Juwelierseide. So heißt das Papier, mit dem sich Ruth Effer seit nunmehr 40 Jahren künstlerisch beschäftigt. Doch was so edel klingt, ist eigentlich ein gängiges Verpackungsmaterial: Das weiße, hauchdünne Papier ist trotz seiner Stabilität flexibel formbar, sodass darin selbst kleine, filigrane Gegenstände problemlos eingewickelt werden können. Effer aber nutzt Juwelierseide auf andere Weise. Bereits während des Studiums hat sie, dank eines Zufalls, damit zu experimentieren begonnen - und so im Laufe der Zeit eine ganz eigene künstlerische Technik entwickelt. "Aber ich habe das Thema noch lange nicht gänzlich durchdrungen", sagt sie - ohne auch nur einen Hauch des Bedauerns.
Indes: Wie weit Ruth Effer mit der Juwelierseide bereits gekommen ist, kann man nun in der Galerie des Ebersberger Kunstvereins bestaunen. Dort nämlich zeigt die Künstlerin von Freitag, 9. September, an eine große Auswahl ihrer Papierarbeiten. Und diese sind nicht nur in ihrer Anmutung zauberhaft, sondern geben auch einen Einblick in die bemerkenswerte Vielseitigkeit dieses unscheinbaren Materials. Zumindest, wenn es sich in Effers Händen befindet. Zu sehen gibt es Großformatiges und Kleines, Farbiges und Monochromes, Zwei- sowie Dreidimensionales. Manche Werke bestehen nur aus Papier, das trickreich per Magnet an der Wand gehalten wird, andere sind auf Holz oder Leinwand aufgebracht. "Ich gehe gerne immer wieder neue Wege, einfach, um Automatismen zu vermeiden", sagt die Künstlerin.
Effer arbeitet stets am Boden. Sie macht die Papierbahnen nass, schichtet sie, gibt Kleister dazu und verwebt das Ganze zu einer Einheit. Ihr Schaffensprozess sei eine sensible, diffizile, nahezu rituelle Materialbearbeitung in Form von Tränken, Färben, Leimen, Falten, Walken und Schichten, erklärt sie. Außerdem mischt die Künstlerin verschiedene Techniken, verbindet das feine Papier mit Malerei, Zeichnung und Collageelementen. Auf aufwändige und gleichzeitig spielerische Weise entstehen so sensible, reliefartige Kompositionen, zumeist in Pastelltönen.
Die wichtigste Inspirationsquelle für Ruth Effer ist die Natur. Zwar lebt die gebürtige Mönchengladbacherin in München, doch seit etwa vier Jahren arbeitet sie in einem Atelier auf einem Bauernhof in Frauenneuharting. "Das ist mein Lottogewinn", sagt sie über dieses Refugium, das nicht nur viel Platz, sondern auch regen Austausch mit anderen Künstlern bietet. Außerdem kann Effer von Hagenberg aus durch Wälder, Wiesen und Felder streifen. Dort erforscht sie mittels Fotografie und Zeichnung die vielfältigen Formen der Natur, etwa die Strukturen von Baumrinden, Flechten, Moosen oder von Licht, das durch Blätterwerk fällt. Mit der Lupe zoomt sie hinein in einen sich immer weiter abstrahierenden Mikrokosmos.
Diese stetig wachsende Sammlung von "Spuren" aus der Natur bildet dann eine reichhaltige Grundlage für die Weiterarbeit im Atelier. Allerdings geht es Effer dabei weniger um eine Abbildung des vormals Gesehenen, als um einen freien Umgang mit Formen und Farben. Gleichzeitig konkret und imaginär sei ihre Kunst "ein Dialog zwischen draußen und drinnen", sagt sie. Und tatsächlich entstehen unter ihren Händen poetische Landschaften, die allerhand Assoziationen auslösen. Man wähnt sich zwischen Bäumen oder an Seen, meint, Blätter, Gräser, Blüten und Rinde zu entdecken. Eine oft wiederkehrende Form ist der Kreis beziehungsweise das Oval - "das geht immer", sagt Effer und lacht. "Mäandern, kreisen, das gefällt mir irgendwie."
