Ebersberg:Wenn feuchte Augen lügen

Lesezeit: 4 min

Mit diesem rührenden Pilgerbuch zugunsten der angeblich leukämiekranken Tochter haben die beiden Betrüger zahlreiche Pfarrämter genarrt. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Immer mehr Menschen klappern Pfarrämter in der Region ab, um auf schnellem Weg an Geld zu kommen. Die Tricks sind raffiniert und viele Geschichten erfunden. Das Risiko, wegen Betrugs bestraft zu werden, geht gegen Null.

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Der Mann mit dem Rosenkranz hat das Gesicht in den Händen vergraben. Seine Tochter habe jetzt keine Haare mehr, Leukämie, sagt er und schluchzt. Er sagt, dass er 56 sei und seit einem Unfall nicht mehr arbeiten könne - um Geld zu sammeln, pilgere er jetzt von Pfarramt zu Pfarramt.

Die Szene vor zehn Tagen auf dem Ebersberger Marktplatz wirkt täuschend echt und der Pole, der sich Miroslaw G. nennt, hat seine Glaubwürdigkeit dokumentiert. Mehr als 40 katholische und evangelische Pfarreien zwischen Schlesien und München haben in seinem Pilgerbuch mit Gruß, Stempel und Unterschrift bestätigt, dass sie für G.s Mission gespendet haben. "Für Tochter Christina", schrieb Ebersbergs Dekan Josef Riedl am 16. August in das Buch. "Gott segne die ganze Familie."

Allein aus Freising, Ebersberg und Erding hatten ein Dutzend Pfarreien den Pilgern Bargeld zwischen 30 und 70 Euro gespendet. Die rührende Geschichte musste einfach stimmen, wegen des Pilgerbuchs hatte auch die SZ Ebersberg keine Zweifel, als sie über G. und seinen Begleiter berichtete. Inmitten all der schlimmen Nachrichten der vergangenen Monate einmal eine herzerwärmende Meldung.

Dann kam eine ganz andere Wahrheit ans Licht

Doch dann kam eine ganz andere Wahrheit ans Licht. Wenige Tage später wurden die beiden Männer beim Klauen erwischt, G.s Partner entkam, er selbst wurde von der Polizei festgenommen und verhört. Die Ebersberger Inspektion teilte mit, dass G. sich in Widersprüche verstrickt und schließlich gestanden habe, dass die ganze Geschichte erfunden sei. Gegen den Mann wird jetzt wegen Betrugs und Ladendiebstahls ermittelt. Die Männer dürften zwar Bedürftige gewesen sein. Die Spenden von insgesamt 3000 Euro haben sie aber für alles mögliche ausgegeben, nur nicht für ein leukämiekrankes Kind.

Traue niemandem mehr, wäre eine mögliche Konsequenz aus dieser Geschichte. Aber ist das der richtige Schluss? Die Antwort ist kompliziert, denn in dieser Frage geht es nicht nur um den aktuellen Fall. Die beiden sind nicht die ersten, die Pfarrämter in der Region abklappern und mit Trauermiene um Geld betteln. Und sie sind auch nicht die einzigen, die sich dafür ein Drama ausgedacht haben.

Im Erzbistum München-Freising ist das Problem bekannt. Dort gehen immer wieder Meldungen ein, wenn Trickbetrüger die Pfarrämter in der Region aufsuchen. "Es kann gut sein, dass es in den vergangenen Jahren mehr geworden ist", sagt eine Sprecherin. Das meiste bekomme das Ordinariat aber gar nicht mit.

Denn selbst wer mit seiner Lügengeschichte verdächtig erscheint, ist meistens fein raus. Und das ist der Unterschied zu Bettlern, die Leute auf der Straße ansprechen: Bei der Polizei Ebersberg gibt es zur Pfarramts-Masche so gut wie keine Daten. "So was kommt in der Regel nicht zur Anzeige", sagt Gerhard Freudenthaler, stellvertretender Dienststellenleiter. Wer unglaubwürdig erscheint, bekommt zwar kein Geld. Die Polizei werde dann aber nicht gerufen. "Die örtlichen Pfarrer sind in einer Zwickmühle", sagt Freudenthaler. Sie sollen menschlich sein, riskieren aber, dass die Pfarrei betrogen wird.

