Mitgliederausstellung vom Ebersberger Kunstverein:Quadratisch, akribisch, gut

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Zwei thematisch passende Werke findet man gleich am Anfang der Ausstellung, nämlich "Eingegrenzt" von Hermann Schuster (links) und "Joch des Formats" von Andreas Grieser. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die diesjährige Mitgliederausstellung des Ebersberger Kunstvereins in der Galerie Alte Brennerei im Klosterbauhof hat zum ersten Mal keinen thematischen roten Faden, sondern einen formalen: Alle Werke haben die Maße 30 mal 30 - da wurde bei der Hängung auch der Meterstab gezückt.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Routine kann etwas Schönes sein: Morgens die Zudecke zurückschlagen, rein in die flauschigen Hausschuhe und in die Küche geschlurft, wo mit müden Augen die Hände eineinhalb Löffel des dunklen Pulvers in den Kaffeekocher rieseln lassen. Fünf Minuten später lässt der erste warme Schluck auch die letzten schlaftrunkenen Gehirnzellen wach werden - bei den Handgriffen braucht's kein Nachdenken, alles passiert wie aus einem Reflex. Routine eben. Aber was, wenn man das alles mal anders macht? Denn mal ehrlich: Kaffee ist viel zu lecker, als dass er im Halbschlaf getrunken werden sollte - also in einem Zustand, in dem eh alles gleich schmeckt. Vielleicht einfach zum Wachwerden ein paar Minuten vor das geöffnete Fenster stellen, das lässt den darauffolgenden Kaffee den Gaumen gleich ganz anders kitzeln. Perspektivwechsel kann nämlich auch etwas Schönes sein.

Das hat sich auch der Ebersberger Kunstverein gedacht, zumindest steht das Motto der diesjährigen Mitgliederausstellung ganz unter dem Motto Abwechslung. Zum ersten Mal gibt es ein rein formales Thema. Und so lautet der Titel der Ausstellung denn auch "Dreißig mal dreißig" - jedes Kunstwerk entspricht diesen Maßen. Wie das genau aussieht, lässt sich von Freitag, 24. November, an in der Galerie Alte Brennerei im Klosterbauhof bewundern.

Zwischen den einzelnen Werken hängen weiße Quadrate, wie hier im Westraum, um den Bildern Luft zum Betrachten zu geben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nach mehreren Jahren, in denen die Kunstschaffenden ein beliebiges Werk einreichen konnten, hat der Ebersberger Kunstverein mit der Schau 2019 ein jährlich wechselndes Motto eingeführt: Zunächst drehte sich alles um "Reproduktion", dann um "Selbstporträt" und zuletzt um die "Große Geste". Zwar gab es auch im vergangenen Jahr eine Formatvorgabe, nämlich die maximale Breite von einem Meter. Aber davon hat sich so mancher gar beeindrucken lassen - teils waren die Werke dafür umso höher.

Solche Tricks gibt es heuer nicht. So hängen denn auch alle Werke, die der strengen Maßvorgabe nicht entsprechen, gebündelt an einer Wand. Keines davon fällt völlig aus dem Rahmen, mal sind es 31 auf 31 Zentimeter, andere Male noch ein wenig mehr, manchmal haben die Bilder gar das richtige Format, aber nicht mehr inklusive des Rahmens. Das ist aber auch eine schwierige Sache, denn quadratische Rahmen in solch einem kleinen Format, "die gibt's nicht von der Stange", sagt Verena Ditterich, zweite Vereinsvorsitzende. Trotzdem: Vorgabe ist eben Vorgabe. Da wurde auch mit dem Meterstab akribisch nachgemessen, "ja, selbstverständlich", sagt Ditterich.

