Premiere im Alten Kino:Entzückendes Entsetzen

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Gnadenlose Strippenzieherin: Ulrike Janowetz als Brunhilde Ehrenfried. In Bearbeitung hat sie hier gerade High Performerin Xenia Schmidt (Carolin Schubert). (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das "Theater Zwischenton" aus Ebersberg seziert die moderne Arbeitswelt: Die Dramödie "After Work" gibt Einblick in eine futuristisch-furchtbare Firma. Ein Probenbesuch.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Zuweilen läuft ja nicht alles rund im Büro - der Gehaltsscheck ist zu klein, der Großraum zu laut, der Kollege aus dem ersten Stock lungert verdächtig oft in der Abteilungsküche herum und die Praktikanten sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Wer deswegen aber das Gefühl hat, in einem Unternehmen aus der Hölle zu arbeiten, dem sei ein Besuch bei "After Work", dem neuen Stück des Theater Zwischenton aus Ebersberg anempfohlen. Unter der Regie von Bina Schröer dürfen in dieser "Bürofarce" insgesamt sechs Mitglieder des Ensembles mit unbändiger und ansteckender Spielfreude eine vielschichtige Probe ihres Könnens abliefern.

Diese Frau hat keine Schwächen - okay, sie spricht nur sechs Sprachen ... (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nächtliches Ausruhen? Wird überbewertet - zumindest nach Ansicht von Xenia Schmidt (Carolin Schubert). Wer mehr als viereinhalb Stunden schläft, sollte dem Arbeitgeber sein Gehalt zurückzahlen, lässt Autor Markus Czeslik die karrierefixierte junge Frau im Brustton der Überzeugung verkünden. Kein Wunder also, dass sie bei "Gamma United" als "High Potential, Fast Tracker, Technology Evangelist, Peak Performer, Excellence Guru" gilt und zu "166 Prozent billable" ist, also stets eine dem Kunden berechenbare Leistung abliefert.

Doch was den Arbeitgeber freut, geht schnell zu Lasten derer, die in einem solchen Umfeld ihre Brötchen verdienen: Entweder sie sind, wie Ruth Meier (Sybille Fuchs), als Tochter, Mutter und Ehefrau zwar zuverlässige Arbeitsbienen, aber gleichzeitig durch diese Sorgearbeit so gestresst, dass schon der pure Anblick, wie sie nervös die Kleidung zurechtzupfen, beim Zuschauen Beklemmungen entstehen lässt. Oder der Alltag der Mitarbeitenden ist, wie bei Kaffeepad-Junkie Anita Kohl (Nadja Pilhofer), in erster Linie von Versagensängsten gesteuert, sodass sie sich lieber in ihrem Büro verkriechen und den Ausblick genießen, als den kollegialen Austausch zu suchen.

Sie arbeiten in benachbarten Büros und wissen doch so wenig voneinander: Anita Kohl (Nadja Pilhofer) und Peter Palmers (Harald Mayerthaler). (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und dann gibt es natürlich auch noch diejenigen, die sich dem Performance-Druck ihrer 72-Stunden-Woche dadurch entziehen, dass sie ihren Fokus auf andere Dinge richten, wie etwa Möchtegern-Casanova Peter Palmers (Harald Mayerthaler) mit seinem durchaus kreativen Balzgebaren. Und manche schließlich wiegen sich kraft ihrer Position in absoluter Sicherheit, weswegen sie der Gesamtsituation wahlweise mit einer gewissen abgeklärten Gelassenheit begegnen - wie Dragan Hemmerle (Rainer Sohr), Witwer und langjähriges Mitglied des Committees, vulgo Arbeitnehmervertretung.

Alles vergessen kann Dragan Hemmerle (Rainer Sohr) beim Blick auf das Bild seiner verstorbenen Frau. Sie ist seine "Zeitinsel". (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Oder die Mitarbeiter suhlen sich mit sardonischem Grinsen in den eigenen schikanösen Aktivitäten - bestes Beispiel Brunhilde Ehrenfried (Ulrike Janowetz), persönliche Assistentin und verlängerter Arm des CPO (Chief Profit Officer). Sie nutzt mit beispielloser Rücksichtslosigkeit jede noch so kleine Schwäche der Belegschaft aus, erkennt jeden vermeintlichen Verstoß sofort und ahndet ihn mitleidslos.

Drei Minuten zu früh das Büro verlassen? 15 Prozent Gehaltskürzung - für drei Monate, versteht sich. Halbstündige Ohnmacht, auch noch unangekündigt, mitten im Flur? Welche Sanktionen das nach sich ziehen wird, kann man nur vermuten - mit Sicherheit werden die Auswirkungen verheerend sein.

