Kunstausstellung:Fein, feiner, Maydell

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"Bloß schnell weg", scheint dieser feige Frosch angesichts seiner Braut zu denken. (Foto: Christian Endt)

Das Grafinger Museum zeigt Ernst von Maydell, der sich der Tier- und Pflanzenwelt auf ganz unnachahmliche Weise gewidmet hat: Der Meister des zarten Strichs erzählt mit kleinen Motiven die größten Geschichten.

Von Anja Blum, Grafing

Der "Herr Baron", so wurde Ernst Freiherr von Maydell von vielen Grafingern genannt. Dabei hatte er da schon längst die Besitztümer seiner adligen Familie verloren, ein Leben mit Kriegen, Revolution und Heimatverlust hinter sich gebracht. Doch von Maydell war offenbar nach wie vor ein feiner, hochherrschaftlich wirkender Mann. Ein Mensch "von edlem Charakter und tiefer Herzensgüte", so wird er in einem Nachruf beschrieben. Als einen Menschen der Stille und des sanften Humors. Auch und gerade als Künstler.

Jede marktschreierische Reklame sei ihm zuwider gewesen. Und wer nun die neue Sonderausstellung des Grafinger Museums besucht, der kann das nur bestätigen. Die dort gezeigten Aquarelle, Pinselzeichnungen und farbigen Radierungen sind ausnahmslos: fein. Oder von "zierlich preziösem Charakter", wie es im Lexikon Thieme-Becker so schön heißt. Doch einer gängigen Klassifizierung entziehen sich diese Werke: Ernst von Maydell widmete sich der Tier- und Pflanzenwelt - auf ganz unnachahmliche Weise.

Tiere und Pflanzen hatten es Ernst von Maydell besonders angetan, als Mensch und als Künstler. (Foto: Christian Endt)

Mehr als 60 Jahre nach der letzten Einzelausstellung des Künstlers kurz vor dessen Tod, damals im Münchner Lenbachhaus, gibt es nun wieder eine exklusive Ernst-von-Maydell-Schau. Zu verdanken ist dies dem rührigen Leiter des Grafinger Museums und einem glücklichen Zufall. Bernhard Schäfer nämlich hatte 2021 eine Ausstellung gestaltet über "Kunst in Umbruchzeiten", einer der drei Vertreter war eben Ernst von Maydell. Und weil der Historiker stets auch forscht, widmete er dem Künstler auch eine Ausgabe seines "Archivstammtischs". Davon bekam ein Münchner Ehepaar Wind: Klaus-Rüdiger und Uta-Elisabeth Trott, denen einst der Nachlass des Malers anvertraut worden war. Und so kommt es, dass das Museum nun weit mehr als seinen eigenen Bestand zeigen kann.

Ernst von Maydell ist deutschstämmiger Balte, er wird am 4. Januar 1888 auf einem Gut Vogelsang in Estland geboren. Nach dem Gymnasium erhält er zunächst in Reval, dann in Riga und schließlich in München seine künstlerische Ausbildung. Zudem studiert er in Leipzig Landwirtschaft, seine Abschlussarbeit widmet er dem Kartoffelanbau. Da Estland damals zum russischen Zarenreich gehört, zieht von Maydell gegen das Deutsche Reich in den Krieg, wechselt 1915 zur British Air Force und gerät schließlich in deutsche Kriegsgefangenschaft. Danach wird er Freiwilliger der Baltischen Landeswehr und trägt sich laut Schäfer vorübergehend mit dem Gedanken, als Exilant von Shanghai aus mit weiteren deutschstämmigen Adligen die verbrecherische Fremdherrschaft im Baltikum zu bekämpfen. "Doch er erkannte bald die Ausweglosigkeit dieses Unterfangens", berichtet der Museumsleiter. "Also ging er nach Berlin."

Dort findet Ernst von Maydell seine erste Frau - aber kein Glück. Aller estnischen Besitzungen beraubt, zieht er also 1921 ins Berchtesgadener Land, in eine bescheidene Berghütte in der Gemeinde Salzberg. In einer Porzellanfabrik nimmt er eine Stellung als Maler an, um den kargen Lebensunterhalt zu verdienen. Den Sorgen des Alltags entflieht er, indem er sich der kindlichen Freude hingibt, die Pflanzen und Insekten der Bergwelt zu zeichnen. "Eine Ermunterung in dunklen Momenten", sagt Schäfer. "So hat er seinen einzigartigen Stil entwickelt."

In den bayerischen Alpen findet Ernst von Maydell den Zugang zu seinen botanischen Motiven. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Es sind Blumen, Gräser, markante Wurzeln, Federn und Schmetterlinge, die von Maydell von nun an sammelt und auf Papier verewigt. In ihm treffen sich der Naturkundler und der Künstler - auf die allerbeste Weise. Der Maler wird zum Meister der kleinen Form und des kleinen Motivs. Mit unendlicher Geduld und einer Lupe ausgestattet widmet er sich seinen Objekten. Mit filigranem Strich und zarter Farbe komponiert er aus bizarren Blüten, Ästen, Halmen und Insekten immer wieder neue, ja märchenhafte Welten, die er nicht selten mit hintersinnigem Humor anreichert.

"Maydells Spezialität nämlich ist die Vermenschlichung", sagt der Museumsleiter. Neben quasi dokumentarischen Zeichnungen von Bananenblüte, Ipomoea, Sonnenblume und Co. nämlich gibt es zahlreiche Bilder, die von Maydell den Ruf als "malender Hans Christian Andersen" einbringen, denn er haucht Flora und Fauna zusätzliches Leben ein. Bei ihm drehen sich die Blätter tatsächlich im schwungvollen Tanz, ein Frosch flieht vor seiner Braut, zwei Palmkätzchen vollführen einen drolligen Boxkampf. Über einen grünen "Laufsteg" stolzieren Fantasiewesen aus Blüten, Stängeln und Federn.

Ein Grashüpfer auf einem Kaktus wird zum Don Quichotte. (Foto: Christian Endt)
Oft sind die Szenen kriegerisch und doch humorvoll - wie dieser Angriff auf einen Kohl. (Foto: Christian Endt)
Herbstlaub und ein knorriger Ast? Oder ein Monster und seine bunte Beute? (Foto: Christian Endt)

Für von Maydell gibt es offenbar nichts Totes in der Welt, er versteht sogar die stumme Sprache der Wurzel, die bei ihm zum knorrigen Urzeitwesen wird. Im Leben, das kaum kriechen kann, vermag er den Himmelsflug zu sehen, und in der Lebenszeit einer Eintagsfliege die Ewigkeit. So zaubert er Hoffnung in die Herzen und ein Lächeln auf die Gesichter.

1925 zieht von Maydell nach München, wo er alsbald eigene Ausstellungen bestreiten darf. Außerdem macht er zwei bedeutsame Bekanntschaften, die ihm zum Durchbruch als weltweit anerkannter Künstler verhelfen und ihm ein unbeschwertes Leben ermöglichen, mit langen Aufenthalten in Italien (Capri, Positano) und einem Umzug 1935 an die französische Riviera. Zum einen lernt der Maler Hermine von Hohenzollern kennen, die Frau des deutschen Ex-Kaisers Wilhelm II., die Gefallen an seinen Werken findet und ihn daraufhin großzügig fördert.

Hermine von Hohenzollern unterstützt den verehrten Künstler, zum Beispiel, indem sie bemaltes Porzellan in Auftrag gibt. (Foto: Christian Endt)

Zum anderen trifft er auf die New Yorker Kunsthändler Bryman Ridges und Egon Wedell, die die Qualität seiner Kunst erkennen und ihn auf 30 Jahre unter Exklusivvertrag nehmen. Das enthebt von Maydell aller finanzieller Sorgen - hat aber auch Schattenseiten. Da die beiden Mäzene eine Ausstellungstournee quer durch Nordamerika organisieren und diese höchst erfolgreich ist, muss der Künstler ständig Nachschub liefern. Außerdem ist es ihm untersagt, in Deutschland eigene Schauen zu präsentieren. Beides habe ihm zeitweise sehr zugesetzt, sagt Schäfer, "das wissen wir aus seiner Korrespondenz mit der ihm gegenüber sehr gütigen Ex-Kaiserin Hermine".