Ein Buch mit Stempeln und Unterschriften ist da schon so etwas wie ein handfestes Beweisstück. Dachte sich auch Dekan Joseph Riedl. Der Ebersberger Stadtpfarrer begegnete G. am Dienstag vor zwei Wochen, als dieser nach dem Gottesdienst mit einem schweren Rucksack in die Sakristei kam, das Pilgerbuch vorlegte, und mit feuchten Augen seine Geschichte erzählte. Das verkaufte Haus, die schlechte Rente, die teuren Medikamente für die kranke Tochter. "Normalerweise vermeiden wir, dass wir Bargeld ausgeben", sagt Riedl. Er biete dann an, eine Rechnung zu übernehmen, auf Vorlage. Dann weiß man zumindest, wohin das Geld fließt.

Das Problem, und das zeigt der Fall G. recht eindeutig: Die Methoden werden immer raffinierter und undurchschaubarer. Brigitte Schmitt ist Sekretärin im katholischen Pfarramt Anzing und hat in den vergangenen acht Jahren eine abenteuerliche Entwicklung festgestellt. "Seit Kurzem werden Kinder zu uns geschickt", sagt sie. Erst vor einer Woche sei der Anführer einer Kinderbande aggressiv geworden, als sie ihm erklärte, dass nur der Pfarrer Geld herausgeben dürfe. "Die Tricks sind vielfältiger und ausgeklügelter geworden", sagt sie. Ähnliches hat die Sekretärin der Markt Schwabener Pfarrei St. Margaret festgestellt. In letzter Zeit klopfe es immer häufiger an der Tür, sagt Maria Eichinger. Polen, Rumänen, aber auch Deutsche. "Es wird immer schwieriger zu erkennen, ob jemand die Wahrheit erzählt", sagt sie.

Das Erzbistum München Freising gibt keine Schulungen

Nur wie kann man sich dagegen wehren? Das Ordinariat gibt keine Schulungen oder Fortbildungen, hat stattdessen ein Merkblatt verfasst, wonach Pfarrämter angehalten werden, auf eine schriftliche Bestätigung der Notlage, etwa eine Rentenbescheinigung oder Krankenhausrechnung, zu bestehen. Ansonsten, so heißt es vom Erzbistum, empfehle sich, Bettler auf das nächste Caritas-Zentrum zu verweisen, wo die Geschichten auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft würden. Kleinere Beträge um die 20 bis 30 Euro, so heißt es vom Erzbistum, könne man aber auch weiterhin "unbürokratisch" herausgeben.

Genau darum geht es in den meisten Fällen: Um Notlagen, die oft echt wirken und auch echt sein könnten. Und dann muss eine schnelle, einfache Entscheidung her. So machte es auch Markt Schwabens Pfarrer Herbert Walter, er spendete den polnischen Pilgern 50 Euro in bar. Zwei Wochen später erfuhren die Mitarbeiter des Pfarramts dann aus der Zeitung, dass die kranke Tochter gar nicht existiert.

Wem glaubt man also noch? Brigitte Schmitt aus Anzing hat eine Strategie entwickelt, die sie nicht als Anleitung in der Zeitung lesen möchte. Nur soviel: "Wer in Not ist, dem geht es nicht ums Geld, sondern darum, dass sich seine Situation verbessert." Als eine Familie mit Säugling und zwei Kleinkindern aus Ungarn völlig ausgehungert und mit leerem Tank vor ihrer Pfarramtstür stand und der Vater nach Arbeit fragte, da bestand für Schmitt kein Zweifel. Die Familie durfte sich im Pfarrheim waschen, übernachten - und für die Arbeitssuche gab es einen Tankgutschein.

© SZ vom 01.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: