Inklusive Reise mit der Friedensflotte:Steinhöring sticht in See

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Das Bild stammt aus dem Jahr 2019: Im Minutentakt verlassen die Schiffe den Hafen von Split. (Foto: Franz Wallner/privat)

Als Teil der Friedensflotte Bayern beteiligt sich das Betreuungszentrum am größten inklusiven internationalen Segelprojekt.

Von Michaela Pelz, Steinhöring

Barbara und Oliver sind ziemlich aufgeregt. Bald machen sie Segelurlaub in Kroatien. Eigentlich eine ganz normale Sommeraktivität, sollte man meinen. Doch Barbara und Oliver leben unter dem Dach des Einrichtungsverbunds Steinhöring (EVS). "Und nach wie vor ist es nicht selbstverständlich, dass Menschen mit Behinderung ein selbst bestimmtes Leben pflegen und einmal im Jahr, wie jeder andere auch, zu einer Städtetour, in die Berge oder sonst wohin aufbrechen. Oder Kontakte nicht nur in der Gemeinde und vor der Haustür haben", sagt Franz Wallner. Der 68-Jährige ist Initiator der " Friedensflotte Bayern" und bespricht an diesem Tag mit Teilnehmenden, Eltern, Skipperinnen, haupt- und ehrenamtlichen Begleitern ein letztes Mal diese ganz besondere Reise.

Ab Samstag, 16. September, nimmt die Friedensflotte Bayern mit 16 Schiffen, sieben davon bemannt mit EVS-Crews, an der einwöchigen " Mirno-More"-Sternfahrt teil. Der gleichnamige österreichische Verein organisiert dieses Segelprojekt für sozial benachteiligte junge Menschen seit 1994. Ursprünglich ausgelegt für traumatisierte Kinder des Balkankriegs ist daraus inzwischen ein internationales, inklusives Event mit rund 100 Schiffen und um die 1000 Teilnehmenden geworden, bei dem es um Toleranz, Freundschaft und das Miteinander geht.

Franz Wallner ist seit den 80ern begeisterter Segler - die "Friedensflotte Bayern" ist eines seiner Herzensprojekte. (Foto: Christian Endt)

Wallner selbst war 1997 erstmals dabei und trug die Idee nach Steinhöring, wo sich nun jedes Jahr viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus Schulen, Werkstätten und Wohngruppen unbändig auf die Seefahrt freuen. Eine Obergrenze gibt es dabei nicht, notfalls werde eben ein Schiff mehr gechartert, sagt Wallner. Auch schwimmen können müsse man ausdrücklich nicht - weil das, so der Organisator, ja wieder diejenigen ausgrenzen würde, die die Bewegungsabläufe nicht umsetzen können und dennoch Spaß auf oder im Wasser haben.

Neben dem reinen Vergnügungsaspekt profitieren die Teilnehmenden davon, dass ihnen ganz nebenbei Wissen aller Art vermittelt wird. Gerade seine aus den Fachwerkstätten stammende Mannschaft sei technisch sehr interessiert, erklärt Wallner. Als Skipper lasse er den einen oder die andere auch schon mal ans Ruder, während er daneben stehe.

Generell werde bei allen Seglern Mobilität, Sportlichkeit und soziale Kompetenz gefördert, was sich am Ende im Selbstvertrauen bemerkbar mache. Denn gefordert werden sie alle sein: Jedes Mitglied der jeweils zehnköpfigen Mannschaft, bestehend aus zwei Pädagogen, zwei Skippern und sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischen zehn und 50 Jahren, darf und muss an Bord Aufgaben übernehmen.

Hier plant der Skipper mit einem Schüler aus Steinhöring, wie lange man bei Wind braucht. (Foto: Franz Wallner/privat)

"Funken, Karten lesen, Koje aufräumen. Jeder wird nach seinen Fähigkeiten eingesetzt. Jemand mit eingeschränkter Mobilität darf das Schiff starten, indem er den Schlüssel umdreht", erklärt Wallner. Und auch ein Rollstuhlfahrer könne helfen, die Segel zu setzen.

Auf der Checkliste des "Crew Pass" werden verschiedene Tätigkeiten abgehakt - ganz oben steht das Anziehen der Schwimmweste. Sie muss auch von denen getragen werden, die schwimmen können. So wie Sami, der im Freibad sogar vom Sprungturm springt. Der Vater des 15-Jährigen freut sich, dass sein Sohn dieses Jahr erstmals dabei sein darf. Beide sind zum Vorbereitungstreffen gekommen und schon eifrig ins Gespräch vertieft mit Karin Streibl, die als Skipperin für Samis Boot verantwortlich sein wird.

