Kultur im Landkreis:"Gegenpol zur Weltpolitik"

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Gesehen hat Alfons Brückl die farbenfroben Urinale im Zeitz Museum of Contemporary Art (Kapstadt). Nicht als Ausstellungsstücke, sondern im tatsächlichen Gebrauch auf der Herrentoilette. (Foto: Alfons Brückl / oh)

"Farbe" lautet der Titel der Jahresausstellung des Grafinger Fotoclubs, mit dem "Blende 85567" ein positives Zeichen in düsteren Zeiten setzen will. Rätselhafte Verfremdungen stehen dabei neben traumhaft schönen Landschaften oder bunten Alltagsgegenständen - von Knöpfen bis zum Urinal.

Von Michaela Pelz, Grafing

Manche Dinge scheinen so einfach - und dann ist die Sache doch schwieriger als gedacht. "Zunächst hat jeder geglaubt, für das Thema 'Farbe' einfach in die Schublade greifen und 1000 Bilder rausholen zu können", erzählt Johannes Schmieg, Erster Vorsitzender des 2015 gegründeten Fotoclubs Grafing, mit einem Lächeln. Zusammen mit Burkhard Pietzner und Ulrike Hohnheiser präsentiert er eine Woche vor dem offiziellen Start die aktuelle Jahresausstellung im Museum der Stadt Grafing.

Am Ende haben die 27 beteiligten Mitglieder von "Blende 85567" natürlich nicht einfach nur bunte Bilder statt Schwarz-Weiß-Aufnahmen beigesteuert, sondern zeigen bei der Auseinandersetzung mit dem durchaus komplexen Thema eine inhaltlich wie technisch beeindruckende Bandbreite. Um auch der Besucherfantasie größten Spielraum zu lassen, wurden zudem Ausstellungsplakat und Flyer erstmals nicht mit Foto, sondern nur mit einem Schriftzug versehen.

Johannes Schmieg, Ulrike Hohnheiser und Burkhard Pietzner in den Ausstellungsräumen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Man soll sich fragen: Was steckt dahinter?", erläutert Hohnheiser, bevor sie die Antwort gleich selbst gibt. Ein "positives Zeichen gerade in diesen düsteren Zeiten" sollen die teils vielfarbigen, teils monochromen Werke sein. Quasi als "Gegenpol zur Weltpolitik" ergänzt Pietzner.

"Baum verneigt sich vor Polarlicht". Die Fjellbirke steht am Pyhätunturi im finnischen Zentral-Lappland. (Foto: Burkhard Pietzner / OH)

Tatsächlich tritt diese beim Gang durch die drei Räume und den Eingangsbereich eine Zeit lang in den Hintergrund, so beeindruckend sind die 54 Exponate und ihre teils abenteuerliche Entstehung. Wie etwa das Foto von Burkhard Pietzner. Des Nachts per Alarm-App von der Polarlicht-Sichtung informiert, gelang es ihm, die grün strahlende, fast unwirkliche Stimmung am finnischen Fjell Pyhätunturi einzufangen. Inklusive Sternenhimmel. Im Oktober, nach einem Marsch durch meterhohen Schnee, bei minus 15 Grad.

"The Wave" befindet sich im Grenzgebiet zwischen Utah und Arizona und wurde ausgeformt von Wind und Sand. (Foto: Knut Barsch / oh)

Deutlich wärmer war es in Italien, Indien, Afrika, auf La Gomera oder den Malediven, woher einige der anderen Motive stammen. Und sicher auch im Grenzgebiet zwischen Utah und Arizona, der Heimat von Knut Bartschs "The Wave". Ein Foto, in das man förmlich hineingezogen wird.

Zur Entstehung von Fotos "Im Lichttunnel" braucht man eine Lampe an einer Schnur, die dann herumgeschleudert wird. Dafür muss es komplett dunkel sein. (Foto: Stefan Piontek / oh)

Was auch für Stefan Pionteks Lichtmalerei gilt, die durch das Herumschleudern einer an einer Schnur befestigten Lampe entsteht. Völlige Dunkelheit ist dafür nötig und viel Geschick. Für die millimetergenaue Präzisionsarbeit von Johannes Schmieg reicht die ruhige Hand nicht, es braucht ein Stativ. Damit setzt er einen Siliziumcarbid-Kristall in Szene, an der Ecke gestochen scharf, der Rest ein Meer aus bunten Tropfen.

Den Siliziumkarbid-Kristall hat Johannes Schmieg in den USA gekauft. Für 7 Dollar. In der Natur kommt der für industrielle Zwecke verwendete "Diamant-Ersatz" nicht vor. (Foto: Johannes Schmieg / oh)

Wo hier mit ganz geringer Tiefenschärfe gearbeitet wird, nutzt Andreas Seidl die Colorkey-Technik, um einen rot-grün-gelb-blau gestreiften Trabi durch eine schwarz-weiße Straßenszene fahren zu lassen. Vergangenheit atmet auch das "Industriedenkmal" von Reiner Hulla, das im stillgelegten Thyssen-Hochofenwerk in Duisburg einen spektakulären Blick durch die Luftauslässe des Kühlwerks gestattet.

"Industriedenkmal" - Fotografiert durch die Luftauslässe des Kühlwerks im stillgelegten Thyssen-Hochofenwerk in Duisburg Meiderich (Foto: Reiner Hulla / oh)

Rainer Hergenröther wiederum bleibt mit seinem Bild aus dem Englischen Garten zwar in der Gegenwart - verpasst der beschaulichen Szenerie von Wasser, Weiden und Weg aber einen gelb-blauen Andy-Warhol-Look. Der provozierte bekanntlich gern; für Diskussionen im Vorfeld der Werkschau sorgte auch das Foto von Alfons Brückl. Im Zeitz MOCAA (Kapstadt) hatte er bunte Urinale gesehen. Nicht als Ausstellungsstücke, sondern zur tatsächlichen Benutzung. "Die Damen fanden es total cool und witzig, die Herren waren eher gschamig", berichtet Hohneiser und gluckst.

"Anna macht Pause" - und zwar auf einer Pflanze. (Foto: Franz Vielhuber / OH)

Heiterkeit ohne Hindernisse verbreitet hingegen "Anna macht Pause". Die Rasenlandschaft, in die sich die Protagonistin kuschelt, erinnert nämlich an die Teletubbie-Welt. Fotograf ist Franz Vielhuber, das Model seine Partnerin Anna Singer. Von ihr wiederum stammt das Foto "Regentag im Forst". Beim Betrachten meint man, die erdige, frische Luft förmlich zu riechen, die die Spaziergänger nach dem Schauer umgibt.

"Orange trifft Grau" - gesehen von Ulrike Hohnheiser bei einem Spaziergang durch Berlin an einem ganz normalen Haus. (Foto: Ulrike Hohnheiser / oh)

So ist am Ende die Mischung der Garant, dass für jeden Geschmack etwas dabei ist: hier Natur, da Architektur. Wie der orange-graue Eingang, der Ulrike Hohnheiser bei einem Gang durch Berlin auffiel und dem ganz gewöhnlichen Wohnhaus eine besondere Dynamik verlieh.

Oder erstaunliche Verfremdungen und Kopfkino zum Wegträumen neben dem Abbild von ganz alltäglichen Gebrauchsgegenständen; manche davon, wie die Garnspulen und Knöpfe der "Farbkonen" von Cornelia Schmieg zu einer Komposition arrangiert, die einfach gute Laune macht.

"Farbkonen" heißt das Bild, das extra für die Ausstellung entstand. Die Garnspulen und Knöpfe allerdings musste die fleißige Näherin nicht erst besorgen - war schon alles da. (Foto: Cornelia Schmieg / OH)

Schließlich gibt es in Gestalt von Multitalent Alex Pelka sogar ein Gesamtpaket. Von ihm stammen nämlich nicht nur die für "Farbstreifen im Alltagsgrau" fotografierten Acrylbilder, er hat sich auch mit einem selbst komponierten und gesungenen Blues akustisch verewigt. Dieser liegt unter Pelkas Dreiminutenbeitrag im Film, der zur Vernissage und an den beiden Sonderöffnungs-Wochenenden gezeigt wird. Weitere sechs Fotokünstler präsentieren sich dort ebenfalls. Der Halbstünder endet mit einem von Johannes Schmieg zusammengestellten Jahresrückblick auf je zwei Arbeiten sämtlicher 33 Mitglieder des Fotoclubs.

Wer es nicht zur Ausstellung schafft, kann sich danach im Internet alle Werke ansehen. Oder fährt in Grafings französische Partnerstadt Saint Marcellin, wo es an Pfingsten ein Festwochenende mit internationaler Ausstellung gibt, zu der auch Vertreter von "Blende 85567" mit einigen Exponaten anreisen.

Ausstellung "Farbe" des Fotoclubs "Blende 85567". Vernissage am Donnerstag, 22. Februar, um 19.30 Uhr. Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 24. März während der regulären Museums-Öffnungszeiten (donnerstags und sonntags) sowie an den ersten beiden Wochenenden nach Eröffnung (24./25. Februar und 2./3. März), samstags 14 bis 18 Uhr und sonntags 10 bis 16 Uhr. Zu den Sonderöffnungszeiten gibt es eine Tonbildschau, außerdem Kaffee und Kuchen. Der Eintritt ist frei.

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