Jubiläen in Grafing:"Soldaten würden nie einen Krieg anfangen"

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"Gedenket unserer Gefallenen" steht auf der Mariensäule am Grafinger Marktplatz geschrieben. Die Namen der Gefallenen aus dem Zweiten Weltkrieg haben dort keinen Platz mehr gefunden. (Foto: Christian Endt)

Die Mariensäule am Marktplatz feiert 100-jähriges Bestehen, die dortige Soldaten- und Kriegerkameradschaft gibt es bereits seit 180 Jahren. Wie steht es um jene Vereine, die sich dem Mahnen zum Frieden verschrieben haben?

Von Merlin Wassermann, Grafing

Für viele Grafinger ist die Mariensäule auf dem Marktplatz Stadtmittel- und gelegentlicher Treffpunkt, seit einer Sanierung vor fünf Jahren auch wieder ein schöner Teil des Stadtbildes. Nur wenige nehmen sie im Alltag vermutlich als das wahr, wofür sie eigentlich konzipiert und ursprünglich aufgestellt wurde: als Kriegerdenkmal.

Am 24. Juni 1923 wurde die Säule - eigentlich ein Pfeiler, wie der Grafinger Historiker Bernhard Schäfer erklärt - aufgestellt, also an kommendem Samstag auf den Tag genau vor 100 Jahren. Deswegen gibt es um 17.30 Uhr einen kleinen Festakt mit Musik, einer Rede des Bürgermeisters Christian Bauer (CSU) und einer historischen Einordnung Schäfers.

Außerdem feierte Grafing bereits am 6. Juni ein anderes Jubiläum, das gut in diesen Zusammenhang passt: Die Soldaten- und Kriegerkameradschaft (SKK) wurde vor 180 Jahren gegründet. Die SKK Grafing ist einer von vielen Vereinen im Landkreis Ebersberg, die sich eine Doppelfunktion auf die Fahnen geschrieben haben: das Gedenken an gefallene Soldaten zu ehren, wozu auch die Pflege verschiedener Gedenkstätten gehört. Und vor dem Krieg und für den Frieden zu mahnen.

Viele der Vereine haben mit sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen

Das erklärt Peter Fleischer, Vorsitzender des SKK Ebersberg. "Wir kümmern uns darum, dass das Andenken an die Soldaten gewahrt wird", sagt er. So wie etwa Franz Bauer, Ehrenmitglied des SKK Grafing, der vor kurzem dafür geehrt wurde, dass er sich 45 Jahre lang die Gedenkstätte in Elkofen gepflegt hat. Auch kümmerten sich die Vereine um ein würdevolles Begräbnis verstorbener Vereinsmitglieder mittels Ehrensalut und Fahnenbegleitung, wie Fleischer erklärt.

Der Tod von Mitgliedern sei keine Seltenheit, führt der Vorsitzende weiter aus. Viele der Soldatenvereine hätten mit Überalterung und schwindenden Zahlen zu kämpfen. "Mitglieder sind meist die Söhne oder Enkel derer, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben oder gefallen sind", erklärt Fleischers Kollege Stefan Wolf, der neue Vorsitzende des SKK Grafing.

Die Mitglieder des SKK Grafing (von links) wollen erinnern und mahnen: Josef Klinke, Manfred Bradler (Vorsitzender des Kreisverbandes), Ullrich Rudelbach, Josef Kendlinger , erster Vorstand Stefan Wolf und Otto Hartl. (Foto: Christian Endt)

"Derzeit haben wir 185 Mitglieder", so Wolf, Tendenz aber steigend. In den vergangenen Jahren konnte der Verein nämlich einige neue Mitstreiter gewinnen. In Ebersberg wiederum habe man 308 Mitglieder, jedoch gingen "davon jedes Jahr zehn bis fünfzehn ab". Früher seien die Zahlen bei beiden Vereinen deutlich höher gewesen.

An dem Schwund habe bis jetzt auch der Ukrainekrieg - und die damit einhergehende Sichtbarkeit von Kampfhandlungen und der Bundeswehr - nichts geändert. Im Gegenteil: Fleischer berichtet davon, dass potentielle Interessenten durch die militärische Auseinandersetzung eher abgeschreckt würden. Dennoch hofft er, dass diese Vereine im Landkreis bald wieder mehr Zulauf erhalten.

