Psychosoziale Unterstützung:Betroffen sind nicht nur die Betroffenen

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Malen, kleben, bauen: Mehrmals im Jahr veranstaltet das Ebersberger Kleeblatt Kunstworkshops für Kinder und Jugendliche, deren Mütter an Brustkrebs erkrankt sind. (Foto: Christian Endt)

Eine Diagnose Brustkrebs geht häufig nicht nur erkrankte Frauen etwas an, sondern die gesamte Familie. Das Angebot des "Ebersberger Kleeblatts" richtet sich deshalb an Patientinnen und deren Angehörige gleichermaßen - und Rudi und Ricky helfen auch eifrig mit.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Rudi ist grün. Nur seine rechte Ohrspitze und linke Hand nicht, die sind pink. Auf dem Kopf trägt er anstatt Haaren eine lila Feder. Um seine rechte Hand sind rote Notizzettel gebunden, die darauf zu warten scheinen, beschrieben zu werden. Dort, wo sich bei anderen Lippen zu einem Mund formen, klafft bei Rudi ein Loch. Das muss so sein, denn schließlich ist Rudi der Kummerkiller. So haben die Kinder dieses grüne Kerlchen getauft, das sie gemeinsam gebaut haben. Und Rudi, der Kummerkiller, trägt freilich nicht umsonst diesen Namen: Wer von einem Kummer geplagt wird, der schnappt sich einen der roten Zettel und notiert ihn darauf, knüllt das Papier zusammen und wirft es anschließend in Rudis Schlund. Sodann steigt Nebel daraus empor und zeigt damit an: Der Kummer ist gekillt.

In Rudis Schlund hat sich bislang noch ein jeder Kummer in Nebel aufgelöst. (Foto: Christian Endt)

Der Raum, in dem Rudi steht, beherbergt noch viele weitere Skulpturen und Gemälde, Staffeleien und Farbbehälter, Kittel und Tische mit bunt bekleckertem Zeitungspapier. Es ist das Atelier des "Ebersberger Kleeblatts" - ein Projekt zur psychosozialen Unterstützung und Nachsorge für Brustkrebspatientinnen der Ebersberger Kreisklinik und deren Angehörige.

2009 hat die damalige Chefärztin der Gynäkologie und Geburtshilfe, Cornelia Höß, federführend verschiedene Maßnahmen im Sinne der psychosozialen Hilfe in diesem Projekt konzeptionell gebündelt und den Ausbau des Angebots vorangetrieben. 2017 hat die Bayerische Krebsgesellschaft das Ebersberger Kleeblatt sogar mit dem dritten Preis in dem jährlich ausgeschriebenen Wettbewerb "Bayerischer Krebspatientenpreis" prämiert. 1000 Euro hat die Auszeichnung in die Spendenkasse gebracht - das Projekt ist rein spendenfinanziert.

Heute besteht das Kleeblatt-Team aus sieben Köpfen: Cornelia Höß, Psychoonkologin Cornelia Caspari, Psychologin Inge Bäuml, die Kunsttherapeutinnen Gaby Müller und Jutta Seyfried, Tanztherapeutin Andrea Baumgartner sowie Doris Wenninger, die für Verwaltung und Koordination der einzelnen Veranstaltungen zuständig ist.

Häufig tritt Brustkrebs in das Leben einer ganzen Familie

"Bei der Diagnose Krebs schwingt bei vielen eine große Ungewissheit mit: Wie schlimm ist es? Sterbe ich daran? Kommt er irgendwann zurück?" Psychoonkologin Cornelia Caspari sitzt gegenüber von Rudi, dem Kummerkiller, im Atelier. Links und rechts daneben ihre Kleeblatt-Kolleginnen Gaby Müller und Inge Bäuml. "Bei Brustkrebs nun kommt hinzu, dass die betroffenen Frauen häufig auch Mütter von kleineren Kindern oder Jugendlichen sind", so Caspari weiter. Der Krebs tritt also nicht nur in das Leben einer Frau, sondern in das Leben einer Familie - betroffen sind nicht nur die Betroffenen selbst.

Kunsttherapeutin Gaby Müller, Psychoonkologin Cornelia Caspari und Psychologin Inge Bäuml (von links) gehören zum siebenköpfigen Kleeblatt-Team. (Foto: Christian Endt)

Deshalb beinhaltet das Kleeblatt nicht nur Gruppenangebote für Brustkrebspatientinnen in Form von Gesprächs-, Tanz- und Kunsttherapien, Sportgruppen und Kosmetikseminaren. Das Projekt beinhaltet ebenso Familiensprechstunden, Seminare, zu denen auch Angehörige eingeladen sind, sowie Kunstworkshops für Kinder und Jugendliche aus betroffenen Familien. Somit steht das Kleeblatt bei einer Brustkrebserkrankung ganz im Sinne einer ganzheitlichen Versorgung.