An die französische Riviera übrigens zieht der Künstler alleine, als geschiedener Mann. In Cap d'Antibes allerdings wird schnell wieder Hochzeit gefeiert, nämlich mit der in Pipinsried bei Dachau geborenen Volkswirtin Dominika Hartig. Deren Eltern wohnen inzwischen in Grafing, in der Gartenstraße. Und genau dorthin zieht bald auch Ernst von Maydell mit seiner neuen Frau. Von der Côte d'Azur nach Bayern? Ein Schritt, für den es laut Schäfer einen triftigen Grund gegeben haben muss. "Entweder fühlten sich die zwei Deutschen wegen des aggressiven Auftretens des NS-Regimes in Frankreich nicht mehr willkommen, oder sie wollten den Lebensabend der Eltern beziehungsweise Schwiegereltern begleiten." Wahrscheinlich beides.

1938 verschlägt es den Maler Ernst von Maydell nach Grafing. In diesem Haus in der Gartenstraße 2 findet er ein neues Zuhause. (Foto: Christian Endt)

Vom Nationalsozialismus übrigens hält der Maler nicht viel. Er sei nie Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gewesen, sagt Schäfer. Seine der Hitler-Herrschaft ferne politische Haltung habe ihn indes nicht daran gehindert, mit einzelnen Pflanzenaquarellen, die sich jeder Ideologisierung entzogen, an den Ausstellungen im Haus der Kunst in München teilzunehmen. "Das Kriegsende schließlich erlebt Maydell in Grafing glücklich als unbewaffneter und nicht in Einsatz gebrachter Volkssturmmann."

In der Gartenstraße findet der Maler ein neues Zuhause und setzt dort sein künstlerisches Wirken fort, sein Atelier ist neben Gräsern, Blättern und Insekten bevölkert von exotischen Exponaten wie Korallen oder einem Seepferdchenskelett. Das Paar lebt sich rasch ein, ist bei gesellschaftlichen Zusammenkünften gerne gesehen.

Für den örtlichen Fasching gestaltet Ernst von Maydell das Motiv einer Einladungskarte. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wie Zeitzeugen berichten, ist er ein eher stiller, scheuer Charakter, der sich jedoch für die Gemeinschaft engagiert, zum Beispiel als Naturschutzbeauftragter des Landkreises Ebersberg. Sie hingegen erregt Aufsehen mit einer selbstbewussten Persönlichkeit sowie forschem Klavierspiel samt Gesang, so dass "die ganze Gartenstraße bebte".

Von Maydells Arbeiten sind weiterhin in gut besuchten Ausstellungen in Amerika, aber auch in seiner neuen Heimat zu sehen. Für seine Verdienste um die Wiederanerkennung Deutschlands im Ausland nach dem Zweiten Weltkrieg erhält er 1958 das Bundesverdienstkreuz. Am 25. Dezember 1960 stirbt Ernst von Maydell im Ebersberger Krankenhaus und wird auf dem Friedhof in Egglburg begraben. Mit Blick auf die Natur also, die er so sehr liebte.

Sonderausstellung im Museum der Stadt Grafing: "Meister des feinen Pinsels - der Grafinger Maler Ernst von Maydell (1888 bis 1960). Eröffnung am Freitag, 27. Oktober, um 18 Uhr. Geöffnet: sonntags 14 bis 16 und donnerstags 18 bis 20 Uhr. Es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm. Führungen für Besuchergruppen und Schulklassen nach Anmeldung. Zu sehen bis 11. Februar.

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