Grazerin Karin Streibl, die eigentlich als technische Zeichnerin arbeitet, ist schon zum vierten Mal ehrenamtlich als Skipperin dabei. (Foto: Christian Endt)

Extra aus Graz ist die 39-Jährige angereist, die wie die Mehrzahl der Beteiligten das Projekt ehrenamtlich begleitet. Zum vierten Mal ist sie für die Friedensflotte Bayern im Einsatz, begründet dies mit dem "großen Zusammenhalt, den man in der Gruppe spürt, sowie die Riesenfreude und wahnsinnige Dankbarkeit der Crew."

Ebenfalls aus Österreich stammt Martin Skerlan. Seit 2003 ist der Wiener "Mirno More" verbunden, zwischen 2005 und 2018 als Vorstandsmitglied, davon fünf Jahre Obmann. Jetzt möchte er als "einfacher Skipper zu dem zurückkehren, womit ich angefangen habe." Das tut er in der "Friedensflotte Bayern", weil ihn mit "dem Franz Wallner eine gute Freundschaft verbindet und wir ein Superteam sind." So sehen das wohl auch die, wie Wallner sie nennt, "Freunde aus Kroatien und aus der UNESCO-Schule in Münster", die heuer, neben Schiffen aus unter anderem Ingolstadt, Dachau, Freising, Piding/Berchtesgaden zur Friedensflotte Bayern gehören.

Rettungswesten tragen alle Segler - auch jene, die schwimmen können. (Foto: Franz Wallner/privat)

Das Herzblut und die Energie, die der quirlige Senior in dieses Projekt steckt, sind in der launigen Rede und im Vorgespräch zu spüren. Er liebt das Segeln, aber noch mehr die damit verbundenen Chancen für "seine" Leute. "Unsere Teilnehmer sind teilweise namentlich und persönlich in Split bekannt. Alle genießen diese internationale, grenzübergreifende Situation", erzählt er begeistert von der Atmosphäre vor Ort und die herzliche Aufnahme durch die Einwohner.

Und nicht nur das: "Der Inhaber der Marina in Split, die Familie Perket, unterstützt uns in unglaublicher Weise." Zwei Tage dürfen alle rund 100 Schiffe in dem Hafen kostenfrei liegen - "was normalerweise 150 Euro pro Boot pro Tag kostet" - und am Abend sind alle rund 1000 Beteiligten zu Cevapcici-Burgern eingeladen.

Einige, die sich beim Vorbereitungstreffen versammelt haben, waren schon mehrfach dabei - für andere ist es das erste Mal. (Foto: Christian Endt)

Bei dieser Erwähnung werden im Saal zahlreiche "Lecker, lecker!"-Rufe laut. Man merkt: Hier sitzen viele alte Hasen. Auch Barbara strahlt über das ganze Gesicht. Die 36-Jährige ist schon einige Male mitgefahren. Stolz berichtet sie, die im übrigen, genau wie ihr Verlobter Oliver, schwimmen kann - noch nie ins Wasser gefallen zu sein. Auch das ist durchaus eine Leistung, denn das Balancieren über die wacklige Gangway kann man im Vorfeld schlecht üben.

Damit sich alle zu jedem Zeitpunkt sicher fühlen, stehen den 41 Teilnehmenden aus Steinhöring elf Haupt- und 17 Ehrenamtliche zur Seite. "Ohne die wäre das Ganze überhaupt nicht mehr denkbar, und wir freuen uns über jeden, der als Begleiter mitfahren möchte oder seine Qualitäten als Skipper zur Verfügung stellt", sagt Wallner. "Zwar können wir nichts bezahlen, es kostet die Betreuer aber auch nichts."

Zudem gebe es viele andere, oft unsichtbare Helfer, die die Reise möglich machen. Etwa die Spender von Geld und Sachleistungen, wie jener Metzger, der nicht genannt werden will, von dem ein Teil der Verpflegung stammt. Oder die Vercharterer, die Nachlässe von 30 bis 50 Prozent gewähren oder ihre Schiffe sogar komplett kostenfrei zur Verfügung stellen. Und natürlich all jene, die sich um das Programm kümmern.

Oliver und Barbara freuen sich auf alles - vor allem aber auf die Disco. Vielleicht läuft sogar ihre Lieblingsband "Backstreet Boys". (Foto: Christian Endt)

Das sich übrigens wirklich sehen lassen kann: Die Aktivitäten reichen vom Piratenspiel mit Schatzsuche, über eine Trogir-Stadtbesichtigung bis hin zu Activity-Stationen an Land und einem großen Peace-Tag mit mehrsprachigen sozialpolitischen Aktionen, gekrönt vom abendlichen Friedensfest mit Bühnenauftritten der Crews und einer Disco bis 23 Uhr.

Das ist auch das Highlight, auf das Barbara und Oliver am meisten hin fiebern. Neben Andrea Berg und Hansi Hinterseer lieben sie ganz besonders die Backstreet Boys. Bestimmt werden sie deren Aufforderung mit der gleichen unbändigen Freude folgen, die sie bei diesem Planungstreffen zum Ausdruck bringen: "Everybody, rock your body!"

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