Arbeiten bis zum Umfallen, wörtlich verstanden, hier von Sybille Fuchs, Nadja Pilhofer und Harald Mayerthaler. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Was ob der vielfach ins Absurde abdriftenden Dynamik nach einem großen Spaß klingt, ist es teilweise auch - doch mindestens genauso oft bleibt einem bei diesem Probenbesuch das Lachen im Halse stecken. Zu nah sind das manipulative Verhalten der Figuren auf der einen Seite und ihre Verletzlichkeit auf der anderen, manchmal gar in Personalunion, an einer Realität, die sich im echten Arbeitsleben während der Corona-Zeit teilweise ja noch verschärft hat.

Eine aus der Corona-Not geborene Liebesszene entpuppt sich als Gewinn für das Stück

Auch auf die Inszenierung von "After Work - eine Bürofarce" wirkte sich die Pandemie aus. Erstens dahingehend, dass die nach einem Jahr Probenarbeit eigentlich für den Herbst 2020 geplante Premiere mehrfach verschoben werden musste; unter anderem, weil sich das Ensemble geschlossen gegen eine von 2G-Regeln und Impfstatus reglementierte Aufführung aussprach.

Eine zweite unmittelbare Konsequenz hingegen war positiver Art. Da eine ins Homeoffice-Setting verlegte Liebesszene - Abstandsgebot! - alle überzeugte, blieb sie auch nach der Wiederaufnahme der Proben genau so. Was geändert werden musste, aus gesundheitlichen Gründen, war lediglich die Besetzung. "Carolin Schubert hat uns gerettet", erklärt Regisseurin Schröer. Als ausgebildete Schauspielerin habe sie sich den umfangreichen Text in kürzester Zeit aneignen können - und zwar ohne Fehl und Tadel, wie man mit Staunen bemerkt.

Darüber hinaus gelingt es der wunderbaren Schubert, die nicht nur optisch große Ähnlichkeit mit der Komikerin Carolin Kebekus aufweist, ihrer über weite Strecken grotesk überheblichen Figur an entscheidender Stelle zarte Menschlichkeit zu verleihen, so dass man doch versucht ist, Mitleid mit ihr zu empfinden. Zumindest kurz.

Wo Brunhilde Ehrenfried (Ulrike Janowetz) hinlangt, und sei es verbal, da wächst kein Gras mehr. Diesmal ihr Opfer: die völlig überforderte Ruth Meier (Sybille Fuchs). (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Deutlich geringer fällt dieses Gefühl hingegen aus, wenn es um die Mensch gewordene Puppenspielerin geht, jene im Originalstück von einem Mann verkörperte Rolle der CPO-Assistenz. So überzeugend gibt Ulrike Janowetz den adleräugigen Drill-Sergeant im Körper eines Fräulein Rottenmeier, dass man nicht weiß, ob man sie einfach nur hassen oder rückhaltlos bewundern soll.

Hochachtung für ihren vollen Einsatz verdient haben jedoch alle Darstellerinnen und Darsteller. Etwa die in ihrer Rolle entzückend naive Nadja Pilhofer, die am Ende überraschende Einsichten gewährt, oder Harald Mayerthaler, der sich trotz seiner Don-Ju­a­n-esken Attitüde als Philosoph und Menschenversteher entpuppt, sowie der souveräne Rainer Sohr, der tatsächlich über Betriebsratserfahrung verfügt, sogar im europäischen Kontext. Und natürlich die unglaublich wandlungsfähige Sybille Fuchs, die allen anderen Schauspielern Respekt abnötigt, weil sie nach wie vor in das bereits vor drei Jahren angeschaffte Kostüm passt.

Regisseurin Bina Schröer holt das Beste aus ihren Mimen heraus. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dass alle Darsteller und Darstellerinnen ihren jeweiligen Charakteren eine solche Tiefe verleihen können, ist sicherlich in erster Linie der professionellen Regisseurin Bina Schröer zu verdanken. "Mir ist Rollenarbeit ganz wichtig, ich will Figuren, die man versteht, keine Klischees." Das ist ihr bei "After Work" zweifelsfrei gelungen.

So bringt das Theater Zwischenton diesem überzeichneten Büroalltag, dem keiner entkommt, das Motto der fiktiven Firma im wahrsten Sinne des Wortes auf die Bühne: "Work hard, stay calm, make history". Und lässt das Publikum eintauchen in eine Mischung aus Entzücken und Entsetzen. Halt wie so oft auch im richtigen Leben.

Theater Zwischenton spielt "After Work": am Freitag, 12. Mai, und Samstag, 13. Mai, um 20 Uhr im Alten Kino Ebersberg. Sowie am Freitag, 7. Juli, 20 Uhr, in der Kulturetage, Messestadt Riem. Kartenreservierung über die Homepage des Ensembles .

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