Gemeinwohl-Ökonomie in Ebersberg:"Wer spielt, führt keinen Krieg"

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Petra Behounek von der Drachenstube in Ebersberg ist nicht nur Grünen-Stadträtin, sondern auch die erste Unternehmerin aus dem Landkreis, die eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt hat. (Foto: Christian Endt)

Der Spielwarenladen "Drachenstube" ist das erste Unternehmen im Landkreis, das eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt hat. Statt um Gewinnmaximierung geht es dabei um Werte wie Chancengleichheit und Nachhaltigkeit.

Von Antonia Aţurcăniţei, Ebersberg

Einkaufen ohne schlechtes Gewissen - das wünschen sich immer mehr Menschen im Landkreis. Und einige Initiativen sowie Firmen versuchen auch, diesem Bedürfnis zu entsprechen. Zum Beispiel die Drachenstube in Ebersberg. Inhaberin Petra Behounek gründete den Laden vor 17 Jahren und setzte von Anfang an auf Nachhaltigkeit: kein Helium, mehr Holz statt Plastik, keine Panzer, sondern Spiele, die die Kooperation fördern. Und nun ist die Drachenstube noch einen Schritt weitergegangen: Sie hat als erstes Unternehmen im Landkreis Ebersberg eine "Gemeinwohl-Bilanz" erstellt. Diese soll den Kundinnen und Kunden Auskunft geben über den Beitrag des Ladens zu Werten wie Solidarität, Chancengleichheit, Menschenwürde oder Transparenz.

Mit der Idee, eine Gemeinwohl-Bilanz auszuführen, ist Inhaberin Petra Behounek Anfang 2023 der zivilgesellschaftlichen Bewegung Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) beigetreten. Sie wollte damit ihre Bemühungen, unter anderem mit endlichen Ressourcen verantwortungsvoll umzugehen, schriftlich fixieren. "Ich verzichte bewusst auf manche Umsatzpotenziale, weil ich das nicht verantworten will", sagt sie. Der Bilanzierungsprozess dauerte ungefähr zwölf Monate, dabei wurde rückwirkend das Jahr 2022 betrachtet.

Die Bilanzierung ist ein langwieriger und komplexer Prozess

Das Tool zur Berechnung der Bilanz nennt sich Gemeinwohl-Matrix. Diese enthält vier Werte: Solidarität und Gerechtigkeit, Menschenwürde, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung. Die Einhaltung dieser Werte wird in Bezug auf fünf "Berührungsgruppen" geprüft, etwa das gesellschaftliche Umfeld oder die Lieferanten. Es wird also beispielsweise gefragt: Inwiefern wird die Menschenwürde gegenüber Mitarbeitern umgesetzt? Insgesamt werden 20 Themen betrachtet, für jedes bekommt das Unternehmen einen Prozentsatz. Daraus entsteht eine Bilanzsumme, die bis zu 1000 Punkten betragen kann.

"Das ist wirklich viel Arbeit. Ich habe einen Monat Vollzeitarbeit da reingesteckt", erzählt Behounek. Denn neben den Aufgaben für die Bilanzierung des eigenen Unternehmens ist man als Teil einer "Peergroup" zuständig für die Bewertung anderer Firmen. In Behouneks Fall waren das sechs Betriebe aus verschiedenen Branchen. So sei es möglich, im gemeinsamen Gespräch diverse Blickwinkel heranzuziehen, sagt die Ebersbergerin. Allein die Abschlussgespräche hätten ungefähr zwei Tage gedauert. Es seien kritische Fragen gestellt worden, Moderatoren hätten die Diskussion begleitet. Ein komplexer Prozess. "Diese Bilanz wird einem nicht unbedingt geschenkt", betont die Inhaberin der Drachenstube.

Die Ladeninhaberin freut sich über einen erheblichen "Erkenntnisgewinn"

Der Spielwarenladen erzielte eine Bilanzsumme von 186 Punkten. Den höchsten Wert von 40 Prozent gab es beim Thema "Sinn und gesellschaftliche Wirkung der Produkte". Was das bedeutet? "Wer spielt, führt keinen Krieg", sagt Petra Behounek. Mit diesem Zitat von Jens Junge, Professor für Spielkunde, habe sie auch die anderen Unternehmer in ihrer Peergroup überzeugen können. "Da konnten die total mitgehen!"