Es geht also nicht nur um die reine Medizin. "Uns ist wichtig, in jeglicher Hinsicht Hand in Hand zu arbeiten", sagt Caspari. Die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen und deren Familien und Freunde stehen an oberster Stelle: Das Kleeblatt ist eine Begleitung auf jedem dieser ganz persönlichen Wege durch die Zeit der Therapie und danach - ein Angebot für Rückhalt, ganz ohne Druck.

Es sind schwierige Situationen, von denen Caspari, Müller und Bäuml berichten. Da sind zum Beispiel die Frauen, die den Krebs so weit wie möglich von ihren Kindern fernhalten möchten - um sie zu schützen freilich, um ihnen eine Unbeschwertheit zu bewahren. In diesem Sinne wird dann oft nicht thematisiert, dass sich Mamas Aussehen verändern, dass sie ihre Haare verlieren und eine Perücke tragen wird. Meistens merken die Kinder dennoch, dass etwas nicht stimmt. Aber sie fragen nicht nach, wollen die Eltern nicht mit ihren Fragen belasten. "So entsteht ein Bündnis des Schweigens", erklärt Inge Bäuml.

Aber: "Kinder können mit der Wahrheit sehr gut umgehen", so Bäuml weiter. Vieles sei nur eine Frage der passenden Kommunikation. Als Psychologin verantwortet Bäuml die Familiensprechstunden im Kleeblatt, in der genau solche Fragen besprochen werden können. Dadurch würde zwar die Tatsache, dass ein Krebs in der Familie ist, nicht verändert, sagt Caspari. "Aber darüber zu sprechen, kann erleichternd wirken."

Eine präventive Beratung ist für die meisten Kinder hilfreich

Immer wieder erleben es Bäuml und Caspari, dass sich betroffene Familien erst lange nach der Diagnose an sie wenden - dann, wenn sie ein verändertes Verhalten am Kind bemerken. Natürlich besteht das Angebot zum individuellen Gespräch und zur Familiensprechstunde auch dann. "Aber durch eine präventive Beratung lässt sich in den meisten Fällen viel Ungutes vermeiden", sagt Bäuml.

Zum Beispiel auch, dass die Kinder mit der Krankheit ihrer Mutter falsche Vorstellungen verbinden, weil sie mit dem Begriff "Brustkrebs" oder Krebs im Allgemeinen wenig anfangen können. "Krebs ist ein Tierchen, das den Körper von innen auffrisst." "Krebs ist ansteckend, deshalb traue ich mich nicht mehr, mit der Mama zu kuscheln." "An Krebs muss man sterben, das weiß ich sicher." "Die Chemo hilft gar nicht, weil der Mama die Haare ausfallen und es ihr danach immer noch schlechter geht". Alles Sätze, die Bäuml im Laufe der Jahre von Kindern gehört hat.

Bei den Kunstworkshops ist der Krebs hingegen bewusst kein Thema, das sprachlich aufgenommen wird, wie Therapeutin Gaby Müller erklärt. Denn das "Normalsein", so nennt sie es, sei bei vielen Kindern trotz allem ein großer Wunsch. Zwischen Pinsel auswaschen und Farbe holen falle gleichwohl auch einmal ein Satz wie: "Ich glaube der Mama nicht mehr, wenn sie sagt, dass es ihr gut geht." Deshalb wird der Kunstworkshop immer von Müller und ihrer Kollegin Jutta Seyfried geleitet, zu zweit also. So kann eine der Frauen bei Bedarf mit einem Kind hinausgehen und mit ihm alleine sprechen.

Ricky, das Muthuhn, legt Schoko-Eier, die mit Alufolie umwickelt sind - darin befindet sich auch immer ein aufmunternder Spruch. (Foto: Christian Endt)

Die Teilnahme an den Workshops ist kostenlos, jedes Kind darf so oft kommen, wie es möchte. Beim ersten Mal kann jeder einen Freund mitbringen. Vielen nehme das die Angst vor einer fremden Gruppe, wie Müller erklärt. Außerdem kann es entlastend auf die Kinder wirken, wenn sie merken, dass der Brustkrebs kein Geheimnis vor der besten Freundin sein muss - wenn die beste Freundin auch einmal ein Schoko-Ei, das mit einem aufmunternden Spruch und Alufolie umwickelt ist, aus Ricky ziehen kann. Ricky, das ist das mit bunten Federn beschmückte Muthuhn, ein Freund von Rudi, dem Kummerkiller.

Weitere Infos über die Angebote des Ebersberger Kleeblatts sowie Kontaktmöglichkeiten gibt es online .

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