Hohe Auszeichnung für Grafinger:Einer der Letzten seiner Art

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Die Forschungsstation des Gletscherforschers Victor Popovnin in 2700 Metern Höhe im Kaukasusgebirge hat Erich Heucke bereits zum zweiten Mal für Dreharbeiten besucht. (Foto: privat)

Erich Heucke aus Grafing hat mit einer Doku über den Klimawandel den wichtigsten Preis für Amateurfilmer gewonnen.

Von Jörg Lehne

Die Fotos zeigen eine grasbewachsene Ebene, über der die gewaltigen schneebedeckten Gipfel des nördlichen Kaukasus thronen. Wenige verstreute Hütten lassen darauf schließen, dass dieses Gebiet, zumindest zeitweise, bewohnt ist. An einem der Dächer ist eine Leine gespannt, an der sich Kleidungsstücke im Wind wiegen. Die Szene zeigt die Forschungsstation des Gletscherforschers Victor Popovnin in 2700 Metern Höhe. Sommer für Sommer kommt er mit einer Gruppe Studenten hier herauf, um die Veränderungen am Djan-Kuat-Gletscher zu beobachten und zu dokumentieren.

Erich Heucke hat diese Bilder geschossen, als er das russische Forschungsteam eine Woche lang mit der Kamera begleiten durfte. Nun liegen sie vor ihm ausgebreitet auf einem Gartentisch im Schatten einer großen Birke. Der Grafinger trägt ein weiß-blau gestreiftes Hemd, eine schwarze Stoffhose und grüne Gummischlappen, die zur Gartenarbeit gedacht sind. Von seiner Reise in den Kaukasus hat er viele Fotos und insgesamt vier Stunden Videomaterial mitgebracht. Daraus wurde ein 17-minütiger Dokumentarfilm, dank dessen sich nun einen lang ersehnter Wunsch Heuckes erfüllt hat: Sein Werk "Drei Grad Plus! Eindrücke vom Klimawandel im Kaukasus" gewann einen von sieben "Obelisken" auf den Filmfestspielen des Bundes Deutscher Filmautoren (BDFA ) - den höchsten Preis, den ein Amateurfilmer in Deutschland erlangen kann.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, das rucksackähnliche Teil gehöre zur Requisite der "Ghostbusters". In Wahrheit ist es ein Bohrgerät, das mit heißem Wasserdampf bis zu zwölf Meter tiefe Löcher ins Gletschereis schmelzen kann. (Foto: privat)

Wie fast alle Filme von Heucke würde es auch seinen jüngsten nicht geben, wenn da nicht jener Gegenstand wäre, der neben ihm im Gras steht: ein metallener Kessel, montiert an einem Tragegestell, daran befestigt ein langer, isolierter Gummischlauch. Auf den ersten Blick könnte man meinen, das rucksackähnliche Teil gehöre zur Requisite der "Ghostbusters". In Wahrheit ist es ein Bohrgerät, das mit heißem Wasserdampf bis zu zwölf Meter tiefe Löcher ins Gletschereis schmelzen kann. In diesen Löchern werden dann Messstangen versenkt, an denen man ablesen kann, wie viel Eis im Laufe eines Jahres abgeschmolzen ist. Eine Handanfertigung von Erich Heucke, aus seiner eigenen Zeit in der Gletscherforschung. Heute ist der "Heucke Ice Drill" auf aller Welt gefragt. Kann sich ein Team das Gerät nicht leisten, lassen sich Heucke und sein Sohn von den Forschern auf ihre Station einladen. Das Bohrgerät ist dann ihr Gastgeschenk, ihre Eintrittskarte sozusagen. So sind sie schon an diverse Orte gelangt, die Normalsterblichen nicht zugänglich sind.

2008 sind Erich Heucke und sein Sohn bereits auf diese Weise zur Forschungsstation im nördlichen Kaukasus gelangt. Elf Jahre später folgten sie einer erneuten Einladung - der "Heucke Ice Drill" benötigte eine Reparatur. Im Schein der Nachmittagssonne, die durch Birkenäste fällt, gesteht Heucke beim Gedanken an den beschwerlichen Aufstieg, dass dies vielleicht sein letzter Besuch war. Das Amateurfilmen sei eben ein "Seniorenhobby", wie der ehemalige Ingenieur es ausdrückt. Zumindest dann, "wenn man es ernst nimmt."

Der Film soll nicht belehren, sondern lässt den Zuschauer zum Schluss lediglich mit einer Frage zurück: "Kann man da noch an dem Klimawandel zweifeln?" (Foto: privat)

Denn ein Amateurfilmer braucht vor allem Zeit. Er ist Produzent, Kameramann, Regisseur, Drehbuchautor, Cutter, Tonmeister und Sprecher in einem. "Ein Film besteht nicht nur aus schönen Bildern", erklärt Heucke. "Verliebtheit in die eigenen Aufnahmen kann sogar die beste Geschichte verderben." Eine Liste liegt vor ihm, darauf ein Spruch, der ihn hieran erinnern soll: "Kill your Babies!" Immer und immer wieder ist Heucke durch das Kaukasus-Material gegangen, um eine Geschichte herauszukristallisieren. Ein halbes Jahr hat es gedauert, bis der prämierte Film vollendet war. Heucke feilte am Rhythmus der Szenen, sprach den Erzählertext, stimmte Ton und Musik auf die Bilder ab. Immer wieder holte er sich Rat bei seinen Vereinskollegen, den Ebersberger Filmfreunden, sowie bei seiner Frau. "Filme entstehen nicht im stillen Kämmerlein". Auch diese Weisheit hat Heucke kennen und schätzen gelernt.

Herausgekommen ist ein Bericht, so persönlich wie entwaffnend. Sein eigenes Knowhow stellt Heucke dabei gar nicht in den Vordergrund, sonder lieber seine Eindrücke von der Umgebung. Er zeigt, was sich so alles verändert hat: Inzwischen werden in der Forschungsstation Himbeeren zum Nachmittagstee gereicht, die vor der Haustür wachsen, Pferde grasen in Höhen, in denen sie bislang nicht anzutreffen waren, und ein unerwarteter Regenschauer im September führte vor wenigen Jahren zum Ausbruch eines der Gletscherseen - mit verheerenden Folgen. Die Aufnahmen lassen den Zuschauer durch die Augen des Filmers blicken. Untermalt von stimmungsvoller Musik und dem Rauschen des Gletscherbachs folgt der Film dem Rhythmus Heuckes beizeiten amüsanter Erzählung. Dabei blickt er immer wieder in die Vergangenheit und zeigt so überdeutlich, was gegen Ende kaum von der Hand zu weisen ist: Die Erde wird wärmer, alles deutet darauf hin. Dennoch will Heucke mit seinem Film nicht belehren, sondern lässt den Zuschauer zum Schluss lediglich mit einer Frage zurück: "Kann man da noch an dem Klimawandel zweifeln?"

Nach den Dreharbeiten ist noch ein halbes Jahr vergangen, bis der prämierte Film vollendet war. (Foto: Christian Endt)

Doch auch zuhause will Erich Heucke die Kamera nicht ruhen lassen. Spaziergänge mit ihm haben daher ihre ganz eigene Dynamik. Manchmal, da liege er plötzlich auf dem Bauch und filme Blümchen, erzählt Heucke. Seine Frau habe sich aber inzwischen daran gewöhnt: "Sie hat immer ein Kissen und einen Krimi dabei. Dann dauert es halt so lange, wie es dauert." Diese Aufnahmen zeigen, dass der Filmemacher genauso ein Auge für die kleinen Probleme des Lebens hat wie für die großen. Etwa, wenn Heucke von Paulchen dem Waschbären erzählt, der eine Vorliebe für Gummibärchen hat und nichts lieber will, als einmal mit einem echten Zug zu fahren. Auf charmant-humorvolle Art begleitet Erich Heucke den kleinen Waschbären auf seiner Suche und zeigt dabei, dass er sich selbst nicht allzu ernst nimmt - als erwachsener Mann, der mit Handpuppe und Kamera quer durch Grafing läuft, eine unentbehrliche Qualität. "Über die kopfschüttelnden Passanten muss man erhaben sein", sagt Heucke und schmunzelt. Von manchem Alterskollegen wird er belächelt, doch ihn interessiert ohnehin vor allem die Meinung eines anderen Publikums: "Boa, wie viele Gummibärlis kriegt der dann?", entfährt es einem Sechsjährigen, als Heucke den Film in der Nachbarschaft zeigt. "Ha! Genau darauf wollte ich hinaus", ruft Heucke triumphierend, als er die Anekdote erzählt.

Rainer Drews war Mitglied der Jury, die Heuckes preisgekrönten Film bei den Deutschen Filmfestspielen beurteilt hat. Er nennt den Grafinger Filmemacher "einen Menschen, der mit allen Sinnen durch das Leben geht". Vielleicht blickt man ja anders auf die Welt, sobald man sie durch ein Kameraobjektiv betrachtet. Bei dieser Frage muss Heucke innehalten und überlegen. Dann nickt er: "Als Filmemacher bekommt man Lust an der Wahrnehmung." Fast 50 Jahre ist es her, dass Heucke seine erste Kamera gekauft hat, damals kam sein Sohn zur Welt. Seitdem ist die Linse Heuckes ständiger Begleiter. Noch heute glimmt ein besonderes Funkeln in seinen Augen, wenn er von den Super-8-Aufnahmen erzählt, auf denen er seinen Sohn zum ersten Mal beim Spielen eingefangen hat. "Damals hat man für drei Minuten noch 18 Mark gezahlt," sagt er belustigt.

Der "Heucke Ice Drill" wird von Forschern auf aller Welt genutzt. Erich Heucke verleiht ihn auch manchmal - unter einer Bedingung. (Foto: Christian Endt)

Heutzutage kann man hingegen jeden beliebigen Moment mit der Handykamera festhalten. Mit Film, wie er ihn versteht, habe das aber wenig zu tun, sagt Heucke. "Die Leute sterben aus, die den Ehrgeiz dazu noch haben." Denn wenn man eines aus dem Gespräch mit Erich Heucke mitnehmen kann, dann dies: Die richtige Arbeit eines Amateurfilmers beginnt erst, sobald die Kamera aus ist.

"Drei Grad Plus! Eindrücke vom Klimawandel im Kaukasus": Erich Heuckes Dokumentarfilm wird am Freitag, 17. September, bei der "Videonale" der Filmfreunde Ebersberg im Alten Speicher gezeigt.

© SZ vom 26.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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