Durch die Bilanzierung habe sie viel über ihren Laden gelernt, sagt Behounek. "Es ist wirklich ein Erkenntnisgewinn. Ich habe vieles ganz anders eingeschätzt", sagt sie. Bei den beiden Themen "Menschenwürde in der Lieferkette" und "Solidarität und Gerechtigkeit in der Lieferkette" etwa hat sie 30 Prozent erreicht. 80 Prozent aller Marken in ihrem Laden habe sie untersucht, "um zu schauen, wie was produziert wird". Etwa zwei Drittel ihrer Produkte würden in Europa hergestellt, die anderen im Fernen Osten.

Diese Holzspielzeuge sind laut Petra Behounek die nachhaltigsten Produkte in ihrem Laden. (Foto: Christian Endt)

Die Spielzeuge in ihrem Laden, die am meisten den Werten der Gemeinwohl-Ökonomie entsprechen, sind laut Behounek die Holzspielzeuge von der Firma Fagus. Sie würden in Norddeutschland in einer betreuten Werkstatt produziert und bestünden aus massivem, einheimischem Buchenholz. "Mit denen liege ich, glaube ich, ganz gut", sagt die Spielwarenladeninhaberin.

Dagegen gebe es zwar auch Produkte, die weniger nachhaltig seien, die schlimmsten habe sie jedoch bereits aus ihrem Sortiment genommen, so Behounek. Beispielsweise Blinkspielzeuge, die keine austauschbaren Batterien haben. Andere Versuche, ihre Gemeinwohl-Bilanz zu verbessern, beziehen sich auf das Material eines Produkts. So wurde das meiste Melamingeschirr durch solches aus recyceltem PET ersetzt, statt Aluminiumflaschen soll es in der Drachenstube künftig nur noch Edelstahlflaschen geben.

Durch das Verfahren werden auch Verbesserungspotenziale erkennbar

Leider sei es ihr in Anbetracht ihres großen Angebots an Produkten und Marken aber nicht möglich, alle Lieferantinnen und Lieferanten zu überprüfen, sagt Behounek. In Bezug auf deutsche Firmen immerhin habe sie keine Bedenken. Außerdem sei sie mit manchen Unternehmen seit Jahren in Kontakt und habe dadurch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit etabliert.

In manchen Bereichen indes schneidet die Drachenstube vergleichsweise schlecht ab, das liege aber an ihrer Unternehmensstruktur als reines Ladengeschäft, erklärt Behounek. Die null Prozent beim Thema "Ausgestaltung der Arbeitsverträge" etwa seien der Tatsache geschuldet, dass sie nur zwei Angestellte auf Minijobbasis beschäftige. "Mehr gibt die Firmenstruktur einfach nicht her."

Andernorts sieht sie jedoch Verbesserungspotenzial, beispielsweise bei der Auswahl der Banken und Versicherungen für ihr Unternehmen. "Es geht hier nämlich nicht nur um Lieferanten", sagt Behounek. Aber auch beim CO₂-Ausstoß gebe es Möglichkeiten. So habe sie bereits mit der Energieagentur Kontakt aufgenommen, um an der Aktion "Zukunft plus" teilzunehmen. Dabei kann ein Unternehmen durch die Anschaffung sogenannter Zukunftszertifikate seinen CO₂-Ausstoß kompensieren.

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Bis Ende 2025 ist das Gemeinwohl-Zertifikat der Drachenstube nun gültig, die Arbeit jedoch bislang nicht beendet: Auf Grundlage der Bilanz sollen nun Verbesserungen umgesetzt werden. "Wir haben selbst Vorschläge ausgearbeitet, was wir in den nächsten zwei Jahren angehen sollen - und ich bin auch schon dabei."

Nun hofft Behounek, dass sich noch mehr Unternehmen der Bewegung anschließen und eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen. Fünf Firmen aus dem Landkreis Ebersberg sind bereits Mitglieder der GWÖ. "Die gehen einen freiwilligen Schritt voraus. Hoffentlich lassen sich auch andere Firmen animieren, das auch zu machen", sagt sie. Zum Beispiel bei einer Online-Informationsveranstaltung der Regionalgruppe Ebersberg, die an diesem Mittwoch, 13. März, um 20 Uhr stattfindet. Daran können alle Unternehmer, die an der Gemeinwohl-Ökonomie interessiert sind, teilnehmen. Petra Behounek wird da von ihren Erfahrungen berichten.

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