Die Geschichte der Kameradschaften reicht weit zurück

Geschichtsträchtig sind sie allemal: Erste Krieger-, Soldaten- und Veteranenvereine gründeten sich bereits Ende des 18. Jahrhunderts. Nach den napoleonischen Kriegen Anfang des 19. Jahrhunderts und nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wuchs die Zahl beträchtlich. Wie Historiker Bernhard Schäfer erläutert, gab es nach diesem Krieg auch eine erste Initiative für ein Grafinger Denkmal: Die Kommune ließ eine Gedenktafel mit den Namen ihrer gefallenen Soldaten erstellen.

Ende des 19. Jahrhunderts plante der SKK Grafing ein weiteres Denkmal in Form eines Brunnens, allerdings fehlten dazu die finanziellen Mittel. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, eben 1923, wurde auf Betreiben der Pfarrgemeinde und durch den Bildhauer Franz Hoser und den Architekten Richard Steidle die Mariensäule aufgestellt. Die ursprüngliche Inschrift lautete: "Die Pfarrgemeinde Grafing gedenkt ihrer im Weltkrieg 1914 bis 1918 gefallenen Söhne." Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde schließlich der Schriftzug ersetzt durch "Gedenket unserer Gefallenen!" - und eine Tafel an der Friedhofsmauer angebracht. Die Namen aller getöteter Soldaten hätte nicht auf die Säule gepasst.

Eine Heldenallee? Über manche Namen wird diskutiert

Bernhard Schäfer findet, dass der Name des Denkmals und der Wortlaut der Inschrift gut gewählt sind. Beides sei "nicht martialisch. Das Kriegerdenkmal ist heute ja ein Friedensmahnmal." Besonders am Volkstrauertag, der dieses Jahr am 19. November stattfindet, werde die Säule auf diese Art eingebunden.

Nicht jedes Denkmal ist so vorausschauend benannt worden. Die "Heldenallee" etwa, die sich in der Nähe des Klostersees bei Ebersberg befindet, wurde nach dem Ersten Weltkrieg angelegt: 84 Bäume für 84 gefallene Soldaten. Manfred Bradler, Verbandsvorsitzender der Krieger- und Soldatenvereine im Landkreis Ebersberg, sagt mit Blick auf die Allee: "Früher wurden Soldaten als Helden verehrt. Heute wir das nicht mehr so gesehen." Bernhard Schäfer ist trotzdem der Meinung, dass die Allee nicht umbenannt werden sollte. "Man kann an ihr zeigen, wie damals gedacht wurde, das ist pädagogisch wertvoller."

Und dann ist da noch der Name der Vereine selbst. "Krieger", das würden viele Menschen erst einmal falsch als "pro Krieg" deuten, erzählt Peter Fleischer. Manche Vereine hätten deswegen bereits ihren Namen geändert, auch in Ebersberg habe man das diskutiert. "Aber der Name hat seit 150 Jahren Tradition", so Fleischer. Er wolle ihn deswegen behalten - und die Menschen darüber aufklären.

"Ich hatt' einen Kameraden", heißt es in dem Anti-Kriegslied Ludwig Uhlands von 1809. Und weiter: "Eine Kugel kam geflogen, gilt sie mir oder gilt sie dir? Ihn hat sie weggerissen, er liegt zu meinen Füßen, als wär's ein Stück von mir." (Foto: Christian Endt)

Denn der Verein setze sich ausdrücklich für den Frieden ein. In der Ukraine zum Beispiel müsse "so schnell wie möglich Frieden her". Fleischer hofft auf eine "hundertjährige Friedensphase", die 'Krieger' trügen schließlich einen Großteil des Leides und wüssten am besten über das Grauen des Krieges Bescheid. "Soldaten würden nie einen Krieg anfangen. Das ist immer eine Entscheidung der Politik", sagt Manfred Bradler.

Genau deswegen, so Schäfer, sei es auch eine der Aufgaben der Vereine, ein Angebot an Soldaten zu machen, sich solidarisch zusammenzufinden, etwa nach traumatischen Erlebnissen in Außeneinsätzen wie Afghanistan - obwohl heute wenige der Mitglieder selbst Kriegserfahrung hätten. Außerdem schätzt der Historiker die Vereine für ihre Erinnerungsarbeit: "Wir werden immer Denkmäler brauchen können, die gegen Krieg und für den Frieden stehen." So wie die Mariensäule auf dem Grafinger Marktplatz.

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