Kunst liegt bekanntlich im Auge des Betrachters - umso spannender ist es bei der Mitgliederausstellung des Ebersberger Kunstvereins, wie die Gäste die vielen, sehr unterschiedlichen Werke beurteilen. Immer zur Finissage dieser unjurierten Schau wird ein Publikumspreis verliehen, eine Tradition, die die Verantwortlichen offenbar auf keinen Fall missen möchten.
Deswegen wird auch an diesem Sonntag wieder ein imaginäres Siegerttreppchen in der Galerie aufgebaut - obwohl inzwischen sämtliche Sponsoren des Preises abgesprungen sind. Der Künstlerfachhändler Boesner unterstütze den Verein leider nur noch über ein sehr kompliziertes Bonussystem, erklärt Andreas Mitterer, die Spardabank habe sich gänzlich auf Sachspenden verlegt. "Also müssen wir das jetzt selber machen - aber es funktioniert auch so", freut sich der Vorsitzende.
Der Kunstverein und seine Gäste spenden insgesamt 750 Euro Preisgeld
Um den Publikumspreis neben Ruhm und Ehre auch mit einer finanziellen Zuwendung versehen zu können, waren die Besucher der Ausstellung aufgerufen, nicht nur ihren Stimmzettel abzugeben, sondern auch eine kleine Spende. Der Kunstverein hatte überdies zugesagt, den Inhalt dieser Box am Ende zu verdoppeln. "Deswegen habt ihr uns mit eurer Großzügigkeit ganz schön geschadet", witzelt Moderatorin Verena Ditterich bei der Preisverleihung am frühen Sonntagabend. 750 Euro beträgt das Preisgeld am Ende insgesamt - ein Wert, über den sich alle Seiten glücklich zeigen.
Der absolute Liebling der Ausstellung allerdings wird mit keinem einzigen Cent bedacht, denn es handelt sich dabei um eine Gemeinschaftsarbeit außer Konkurrenz: ein wunderbar buntes, fantasievolles Korallenriff, gehäkelt von vielen Frauen bei vielen Treffen unter dem Dach des Kunstvereins. Maja Ott und Martina Brenner hatten das Projekt in Ebersberg initiiert, es ist Teil einer weltweiten Bewegung, die auf das Sterben der filigranen Unterwassergebilde aufmerksam machen will. "Eure Treffen haben sehr viel Zulauf und sind immer ein Erlebnis", lobt Ditterich. Kein Wunder also, dass das kleine Riff an diesem Abend als Gewinner der Herzen ausgezeichnet wird.
Klein ist die Häkelarbeit übrigens deshalb, weil der Kunstverein diesmal für die Mitgliederausstellung als Motto ein Format, nämlich "dreißig mal dreißig", ausgegeben hatte. Insofern sind alle Werke der Schau von überschaubarer Größe. Gleichwohl wissen viele Mitglieder mit Inhalt und Gestaltung zu überzeugen, nicht zuletzt die vier Gewinner.
Stimmgleich auf dem dritten Platz: Karin Nahr aus Glonn und Barbara Perk aus Forstinning. Erstere zeigt unter dem Titel "Dämonen" ein ungleiches Duo zweier Fantasiefiguren: "Daydream" und "Nightmare" stehen sich hier gegenüber, der eine heiter-verrückt, der andere von düsterem Schrecken. Wobei sich eigentlich nur die Gesichter unterscheiden. Mit Wachs und Acryl hat Nahr ihre Gestalten kunstvoll-lässig auf Leinwand gebannt, beide in schwarz-weiß, was die Positiv-Negativ-Wirkung der ganzen Arbeit noch verstärkt.
Perks Arbeit hingegen setzt sich subtil mit dem Thema der formalen Begrenzung auseinander: "Dreißig mal dreißig" wird hier zum Gefängnis, im Zentrum der Assemblage steht eine birnenförmige Rapunzelfigur. "Das ist ein Fundstück, ein Betonfragment, das ich modellierend ergänzt habe", erklärt Perk. Der Clou aber ist, dass diese Rapunzel anstatt eines Zopfes einen kleinen silbernen Schlüssel herunterlässt. Die Befreiung findet hier also nicht via Gewalt oder Schmerz statt, sondern ganz soft.
Über den zweiten Platz im Publikumsranking freuen darf sich Susanne Oswald aus Grafing, und zwar für ein klassisches Porträt: Mit Acryl und Tusche hat sie eine "Bäckerin" mit buntem Turban auf Holz gemalt. "Die Vorlage dazu ist nur ein kleiner, schwarz-weißer Schnipsel, aber dieses Gesicht hat es mir irgendwie angetan", erzählt die Malerin. Immer wieder habe sie das Motiv umgesetzt, mal größer, dann wieder kleiner, und dabei habe sich ein regelrechter Dialog entwickelt. "Das ist für mich eine starke, zuversichtliche Frau, die tief versunken ist in eine Beobachtung."
Ganz besonders vielen Besuchern gefallen haben aber die "Kleinen wilden Gedanken" von David Dott, eine dreidimensionale Papierarbeit in einem durchsichtigen Acrylkubus. "Den hatte ich schon lange im Keller wegen einer anderen, inzwischen verworfenen Idee, aber jetzt hat er mit seinen Maßen genau gepasst", erzählt der 42-jährige Preisträger. So habe sich ihm eine wunderbare Lösung geboten, mit Papier zu arbeiten und trotzdem die Formatvorgabe einzuhalten. "Und das Dreidimensionale hat so viel Spaß gemacht, dass ich das auf jeden Fall weiterverfolgen möchte."
Aus Zeichenpapier und Karton hat David Dott, der inzwischen in München lebt, aber aus Ebersberg stammt, eine feine Skulptur geschaffen. Teils sei sie aber aus wirklich übrig gebliebenen Schnipseln und Verschnitten von Passepartouts hergestellt, sagt er. "Da steckt sowohl Abfall als auch Absicht drin." Viele der Streifen sind zudem bemalt mit einer Art abstrakter Kalligrafie, ein spontaner Ausdruck ohne Worte, kleine wilde Gedanken eben. Alles in allem ein höchst schwungvolles, einzigartiges Werk, das an diesem Abend zu Recht ganz oben auf dem Treppchen landet.