Kein "Dreißig mal dreißig", aber nicht minder schön zum Bestaunen: "Thema Format: schräg" von Cornelia Piesk, "Kunst begrenzt auf 30 cm" von Ludmilla Beham und "HUIPIL" von Maria Da Saya (von links). (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dass es ausgerechnet 30 Zentimeter auf 30 Zentimeter geworden sind, ist kein Zufall. Das Quadrat an sich geht mit einem Brechen der Sehgewohnheiten einher: Für gewöhnlich betrachtet man ein Werk im Quer- oder Hochformat, der Blick muss wandern - von links nach rechts, von oben nach unten -, um es ganz zu erfassen. Doch das Quadrat ist ein Blick. "Das Auge ist fokussiert und erfasst den Bildinhalt sofort", erklärt Ditterich. Nicht ganz, man denke an ein 30 mal 30 Meter großes Bild. Doch bei der kleinen Formatvorgabe für die diesjährige Mitgliederausstellung trifft das auf jeden Fall zu. Durch diesen "schnellen Blick" erhalten die Werke etwas Unmittelbares, Spontanes. Das ist es auch, was sich wie ein roter Faden durch die 71 Kunstwerke hindurchzieht. Und das, obwohl sie einzeln betrachtet unterschiedlicher kaum sein könnten.

Mittels Acrylmalerei hat Ingrid Weiß-Rorskopf ihren "Femme formal"-Hocker geschaffen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
Frauke Menger hat ein zweiseitiges Werk eingereicht, "Move for change" - auf der anderen Seite stehen die beiden Figuren voneinander entfernt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
Ein Highlight der Ausstellung: "Rapunzel in 30x30" von Barbara Perk. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
Maria Heller hat unter dem Titel "Klimawandel" sechs Pinguine aus Keramik gebrandt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Von Öl über Pigmentdruck, Acryl und Tusche, Wolle, Holz, Keramik, Spraypaint oder Fotografien, Aquarell und Radierungen, hin zu Beton, Wabenpappe, Kohle oder Wachs: Die Künstlerinnen und Künstler aus dem Landkreis und darüber hinaus haben eine Ausstellung erschaffen, die an Vielfalt kaum zu überbieten ist. Denn nicht nur die Palette an verwendeten Materialien ist üppig, sondern auch die darauf und damit dargestellten Motive.

Da gibt es "Move for change" von Frauke Menger aus Aßling, deren Werk so einfach erscheint, und doch so viel Aussage und Wahrheit enthält: ein Bild, das zwei Seiten hat; mit Grafit und Tusche hat die Künstlerin auf die eine Papierseite zwei entfernt stehende Menschen gezeichnet, auf der anderen Seite umarmen sie sich. Die Aufhängung an einer Diskokugelbefestigung sorgt dafür, dass sich das Bild dreht und somit beide Ansichten sichtbar sind. Ganz anders ist da "Femme formal" von Ingrid Weiß-Roskopf aus Eglharting, die mittels Acrylmalerei die Sitzfläche eines alltäglichen Hockers bemalt hat. Da stellt sich die Frage: Wann ist ein Gegenstand einfach nur schön, und wann ist er Kunst?

Ein Highlight der Ausstellung ist sicherlich "Rapunzel in 30x30" von Barbara Perk aus Forstinning - eine Assemblage auf Gipsrelief, von dem die Figur der Rapunzel nicht ihr Haar, sondern einen Schlüssel hinablässt. Ja, mit einem Schlüssel den Turm aufzuschließen und zu der gefangenen Schönen hinaufzusteigen ist doch wirklich so viel sinnvoller als diese alberne Hinaufkletterei an ihrem langen Haar. Eine schöne Metapher: Warum so kompliziert, wenn es auch einfache Lösungen gibt!

"Dreißig mal dreißig": Mitgliederausstellung des Kunstvereins Ebersberg 2023, Galerie Alte Brennerei im Klosterbauhof, Vernissage am Freitag, 24. November, um 19 Uhr. Geöffnet donnerstags und freitags von 18 bis 20 Uhr, samstags von 17 bis 20 Uhr und sonntags von 11 bis 13 Uhr. Nicht geöffnet ist die Ausstellung am Samstag und Sonntag, 8. und 9. Dezember. Finissage ist am Sonntag, 17. Dezember, um 17 Uhr mit der Verleihung des Publikumspreises und anschließender Feuerschale und Weihnachtsfeier mit Live-Musik im Klosterbauhof.

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