeit, mit der er von der Kraft der Liebe erzählt. Der Buena Vista Social Club lässt grüßen! Austins Vintage-Sound wiederum kommt eher schwermütig daher. Seiner halbakustischen Framus aus den 50ern entlockt er mit sanften Pickings bluesige Harmonien. Ein reduziertes Spiel, das umso mehr Raum lässt für den engagierten Gesang und seine Gedankengebäude, zum Beispiel über die Lügen der Politik. Nicht nur zuhören, sondern mitmachen sollen die Gäste bei Zauberer Kratz. Ganz im Erklärbär-Modus leitet er Lockerungsübungen an, warnt vor Trickbetrügern auf der Straße - Hütchenspiel! - und untermauert die Chaostheorie mit durchaus beachtlichen Kartentricks.

Dank einer spontanen Zugabe werden es am Ende doch vier Gastkünstler gewesen sein

Am Ende bittet Ramadan alle Künstler zum gemeinsamen Final-Act - ein Novum. Über fröhlichen Reggea-Beat singt der neue Gastgeber davon, dass es nun Zeit sei, nicht nur zu reden, sondern die Welt mit Taten wirklich zu verändern. Aus Fehlern zu lernen, nach den Sternen zu greifen, Wunden zu heilen, Reichtum zu teilen, Hand in Hand. "Jetzt! Yeah!" Und dann, als Zugabe, erlebt das Publikum doch noch einen vierten Gast: Warnings Tochter Ami, die 2022 einen Preis der Gema als beste Nachwuchsmusikerin gewann, lässt sich überzeugen, ein Stück zu spielen: Mit sanfter, tiefer Soulstimme singt sie "Vielleicht lieber morgen", eine unter die Haut gehende Ode an die Lässigkeit.

Letztlich kann man sagen: Es ist wie immer bei der Mixed Show. Sie bietet ein Vier-Gänge-Menü, bei dem freilich nicht jedem alles schmeckt, wo aber die meisten doch irgendwo ihr persönliches Sahnehäubchen finden dürften. Und angesichts des wirklich geringen Eintrittspreises kann man da echt nicht meckern. Ein Abend wie dieser erste allerdings, der quasi kaum Humor bietet, ist für manchen Stammgast schon eine Enttäuschung. Insofern sollte der neue Regisseur über die künftigen Besetzungen vielleicht nochmal nachdenken. Musik ist gut, keine Frage. Aber eben nicht alles.

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