Diesem Gedanken folgt auch der Titel der Ausstellung in der Alten Brennerei, er lautet "Bene Factum", was schlicht bedeutet "gut gemacht", oder auch "gute Tat", sogar "Wohltat". Denn Kunst müsse kein Kampf sein, erklärt Effer, vielmehr erlaube sie sich mittlerweile, mit Ende 50, "dem nachzugehen, was mir gut tut". Und scheut sich auch nicht, ihre persönlichen Vorlieben, ihre individuelle Formensprache zur Schau zu tragen. Außerdem hofft sie, völlig zurecht, dass ihre Werke beim Betrachter Empfindungen auslösen wie Ausgeglichenheit, Heiterkeit und Freude - dass sie eben auch für ihn eine Wohltat sind.
Effer hat in Berlin, Münster und München Kunst studiert, heute lehrt sie selbst an der Akademie in der Landeshauptstadt, ist Kunsttherapeutin, Yoga- und Meditationslehrerin. Die Exponate der Ebersberger Ausstellung stammen zwar allesamt aus den vergangenen vier Jahren, sind also vergleichsweise neu - und doch erlauben sie auch einen Blick zurück.
Effer nämlich hat jüngst begonnen, ältere, bereits fertige Werke zu überarbeiten. "Das Thema Nachhaltigkeit hat für mich an Relevanz stark zugenommen", erklärt sie. Deswegen wolle sie die eigene "künstlerische Masse" nun nicht mehr vergrößern, sondern eine zunehmend ressourcenschonende Arbeitsweise entwickeln. Dabei werde das Alte zu einem reichhaltigen Nährboden für Neues, es bleibe nicht nur energetisch, sondern teilweise auch konkret sichtbar erhalten. Damit kommt zur Nachhaltigkeit noch ein wichtiger biografischer Aspekt hinzu: Effer hält Rückschau und verdichtet zugleich ihr Oeuvre. "Das ist eine sehr spannende, gehaltvolle Sache."
Verschwenderisch hingegen war Ruth Effer kürzlich bei einem Experiment, das die Möglichkeiten ihres Ateliers ausloten sollte: "Welches maximale Format lassen der Boden und meine Körpermaße zu?" Herausgekommen ist ein ein beeindruckendes Panorama von fünf Metern Länge und 2,20 Metern Breite. "Aber so ein riesiges Format im Griff zu behalten, ist natürlich anstrengend", gesteht die Künstlerin. Deswegen arbeite sie zwischendrin gerne auch mal in kleinerem Maßstab.
Manchmal sind es auch Fundstücke aus der Natur, die Effer zum Motiv erhebt. Sie sammelt Stockrosen, Grasschoten oder Silbertaler, presst sie und ordnet sie dann auf einem Papierbett an. Besonders apart: jene Bilder, in denen die Fäden von Maiskolben verarbeitet sind, die hier zu zarten, geisterhaft tänzelnden Figuren werden.
Im Bereich der kleineren Arbeiten hat Effer zudem ein neues Verfahren entwickelt, das aus den Resten der großen Formate skulpturale Objekte entstehen lässt. "Die Idee dazu kam mir tatsächlich im Traum." Wieder wird Papier durchnässt, gefärbt und mit Bindemittel vermengt, doch die Schichtung geschieht nun in einer Art Rahmen, etwa in einem flachen Holzkasten. Und sie findet unter Druck statt. Hunderte Blätter presst Effer zusammen, so dass das Wasser entweicht und eine Form entsteht. Das Papier verdichtet sich, vertieft oder stellt sich hoch, bildet Zwischenräume oder blättert auf. Lauter spannende Formen, die dann trocknen und stabil werden.
Wer sich diese Ausstellung des Ebersberger Kunstvereins anschaut, wird also aller Wahrscheinlichkeit nach bald eingewickelt sein von dieser feinen Kunst. Wird staunen darüber, was sich mit dieser alltäglichen Juwelierseide so alles anstellen lässt. Und er wird vermutlich auch sehr gespannt sein, wohin die Künstlerin Ruth Effern damit künftig noch gehen wird.
Ausstellung "Bene Factum" von Ruth Effer in der Alten Brennerei des Ebersberger Kunstvereins im Klosterbauhof, Vernissage am Freitag, 9. September, um 19 Uhr, Finissage mit Künstlergespräch am Sonntag, 2. Oktober, um 11 Uhr.